Lars Geipel, Sprecher der Unparteiischen in der Bundesliga, beklagt das geschwundene Vertrauen, fordert Regeländerungen und schildert einen Fall versuchter Einflussnahme.

Abendblatt:

Herr Geipel, Sie und Ihr Kollege Marcus Helbig sind am vorvergangenen Wochenende beim Bundesliga-Spitzenspiel HSV gegen THW Kiel kurzfristig für Ihre wegen Korruptionsverdacht suspendierten Kollegen Lemme/Ullrich eingesprungen. Nach dem Spiel mussten Sie mit Schirmen vor den Fans geschützt werden. Macht es noch Spaß, Handballschiedsrichter zu sein?

Geipel:

Wenn es grundsätzlich keinen Spaß machen würde, wäre man falsch in dem Job. Solche Extremsituationen muss ich sicher nicht jedes Wochenende haben. Aber da muss man als Schiedsrichter wohl mal durch.



Abendblatt:

Wäre der Eklat auch passiert, wenn man nicht täglich neue Manipulationsvorwürfe hören würde?

Geipel:

Das war wohl eine explosive Mischung: die Vorgeschichte, der dramatische Spielverlauf mit dem Stürmerfoul gegen Hamburg und dem Siebenmeter für Kiel in der Schlusssekunde. Dass man da von den einheimischen Fans keinen Beifall bekommt, ist logisch. Aber wir haben das gepfiffen, was wir gesehen haben, und wir stehen zu diesen beiden Entscheidungen nach wie vor.



Abendblatt:

In einem Handballspiel gibt es aber eine Vielzahl enger Situationen, der Ermessensspielraum ist sehr groß.

Geipel:

Wir müssen pro Spiel etwa 350 Entscheidungen fällen. Im Bereich Stürmerfoul, Schritte, Zeitspiel bewegt man sich oft im Grenzbereich. Hier die Linie zu halten ist die große Kunst.



Abendblatt:

Vor einem Jahr haben Sie uns auf die Frage nach Korruption im Handball gesagt: "Für meine Bundesligakollegen lege ich die Hand ins Feuer." Würden Sie noch zu der Aussage stehen?

Geipel:

Für mich war damals nicht vorstellbar, dass so etwas passiert sein könnte und auch deutsche Schiedsrichter involviert sind. Für die Bundesliga würde ich Korruption nach wie vor ausschließen, wir haben das nicht einmal andeutungsweise erlebt.



Abendblatt:

Und international?

Geipel:

Geld ist uns nie angeboten worden. Wir haben dem europäischen Verband EHF jetzt in dem verschickten Fragebogen einen Fall gemeldet. Vor einem Champions-League-Viertelfinale der Frauen in Russland sind wir vom ukrainischen Schiedsrichter Walentin Wakula angerufen worden, ob wir irgendwelche Wünsche hätten, weil doch seine Frau dort spiele und es ein sehr wichtiges Spiel sei. Das habe ich dann sofort abgeblockt. Wir haben dem Schiedsrichterwart des Deutschen Handballbundes, Peter Rauchfuß, und dem Mitglied der Spiel- und Regelkommission des Weltverbands IHF, Manfred Prause, von dem dubiosen Anruf berichtet und haben uns darauf geeinigt, es zu beobachten und, sollte etwas vorfallen, der EHF zu melden. Aber in Russland ist dann nichts passiert.



Abendblatt:

Andere Schiedsrichter sollen sich gern mal vom Gastgeberverein verwöhnen lassen.

Geipel:

Eine Flasche Wein kann ich mir auch im Supermarkt holen. Wenn du einen Job hast, dein soziales Umfeld gefestigt ist, ist das Risiko, für solche Dinge empfänglich zu sein, sehr gering. Ausschließen kann man es aber nicht. Letztlich ist das auch eine Charakterfrage. Fakt ist: Es muss Regularien geben, was erlaubt ist und was nicht, Feierabend! Das ist ein Kernpunkt, den die Verbände durchsetzen müssen.



Abendblatt:

Sollte bei den komplexen Anforderungen Schiedsrichter nicht der Hauptberuf sein?

Geipel:

Ein Profischiedsrichter kann das Problem nicht lösen. Zu viele Fragen sind offen: Wer soll das bezahlen? Wer beurteilt die Leistung? Wie ist die soziale Absicherung? Das funktioniert schon im Fußball nicht richtig. Wichtiger wäre, den Ermessensspielraum zu beschränken. Vor allem beim Zeitspiel sollte man sich Gedanken machen. Und es muss einen Kontrollausschuss wie im Fußball geben, der die Schiedsrichter vor Beleidigungen in der Öffentlichkeit schützt. Wenn wir schlecht waren, waren wir schlecht. Aber ich muss mir nicht von einem Torsten Jansen (HSV-Profi, die Red. ) sagen lassen, ich hätte mein Hirn ausgeschaltet.



Abendblatt:

Wie bekommen Sie Ihren Hauptberuf Zeitungsredakteur mit dem Nebenberuf Schiedsrichter unter einen Hut?

Geipel:

Wenn die Kollegen da nicht mitspielen würden, würde es nicht funktionieren. Für Freizeit und soziale Kontakte bleibt da eigentlich viel zu wenig Zeit.



Abendblatt:

Und das alles für 500 Euro Aufwandsentschädigung. Ist es das wert?

Geipel:

Ich gebe zu: Nach dem Spiel in Hamburg saß ich in der Kabine und habe gezweifelt. Ich muss meinen Namen auch nicht am Montag in jeder Zeitung lesen. Aber letztlich ist das Geld zweitrangig. Ich habe einen super Job, super Freunde und eine tolle Familie, da kommt es auf 500 Euro nicht unbedingt an.



Abendblatt:

Wie schwer ist Ihr Job durch den Skandal geworden?

Geipel:

Das Vertrauen in die Schiedsrichter ist in den Grundfesten erschüttert. Dabei macht die Akzeptanz bei Spielern und Trainern so viel aus. Aber ich will mich nicht beklagen: Es ist eine gigantische Herausforderung, ein Handballspiel zu leiten.



Abendblatt:

Gehen Sie jetzt noch wachsamer an die Sache?

Geipel:

Ja. Wobei mir immer klar war: Es gibt keine Freunde. Wir haben alle einmal in der Kreisklasse angefangen, da wurde dann abends gemeinsam mit den Spielern ein Bier getrunken. Aber auf diesem Niveau geht das nicht.