Weltmeister Vitali Klitschko (38) spricht über sein Alter, Lehren aus dem Fall Enke und seinen Wunschgegner David Haye.
Going/Tirol. Seine Laune ist so blendend wie das Sonnenlicht, das vom Schnee auf den Gipfeln des Wilden Kaisers reflektiert wird und durch das Fenster in die Bibliothek des Promihotels "Stanglwirt" fällt. Vitali Klitschko hat hierher geladen, um die Fragen rund um seine für den 12. Dezember in Bern (Schweiz) geplante Titelverteidigung gegen Kevin Johnson (30, USA) zu beantworten. Der Schwergewichts-Boxweltmeister des Verbandes ist locker und gelöst, weil das Trainingscamp in Tirol für ihn wie Urlaub ist. "Ich esse gut, schlafe ausreichend und trainiere regelmäßig. Besser geht es nicht", sagt der 38 Jahre alte Ukrainer.
Abendblatt: Herr Klitschko, am 26. September haben Sie in Los Angeles Chris Arreola besiegt. Ihr Trainer Fritz Sdunek sagt, es sei Ihr bester Kampf gewesen. Was wollen Sie gegen Ihren nächsten Gegner Kevin Johnson denn noch verbessern?
Vitali Klitschko: Ich freue mich, dass der Kampf gegen Arreola meinem Trainer gefallen hat. Aber es ist mein Ziel, dass er in Bern wieder sagt, es sei mein bester Kampf gewesen. Dafür arbeite ich hart.
Abendblatt: Warum haben Sie nur so kurz pausiert? Tut es in Ihrem Alter dem Körper gut, wenn er immer in Bewegung bleibt?
Klitschko: Ich hatte früher nach meinen Kämpfen oft wochenlang geschwollene Hände oder andere kleine Blessuren. Nach Los Angeles war ich topfit und fühlte mich gut, und als das Angebot von unserem TV-Partner RTL und der Berner Arena kam, haben wir entschieden, es anzunehmen.
Abendblatt: Johnson ist zwar in 22 Kämpfen unbesiegt, hat aber nur neunmal vorzeitig gewonnen und keine großen Namen im Rekord. Ist er Kanonenfutter?
Klitschko: Ich werde nicht den Fehler machen wie mein Bruder Wladimir, als er Corrie Sanders zu leicht nahm. Kevin Johnson hat einen sehr guten Jab, er ist beweglich und schwer zu treffen. Es wird eine Schlacht. Ich schätze meine Siegchancen als sehr gut ein. Aber ich muss jede Sekunde konzentriert sein.
Abendblatt: Verspüren Sie vor Ihren Kämpfen noch immer Nervosität oder gar Angst?
Klitschko: Dank meiner Erfahrung ist die Nervosität nicht mehr groß. Angst ist immer da, aber nicht vor dem Gegner oder dem Kämpfen an sich. Ich habe Angst, verletzt zu werden oder meine Fans zu enttäuschen.
Abendblatt: Der Selbstmord von Nationaltorwart Robert Enke hat eine Diskussion ausgelöst, wie die Gesellschaft und auch der Leistungssport mit Schwäche umgeht. Was denkt ein Boxer, den die Aura des harten Mannes umgibt, über den Fall Enke?
Klitschko: Das ist ein sehr sensibles Thema. Ich denke, es gibt keinen Menschen, der nie depressive Gedanken hatte. Ich selbst war nach meiner Niederlage gegen Chris Byrd im April 2000 auch depressiv. In der Presse wurde ich als Weichei bezeichnet. Das hat mich tief verletzt. Ich hatte nie Selbstmord-Gedanken, aber ich war froh, dass Menschen an meiner Seite waren, die mich aus dem Tief gezogen haben. Es ist die Aufgabe der Umwelt, der Gesellschaft, kranken Menschen zu helfen, mit ihrer Schwäche umgehen zu können.
Abendblatt: Könnte sich ein Boxer als depressiv outen, ohne verspottet zu werden?
Klitschko: Warum denn nicht? Es spielt keine Rolle, ob einer Boxer, Fußballer oder normaler Angestellter ist. Wir sind alle Menschen mit Gefühlen. Erinnern Sie sich nur an Arreola, der nach der Niederlage gegen mich im Ring geweint hat. Auch die harten Jungs sind Menschen mit Emotionen und Schwächen. Das sollte jeder akzeptieren.
Abendblatt: Boxen ist Show. Haben Sie sich damit abgefunden, dass Ihre Gegner versuchen, mit Sprüchen auf Ihre Kosten zu glänzen?
Klitschko: Ja, ich lese das nicht und höre nicht mehr hin. Ich bin im Trashtalk nicht gut und verkaufe mich lieber über Leistung im Ring. Es ist außergewöhnlich, wenn jemand beides perfekt beherrscht. Das konnte nur Muhammad Ali.
Abendblatt: Der Brite David Haye, der Anfang November Nikolai Valuev besiegte und jetzt WBA-Weltmeister ist, hat Sie und Ihren Bruder mehrmals beleidigt. Ist er für 2010 Ihr Wunschgegner?
Klitschko: Ich hatte Valuev die Daumen gedrückt, weil es mein Traum war, gegen ihn den vierten und letzten wichtigen WM-Titel zur Familie Klitschko zu holen. Leider hat er gegen Haye gar nichts gemacht. Es war ein langweiliger Kampf. Haye hat schlau geboxt. Ich habe nicht vergessen, was er über Wladimir und mich gesagt hat. Deshalb würde ich mich über einen Kampf sehr freuen. Ich möchte wie ein Künstler sein Gesicht mit verschiedenen Farben versehen.
Abendblatt: Das WBC ordnet allerdings eine Pflichtverteidigung gegen den Sieger des Duells zwischen Oleg Maskaev und Ray Austin an. Nervt es, gegen Boxer antreten zu müssen, die keine ausreichende Klasse haben?
Klitschko: Leider gibt es derzeit nicht die großen Namen wie früher mit Tyson, Holyfield, Lewis. Deshalb bin ich bereit, gegen jeden Boxer zu beweisen, den man mir vorsetzt, dass ich der würdige Weltmeister bin.