Im Juni 2010 könnte der Stürmer ablösefrei wechseln. Jedes Tor macht ihn attraktiver für europäische Spitzenvereine. Bilder von Paolo Guerrero.

Hamburg. Die Geschichte ist verbrieft: Als der 18-jährige Paolo Guerrero 2002 von Alianza, dem größten Verein in Perus Hauptstadt Lima, zu Bayern München gewechselt war, musste er sich erst bei den Amateuren des deutschen Rekordmeisters beweisen. Co-Trainer des Nachwuchsteams war damals Gerd Müller, der einstige Bomber der Nation. "Er hat mir das Toreschießen beigebracht", sagt Guerrero, der sich damals über eine besondere Belohnung freuen durfte: Nach jedem Tor schenkte ihm Müller eine Tafel Schokolade.

Sieben Jahre später lässt sich Guerrero seine Treffer etwas mehr kosten - und jeder Treffer macht den Angreifer teurer, wie die beiden Doppelpacks gegen Galatasaray Istanbul im Uefa-Pokal (3:2) und gegen Schalke 04 in der Bundesliga (2:1).

Seit dem Sommer 2006, als Guerrero für 2,5 Millionen Euro Ablöse von Bayern München zum HSV wechselte, hat sich der heute 25-Jährige kontinuierlich entwickelt. Trainer Martin Jol schätzt vor allem seine Qualitäten hinter den Spitzen, wo Guerrero seine Technik als erste Anspielstation in der Offensive gewinnbringend einsetzen kann. Der peruanische Nationalspieler ist im Grunde der heimliche Nachfolger des nach Real Madrid abgewanderten Rafael van der Vaart: Kein Spieler im HSV-Kader hat diese Fähigkeiten, als Verbindungsglied zwischen der Abwehr und dem Angriff zu fungieren.

Allerdings wurde Guerrero auch einige Male das Opfer der starken Konkurrenz im Angriff. Wenn Ivica Olic und Mladen Petric fit waren, entschied sich Jol häufig für das kroatische Duo, und dem dritten Qualitätsstürmer blieb nur die Ersatzbank.

Trotz dieser unfreiwilligen Auszeiten hätten die Verantwortlichen des HSV liebend gerne schon lange den bis zum 30. Juni 2010 laufenden Vertrag verlängert. "Wir haben im vergangenen Sommer einige Male zusammengesessen und gesprochen", bestätigt Sportchef Dietmar Beiersdorfer, der sich aber eine Abfuhr holte: "Paolo hat sich entschieden, noch zu warten."

Warten - diese Situation kennt der HSV noch zu genau vom "Fall Ivica Olic". Die Verhandlungen zogen sich über Monate hinaus, der kroatische Nationalspieler schoss viele Tore, und das Ende ist bekannt: Olic wechselt am Ende der Saison zu Branchenprimus Bayern München. Ablösefrei.

Das gleiche Schicksal droht dem Klub nun bei Guerrero, der von der Berateragentur SP International betreut wird. Deren Inhaber Rodger und John Linse haben mit dem HSV bereits einige lukrative Transfers getätigt. Zu ihren Kunden zählen neben Guerrero auch Nigel de Jong, der für 18 Millionen Euro zu Manchester City wechselte, und Khalid Boulahrouz (wechselte für 13 Millionen Euro vom HSV zu Chelsea).

Könnte Guerrero weiter wichtige Tore bis zum Ende der Saison schießen, hätte der HSV-Vorstand die Chance, noch einmal Kasse mit seinem Topstürmer zu machen, vorausgesetzt, Guerrero zieht die Option vor, bis 2010 zu bleiben und bei einem Wechsel dann ein üppiges Handgeld zu kassieren.

Tore - das ist die Währung, die seinen Kurs steigen lässt. Abseits des Platzes kleidet sich Guerrero zwar modisch-extravagant, in seiner Wohnung an der Elbe liegen über hundert Mützen. Doch anders als andere Fußballer versucht er nicht, über die Öffentlichkeit seinen Marktwert aufzubessern.

"Ich hatte bereits Angebote aus England, aber ich bin noch in Hamburg. Ich mag die Stadt und den Verein", sagte Guerrero kürzlich dem Abendblatt in einem seiner seltenen Interviews und bezeichnete sich selbst als "eher schüchternen Typ. Kann sein, dass ich dadurch manchmal eingebildet rüberkomme, dabei bin ich nur zurückhaltend."

Eine Einschätzung, die Beiersdorfer teilt: "Paolo ruht überwiegend in sich selbst", charakterisierte der Sportchef den Stürmer und kündigte zugleich an, sich weiter intensiv zu bemühen: "Wir sind weiter interessiert, dass Paolo noch eine lange Zeit bei uns bleibt."

Ob es beim nächsten Verhandlungsgespräch hilfreich wäre, eine Tafel Schokolade im Gepäck zu haben, ist ungewiss. Aber Beiersdorfer sollte es zumindest versuchen. Viele andere Trümpfe hat er nicht in der Hand.