Der Schuss von Frank Lampard in der ersten Halbzeit beim Stand von 2:1 war klar hinter der Linie. Franz Beckenbauer: „Ein unverzeihlicher Fehler“
Bloemfontein. Auf diesen Moment hat Fußball-Deutschland 44 Jahre gewartet, DFB-Ehrenspielführer Uwe Seeler muss es aus seinem Sessel gerissen haben. Im packenden WM-Achtelfinale der deutschen Nationalmannschaft gegen England am Sonntag (4:1) in Bloemfontein sahen die 40.510 Zuschauer im Stadion sowie zig Millionen Fans vor den Fernsehschirmen ein „umgekehrtes“ Wembley-Tor.
1966 war der Ball nicht drin, aber es war ein Tor, 2010 war der Ball drin, und es war kein Tor. Im Free-State-Stadion erlebten die weinenden englischen Fans und die jubelnden deutschen Anhänger das legendäre Tor aus dem WM-Finale vor 44 Jahren (4:2 n.V. für England) praktisch spiegelverkehrt.
Frank Lampard, Mittelfeldmotor der englischen Nationalelf vom Doublegewinner FC Chelsea, zog in der 38. Minute aus 17 Metern ab - der Ball flog über Manuel Neuer hinweg, knallte an die Unterkante der Querlatte und von dort eindeutig hinter die Linie. Doch der uruguayische Schiedsrichter Jorge Larrionda ließ weiterspielen, sein Assistent Mauricio Espinosa an der Linie hatte kein Tor angezeigt.
„Deutlicher kann es nicht sein. Es ist doch fast ein halber Meter. Das hätte der Linienrichter sehen müssen“, sagte Sky-Experte Franz Beckenbauer. „Das ist ein unverzeihlicher Fehler. Das muss der Assistent sehen. Das war kein Wembley-Tor, der Ball war ganz klar hinter der Linie“, sagte Hellmut Krug, Ex-Referee und für das Schiedsrichterwesen bei der Deutschen Fußball Liga (DFL) zuständig, in der ARD.
Allerdings konnte Espinosa auch nichts sehen, weil er furchtbar schlecht stand und trotz eines Sprints an der Außenlinie ungefähr 20 Meter von der Torlinie entfernt war. Damit dürften die heftigen Diskussionen um den von der FIFA bislang verweigerten Einsatz technischer Hilfsmittel oder die Unterstützung der Referees durch zwei Torrichter nun wieder richtig losgehen. Diese Variante wird von der Europäischen Fußball-Union (UEFA) forciert. In der kommenden Saison werden zwei zusätzliche Torrichter in der Champions League und in der Europa League sowie in den Spielen der EM-Qualifikation von der UEFA eingesetzt.
„Ich verstehe nicht, warum wir in unserer heutigen Zeit mit so viel Technologie noch über solche Dinge reden müssen. Wir haben Fehler gemacht, aber der Schiedsrichter hat einen noch größeren gemacht“, meinte auch Englands Teammanager Fabio Capello. DFB-Präsident Theo Zwanziger konnte den Frust der Engländer nach dem „geklauten Tor“ ebenfalls nachvollziehen: „Ich kann die Enttäuschung der Engländer ein Stück weit verstehen. Selbst ich habe von der Tribüne aus geglaubt, dass der Ball drin war.“
Am 30. Juli 1966 hatte Geoff Hurst im WM-Finale von Wembley in der Verlängerung das 3:2 für die Three Lions erzielt (101.). Über die Szene haben sich ganze Generationen von Fußball-Fans die Köpfe heißgeredet. Hurst überwand Torhüter Hans Tilkowski aus kurzer Distanz, der Ball prallte von der Latte auf den Rasen und wurde vom Kölner Verteidiger Wolfgang Weber über die Latte ins Toraus geköpft.
Der Schweizer Schiedsrichter Gottfried Dienst entschied nach Rücksprache mit dem sowjetischen Linienrichter Tofik Bachramow auf Tor. Ganz im Gegensatz zu Larrionda, der das Fußball-Mutterland mit seiner Entscheidung in ein Tal der Tränen stürzte. Uwe Seeler wird sich dagegen ins Fäustchen gelacht haben.