Beim Großen Preis von China am Sonntag treten wieder fünf Landsmänner gegen den Rekord-Weltmeister an.

Berlin. Vom ungestümen Crashfahrer bis zum abgebrühten Steuerkünstler vergehen in der Formel 1 manchmal nur wenige Rennen. Adrian Sutil galt noch im Vorjahr als rollender Bremsklotz, der einmal zu oft den Topfahrern Fernando Alonso und Sebastian Vettel in die Quere kam. Mittlerweile wird dem spät entdeckten Rennfahrer aus dem bayerischen Gräfelfing eine große Zukunft im PS-Gewerbe prognostiziert. Sein fünfter Platz beim Großen Preis von Malaysia sorgte bei deutschen Kommentatoren für Entzücken. "Wie er Lewis Hamilton hinter sich ganz cool in Schach gehalten hat, das war erste Sahne", entfuhr es Ex-Fahrer Hans-Joachim Stuck.

Sutil, der erst mit 14 zum Motorsport kam, weiß um die Gunst der Stunde und reißt die branchenüblichen kessen Sprüche: "Früher zählte vor allem das Budget bei den Rennställen, heute ist es wieder mehr der Menschenverstand, der einen nach vorn bringt."

Der verhinderte Konzertpianist, Spross einer Münchner Musikerfamilie, steht für eine Riege selbstbewusster deutscher Piloten. Sechs Rennfahrer mit deutschem Pass in einer Saison hat es in 60 Jahren Formel 1 ohnehin noch nie gegeben. Neben Altmeister Michael Schumacher, Titelanwärter Sebastian Vettel und Emporkömmling Sutil, katapultieren Nico Rosberg, Nico Hülkenberg und Timo Glock Deutschland auf Platz eins in der Nationenwertung.

Auch wenn Schumachers Glanz im Eiltempo zu verblassen droht, wäre ohne den Mercedes-Piloten die Bewegung kaum vorstellbar. Außer Wolfgang Graf Berghe von Trips, der in einem Ferrari fast Formel-1-Weltmeister geworden wäre, aber beim Entscheidungsrennen in Monza 1961 tödlich verunglückte, gab es vor der Ära Schumacher nie einen deutschen Fahrer mit Starappeal auf der Vollgasbühne. Erst Schumacher (41) entfachte mit dem Gewinn der WM-Titel 1994 und 1995 einen PS-Boom.

Im Windschatten dieser Ekstase setzten Autohersteller wie BMW und Mercedes auf die Wirkung des Motorsports, der hierzulande immer sehr kritisch besprochen worden war. Mit den zunehmenden Erfolgen Schumachers wurden von den Werken Rennserien gegründet oder großzügig gepäppelt, die Nachwuchsförderung wurde forciert. Die Streckenstandorte Hockenheim und Nürburgring meldeten Rekordkulissen, Fernsehsender RTL einen Quotenhit nach dem anderen. Anders als etwa im Tennis zu Zeiten des Boris-Becker-Hochs, "haben wir uns während Michael Schumachers Ferrari-Jahren nicht auf unseren Lorbeeren ausgeruht", sagt Deutschlands höchster Motorsportfunktionär, ADAC-Präsident Hermann Tomczyk.

Sein Verein hat sich seit Jahren der Talentsichtung und Förderung verschrieben. Rosberg und Jungstar Vettel fuhren einst unter dem Siegel des Dachverbandes, Stipendien ermöglichten ihnen den Einstieg in die teuren Formel-Serien. Nun stehen die Epigonen Schlange, dem Idol Schumacher nachzueifern. "Es wäre eine Ehre und gleichzeitig eine große Chance, Michael zu bezwingen", sagt sein Mercedes-Kollege Nico Rosberg stellvertretend für seine jungen deutschen Kollegen vor der Saison. Den Konjunktiv kann vor dem Großen Preis von China (Sonntag, 9.00 Uhr, RTL und Sky live) jeder bis auf Timo Glock streichen.

ALLE STRECKEN , ALLE TEAMS: DIE FORMEL-1-SAISON 2010

Nicht nur weil er nach Schumacher der älteste deutsche Pilot ist, gilt Glock (28) als Kandidat mit den trübsten Aussichten. Er versiebte mehrere Möglichkeiten, bei besseren Teams um WM-Punkte zu rasen. Nun verwaltet er bei Hinterbänkler Virgin die technischen Mängel.

Einen Knick nach oben verzeichnet die Karrierekurve von Nico Rosberg (24). Der Sohn des Ex-Champions Keke Rosberg fuhr bereits mit 17 einen Formel-1-BMW-Williams zum Testen aus. Vier Jahre später startete er für das renommierte Williams-Team und lieferte bis 2009 bei der englischen Traditionsmannschaft stetig beachtliche Resultate ab. Lange bevor Michael Schumacher bei den Silbernen anheuerte, wurde Rosberg von Mercedes unter Vertrag genommen. Die Tatsache, dass er Schumacher in dieser Saison dominiert, macht ihn in den nächsten Jahren zu einem Titelanwärter.

Nachfolger in der Talentschmiede Williams ist Branchenneuling Nico Hülkenberg (22). Bisher hat er ein ähnlich geradliniges Aufbauprogramm für eine erfolgreiche Formel-1-Karriere absolviert wie Rosberg. Seine Begabung stellte er bis hin zum Meistertitel in der GP 2 unter Beweis. Nach einem Vertrag als Testfahrer bei Privatier Williams muss sich der Debütant an der Seite des erfahrensten Piloten der Zunft, Rubens Barrichello (37, 288 Grand-Prix-Einsätze), messen. Bisher liegt er im Duell mit dem Brasilianer zurück.

Auch dem kecken Sutil (27) fehlt noch ein zweiter Nachweis seiner Klasse. Im Vergleich zu Rosberg ist er allerdings auch ein Spätstarter. Erst 2007 bekam Sutil seine erste Bewährungschance in der Formel 1, und zwar anders als Weltmeistersohn Rosberg bei einem krassen Außenseiter, dem niederländischen Spyker-Rennstall. Der indische Mäzen Vijay Mallya übernahm die Mannschaft 2008 und versucht seither, sie unter dem Namen Force India ans Mittelfeld heranzuführen. Mittlerweile fühlt sich Mallya so stark, Mercedes und Renault zu überholen. Die aktuelle Saison ist für Adrian Sutil wegweisend. Nach vier Jahren harter Arbeit an der Basis kann er sich endgültig etablieren und sich für ein Topteam empfehlen. Auch Nico Hülkenberg steht diese Aufgabe noch bevor.

In dieser Saison zählt allein Sebastian Vettel (22) zum Kreis der WM-Favoriten. Seine Entscheidung, ein Angebot von Ferrari auszuschlagen und bei Red Bull auf Kontinuität zu setzen, wurde im Fahrerlager mit Kopfschütteln registriert. Jetzt wundert sich niemand mehr über den blonden Aufsteiger aus Heppenheim, über den sein Teamchef bei Red Bull, Christian Horner, sagt: "Sebastian hat nur ein Problem, und das ist seine Frisur."