Alfred Gislason wohnt an der Peripherie Kiels. Er fährt selten zum Vergnügen in die Stadt. “Die Arbeit lässt mir wenig Zeit. Training, Vorbereitung,

Kiel. Alfred Gislason wohnt an der Peripherie Kiels. Er fährt selten zum Vergnügen in die Stadt. "Die Arbeit lässt mir wenig Zeit. Training, Vorbereitung, Videostudium, das nimmt meistens den ganzen Tag in Anspruch", sagt der Isländer. Seit dem vergangenen Sommer trainiert der 49-Jährige das Beste, was es wohl derzeit im Handball gibt: den THW Kiel. Und wenn die Mannschaft am Sonnabend den Bundesliga-Hit beim Tabellenzweiten HSV in Hamburg gewinnen sollte, "wäre der Titelkampf in dieser Saison vorzeitig entschieden", sagt selbst Gislason. So früh wie selten in der Geschichte der Liga. Kiel hätte zehn Spieltage vor Schluss zehn Minuspunkte Vorsprung.

Das ist die sportlichen Seite. Dass der deutsche Rekordmeister ins Gerede geraten ist, weil er in der Champions League seit Jahren Schiedsrichter gekauft haben soll, die andere. Gislason nervt dieses Thema. "Gibt es denn kein anderes mehr. Das sind doch alles nur Gerüchte. Lassen Sie uns über Handball sprechen", bittet er. Seine Miene wirkt grimmig bei diesen Worten. Das Gespräch droht zu enden, bevor es begonnen hat.

In Kiel scheint die Affäre bisher kaum angekommen zu sein. Wir sitzen bei Toni's, einem Italiener im Zentrum der Stadt, am Fährhafen. Gislason ist hier bestens bekannt. Der Wirt tritt an den Tisch, spricht ein paar aufmunternde Sätze. Als der Gast am Nachbartisch den Coach entdeckt, lässt er die Speisekarten sinken. "Seit Herr Gislason den THW trainiert, ist diese Mannschaft noch ein erhebliches Stück stärker geworden. Und endlich kommen auch mal Spieler zum Einsatz, die bei seinem Vorgänger immer nur auf der Bank schmorten", sagt er. Gislason lächelt das erste Mal an diesem Nachmittag.

Die intensive Arbeit des Isländers, eines Trainers, der nicht auf seinen Bauch, sondern die Wissenschaft hört, hat Spuren hinterlassen. Da sind sich die THW-Fans nach wenigen Monaten einig. Gislason gibt das Kompliment gern weiter: "Ich habe von Noka Serdarusic eine gut strukturierte Mannschaft übernommen. Die Spieler haben eine enorm schnelle Auffassungsgabe. Das ist nicht nur ein hochmotiviertes, sondern auch ein hochintelligentes Team. Was wir uns im Training erarbeiten, können sie sofort umsetzen." Das habe er in dieser Weise noch nie erlebt, will er erst sagen, sagt es aber nicht. Gislason ist 2002 mit Magdeburg Champions-League-Sieger geworden. "Ich habe immer herausragende Spielerpersönlichkeiten trainieren dürfen", formuliert er schließlich den Gedanken. Das klingt politisch korrekt. Ein Trainer hat stets an ein Morgen zu denken.

Der THW hatte den ehemaligen Weltklassespieler im vergangenen Juli für 750 000 Euro aus dem Vertrag beim VfL Gummersbach gekauft. Die Investition hat sich ausgezahlt. Mit Kommunikator Gislason ("Ein Trainer muss erklären können, was er wann warum macht") sind die Kieler bislang noch erfolgreicher, als sie es unter der strengen Regie Serdarusic' bereits waren. "Für eine solche Bewertung ist es viel zu früh", mahnt Gislason.

Mit einem gewissen Stolz in der Stimme berichtet er dann aber vom kürzlichen Champions-League-Spiel gegen Ciudad Real, den Titelverteidiger aus Spanien. "Die haben einen weit größeren Kader als wir. Doch in den letzten zehn Minuten konnten sie körperlich nicht mehr mithalten. Das freut einen Trainer schon." Der THW siegte in der Sparkassen-Arena mit sieben Toren Vorsprung. Seine Mannschaft sei physisch eben sehr stark, sagt Gislason. "Das ist die Grundlage der Erfolge" - und natürlich das enorme Selbstbewusstsein. "Die Spieler glauben an sich, in jeder Situation, egal wie hoch der Rückstand auch sein mag. Sie wissen, sie können jedes Spiel drehen. Diese Erfahrung macht sie sehr, sehr stark."

Ein Verein wie der THW, sagt Gislason zum Abschied, hat die Manipulation von Spielen gar nicht nötig. "Diese Mannschaft kann jede andere auf der Welt schlagen. Da muss niemand mit Geld nachhelfen."