Die Meisterschaft und den DFB-Pokal haben sie diese Saison schon gewonnen. Der Titelhunger der Bayern ist aber immer noch nicht gestillt.

München. Eine dreiviertel Stunde nach Mitternacht reihte sich vor einem festlich gekleidetem Publikum auch Karl-Heinz Rummenigge in die Reihe der zahllosen Schwärmer ein. „Mit Stolz, mit Freude und mit großer Genugtuung“, habe ihn das Pokalfinale erfüllt, „eine Demonstration des Fußball“ und „ein fantastisches Spiel“, sei dieses berauschende 4:0 (1:0) gegen Werder Bremen gewesen, sagte der Vorstandsvorsitzende von Bayern München in das Saalmikrofon. Dann ergänzte er feierlich, mit staatstragender Stimme: „Ich glaube, dass diese Mannschaft diese historische Chance packt.“

Der Glaube, dass der deutsche Rekordtitelträger nach der 22. Meisterschaft und dem 15. Pokalsieg nun auch noch das Endspiel der Champions League am 22. Mai in Madrid gegen Inter Mailand gewinnt, ist nicht nur bei Rummenigge stark ausgeprägt. Als „eine sehr gute Leistung, die für Sonnabend Hoffnung macht“, bezeichnete der tapfer um Zurückhaltung ringende Sportdirektor Christian Nerlinger die Demontage der chancenlosen Bremer. Und Bastian Schweinsteiger, seit Monaten in bestechender Form, versicherte: „Wenn wir abrufen, was wir können, werden wir dieses Spiel gewinnen.“

Inter Mailand ist nicht Werder Bremen, aber „Jose Mourinho hat gesehen, dass auch wir Fußball spielen können“, sagte Trainer Louis van Gaal, der ebenfalls sehr angetan war vom berauschenden Auftritt seiner Mannschaft im ausverkauften Berliner Olympiastadion (75.420 Zuschauer). „Wir haben“, erläuterte das gut gelaunte, diesmal aber eher zahme „Feierbiest“ noch, „vielleicht das beste Spiel in dieser Saison gespielt.“ Dass der Niederländer nicht uneingeschränkt vom besten Spiel sprechen wollte, hatte wohl seinen Grund: „Da wartet noch ein Spiel“, betonte van Gaal.

Zum fünften Mal nach 1974, 1975, 1976 und 2001 kann der FC Bayern die europäische Landesmeister-Trophäe gewinnen und damit als erste deutsche Mannschaft das Triple. National spielen die Münchner derzeit in einer anderen Liga, erst recht, wenn sie so entschlossen, konzentriert und zugleich leidenschaftlich auftreten wie am Sonnabend. Selbst seine fußballerische Hoheit „Kaiser“ Franz Beckenbauer war da very amused: „Wenn mir das einer vor einem halben Jahr gesagt hätte, hätte ich ihn in die Nervenheilanstalt weitergeleitet. Heute ist es eine Wonne, dieser Mannschaft zuzuschauen.“

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Nur in zwei Situationen wackelten die Münchner in Berlin. In der achten Minute hielt Torhüter Jörg Butt einen Schuss von Claudio Pizarro und den Nachschuss von Torsten Frings, der später Gelb-Rot wegen wiederholten Foulspiels sah (77.). Kurz nach der Pause lenkte der Münchner Schlussmann einen Kopfball von Pizarro über die Latte (48.). Zu diesem Zeitpunkt stand es gerade erst 1:0, Arjen Robben hatte einen von Per Mertesacker verschuldeten Handelfmeter sicher verwandelt (35.). Danach folgte die Bremer Demontage durch Ivica Olic (52.), Franck Ribery (63.) und Schweinsteiger (84.).

Die vier Treffer waren nur ansatzweise ein Ausdruck für die beeindruckende Art und Weise, wie der FC Bayern seinen Gegner Stück für Stück auseinandernahm. Angesichts dieser Demonstration geriet im fernen Sizilien auch der Bundestrainer ins Schwärmen: „Glückwünsch an die Bayern und Louis van Gaal. Sie haben fantastisch gespielt - ihre Raumaufteilung, Systematik, sie spielen Fußball auf einem ganz hohen Niveau“, sagte Joachim Löw. Sieben Münchner hat er in seinen vorläufigen, 27-köpfigen WM-Kader berufen, und er klang, als würde er alle sieben gleich direkt in seine Stammformation berufen.

Unter Trainer van Gaal hat der FC Bayern eine Woche vor dem Endspiel der Champions League sein Spielsystem fast schon bis zur Perfektion optimiert. Dazu kommt das gewisse Etwas, wie Rummenigge in seiner nächtlichen Rede am Hauptsitz des Hauptsponsors in Berlin hervorhob. „Wir haben eine Saison, wie wir sie vielleicht noch nie hatten“, sagte er nach dem achten Double der Vereinsgeschichte und strich im Nachsatz sogleich das „vielleicht“: „Diese Mannschaft hat eine Leidenschaft, einen Willen und einen Kampfgeist, wie wir sie noch nie hatten.“ Beckenbauer nickte bei diesen Worten stumm.

Vor allem kommen die Qualitäten des FC Bayern immer dann besonders deutlich zum Vorschein, wenn es um „Tod oder Gladiolen“ geht, wie Trainer van Gaal zu sagen pflegt. Die Münchner wollten den Pokalsieg, um ihre Chance auf das Triple nicht zu verspielen - eine derartige Situation hätte sich Klaus Allofs auch für Werder Bremen gewünscht. „Bei uns läuft es viel besser, wenn wir die Pistole auf der Brust haben“, sagte der Sportdirektor, musste aber eingestehen: „Wir waren heute ganz weit weg von unserem optimalen Spiel, weil bei uns der Druck nicht da war.“

Druck, behauptete Vereinspräsident Uli Hoeneß, hat jetzt auch der FC Bayern nicht mehr. „Jetzt haben wir das Double gewonnen und in Madrid überhaupt nichts zu verlieren“, sagte er. Die Mannschaft sieht das ein bisschen anders. „Wir haben noch mehr vor“, betonte Philipp Lahm: „Ein Double ist schön, aber ein Triple noch besser.