Bad Oldesloe. Wie es Mutter aus Bad Oldesloe trotz knapper Kasse gelingt, Lebensunterhalt zu sichern. Warum ihre Kinder dennoch unter Stress leiden.

Wann beginnt Armut? Für Silvia Schmitt (alle Namen geändert) stellt sich diese Frage erst gar nicht. Sie spürt jeden Tag, dass sie zu den Menschen gehört, die von Armut betroffen sind. Die alleinerziehende Mutter lebt mit ihren drei schulpflichtigen Kindern im Alter von zwölf, 15 und 17 Jahren in einer Dreizimmerwohnung in Bad Oldesloe. Ein eigenes Schlafzimmer hat Schmitt nicht, sie schlägt jeden Abend ihr Bett im Wohnzimmer auf. Silvia Schmitt weiß, was Verzicht bedeutet, die Familie lebt seit fast zwölf Jahren am Existenzminimum. Inzwischen ist sie so etwas wie ein Profi im Verzichten.

Schon vorher sei es finanziell eng gewesen, berichtet Schmitt. Ihr Ex-Mann habe keinen Job gehabt. Erst kurz vor der Trennung habe er wieder Arbeit gefunden. Doch davon profitiert die Familie nicht. Der Vater der Mädchen zahlt keinen Unterhalt. Er hat eine neue Familie gegründet. Vor der Familienphase hat Silvia Schmitt als Bauzeichnerin gearbeitet. Dass sie ihren Job nicht wieder aufnehmen konnte, liegt an psychischen Problemen und Entwicklungsverzögerungen, mit denen ihre Töchter zu kämpfen haben. Selbst der Besuch des Schulunterrichts konnte zur unüberwindbaren Hürde werden. Da die Kinder eine engmaschigere Betreuung brauchten, blieb sie in Absprache mit dem Jugendamt zu Hause.

Arme Familien in Stormarn: Auch Kinder haben Angst vor dem Monatsende

Die 45-Jährige würde gern bald wieder in den Beruf zurückkehren. Doch das ist nicht so einfach. Sie war lange raus. 1200 Euro pro Monat erhält Schmitt vom Jobcenter, das auch die Kosten für Kaltmiete und Krankenkasse übernimmt. Hinzu kommen 750 Euro Kindergeld. Macht zusammen 1950 Euro. 120 Euro muss sie für Strom bezahlen, für Handys und Internet 150 Euro, öffentliche Verkehrsmittel schlagen mit 160 Euro zu Buche. 50 Euro gehen für Haftpflicht- und andere Versicherungen drauf. Des Weiteren muss sie für kieferorthopädische Behandlungen 100 Euro aufbringen und einen privaten Kredit in 150-Euro-Raten abbezahlen.

Bleiben noch 1220 Euro – pro Person rund 300 Euro – für den Lebensunterhalt übrig. Davon müssen Kleidung, Schuhe, Reinigungs-, Hygieneartikel sowie Lebensmittel finanziert werden. Sonderausgaben wie Schulausflüge, Reparaturen oder der Kauf einer neuen Waschmaschine, Mitbringsel zu Kindergeburtstagen, Schulbedarf, Geschenke, Zuzahlungen für Medikamente, kulturelle Veranstaltungen und mehr sind da noch gar nicht berücksichtigt. Für die Schmitts sind Dinge, die für andere ganz selbstverständlich zum Alltag dazugehören, unerschwinglich. Ein Auto haben sie nicht. „Das kann ich mir gar nicht leisten“, sagt Schmitt.

Die drei Töchter sind sich der prekären Situation durchaus bewusst

Um Kosten zu sparen, „habe ich in der Vergangenheit schon die Kleiderkammer Bargteheide aufgesucht, aber auch mal Kleiderspenden über den Blauen Elefanten bekommen“, berichtet sie. Das Kinderhaus Blauer Elefant des Kinderschutzbunds Stormarn ist ein Anlaufpunkt für die Familie. Auch das Angebot der Tafel hat sie zeitweise genutzt. Doch der Andrang sei mittlerweile so groß, dass es bereits zu einem Engpass gekommen sei.

Ihren Töchtern zuliebe stellt Schmitt eigene Bedürfnisse hintenan. Sind die Kinder zu Geburtstagsfeiern eingeladen, wird erwartet, dass sie ein Geschenk mitbringen. „Deswegen haben sie auch schon angeboten, nicht hinzugehen“, aber das will Schmitt nicht. Sie macht es immer irgendwie möglich. „Der soziale Kontakt ist wichtig, sonst bleiben irgendwann die Freundinnen weg“, sagt sie.

Die Mädchen sollen unter den finanziellen Problemen so wenig leiden wie möglich. Doch die Mädchen sind sich der Situation durchaus bewusst. Und gehen erstaunlich reflektiert damit um. Wie fühlt es sich an, wenn Klassenkameraden Markenklamotten oder das neueste Handymodell haben und man selbst nicht mithalten kann? Das störe sie nicht, sagt Michelle (12), das Nesthäkchen der Familie. „Das Gefühl ist nicht so gut“, gibt sie zu. „Aber ich schenke dem keine Beachtung.“ Das muss man aber erst einmal hinkriegen.

Kinder müssen oft verzichten, wenn Freunde etwas unternehmen

„Natürlich hätten sie gern modernere Handys“, ergänzt ihre Mutter. „Aber sie sind in dem Moment einfach zufrieden, dass sie ein funktionierendes Handy haben, sie wollen nicht immer das neueste.“ Wenn Freunde der ältesten Tochter Melanie sich zu Unternehmungen verabreden, bleibt sie manchmal zu Hause, weil begrenzte finanzielle Mittel auch die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erschweren.

Das Gefühl, ausgeschlossen zu sein, habe sie aber eigentlich nicht, so die 17-Jährige. „Ich erkläre dann, dass das nicht geht, weil das Geld gerade knapp ist“, sagt sie. Bei Freunden geht sie meistens offen mit dem Thema um. Die zeigten Verständnis. „Wenn es sich nur um Kleinigkeiten handelt, bieten sie auch manchmal an, dass sie das bezahlen oder mir das Geld dafür leihen können.“

Alle Anschaffungen müssen schon lang im Vorhinein geplant werden

Das Taschengeld für die Kinder zwackt Schmitt vom Haushaltsgeld ab. Die Beträge sind je nach Alter von 15 bis 30 Euro gestaffelt. Einen Großteil geben die Jugendlichen für Kosmetik aus. Bei Kleidung fällt Michelle der Verzicht besonders schwer. „Wenn mir beispielsweise eine Hose gut gefällt“, sagt sie. Teils trägt sie die Sachen ihrer älteren Schwestern auf.

Welche Rolle spielt Geld in ihrem Leben? Melanie winkt ab: „Wir reden da jetzt nicht ständig drüber, so übertrieben wichtig ist Geld nicht.“ Wichtig sei hingegen, dass die grundlegenden Dinge zum Überleben finanziert werden könnten. Aus dem Mund einer Jugendlichen klingt das erschreckend fatalistisch.

Ihre Mutter sagt: „Es stört meine Töchter schon, wenn sie etwas gern haben möchten und ich sagen muss, jetzt ist das nicht möglich.“ Alle Anschaffungen müssten länger geplant werden. Der Beginn eines neuen Schuljahrs stellt Silvia Schmitt jedesmal vor neue Herausforderungen. Zwar haben die Kinder Anspruch auf das Schulbasispaket von je 195 Euro. Doch die Summe wird nicht auf einmal ausgezahlt. „Der Betrag steigt auch nicht so stark wie die Teuerung“, beklagt Schmitt. „Für alle drei reicht das bei Weitem nicht aus.“ Für Arbeitsbücher zum Reinschreiben, Hefte, Stifte, Zeichenmaterial, Taschenrechner und mehr. Nicht mitfinanziert werden Sportschuhe und -kleidung, manchmal kommen noch Hallenschuhe obendrauf, weil Turnschuhe für draußen nicht drinnen getragen werden dürfen.

Selbst bei den Schulaufgaben spüren die Kinder die Benachteiligung

Das schuleigene Tablet, dass sie während der Corona-Zeit zu Hause nutzen durften, mussten sie abgeben. Einen Antrag auf Weiternutzung hat die Schule abgelehnt. Seitdem gibt es kein Tablet oder Laptop im Haushalt, das die Schülerinnen nutzen könnten.

„Es ist sehr nervig und nicht so schön, wenn man eine Präsentation machen muss. Meistens haben wir das nicht geschafft“, sagt Michelle. Die Lehrer zeigten kein Verständnis. „Wenn wir ihnen sagen, dass wir kein iPad haben, meinen sie immer, dass wir selbst eine Lösung finden müssen.“ Wenn sie Hausaufgaben haben, für die sie ein Tablet benötigen, „kommen wir nicht weiter“, berichtet Michelle. Wo bleibt da die Chancengleichheit?

So viele Anträge an den Familienhilfe-Notfonds gab es zuvor noch nie

In Fällen wie diesem kann der Familien-Notfonds des Kinderschutzbunds Stormarn die Anschaffung unterstützen. Geschäftsführer Oliver Ruddigkeit sagt: „Der Familienhilfe-Notfonds kann Zuschüsse geben, aber die Kosten nicht in voller Höhe übernehmen.“ Es sei aber möglich, „zweckgebunden zu spenden, dann bringen wir Spender und Empfänger zusammen“.

So viele Anträge an den Fonds wie im vorigen Jahr hat es in der Geschichte des Kreisverbandes noch nie gegeben. Mehr als 120.000 Euro hat er 2023 an hilfsbedürftige Familien ausgezahlt – fast doppelt so viel wie vor Corona. „Für uns ist dies ein Warnsignal, gerade beim Thema Kinderarmut können wir uns nicht zurücklehnen“, so die beiden Vorsitzenden Vera Siebert und Jürgen Heins. Schleswig-Holsteins Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) nannte bei der Vorstellung des Berichts über Kinderarmut im März konkrete Zahlen: Demnach lebt jedes fünfte Kind im Land unterhalb der Armutsgrenze. Das Armutsrisiko steige unter anderem für Kinder von Alleinerziehenden (40 Prozent), Arbeitslosen (72 Prozent) und in Familien mit mindestens drei Kindern (37 Prozent). Auf die Schmitts treffen alle drei Faktoren zu.

Für die Zukunft wünschen sich die Töchter weniger Stress und Angst

Wenn der Monat seinem Ende zugeht und die Haushaltskasse immer leerer wird, hat das Folgen für die Psyche. Melanie: „Es ist an sich sehr stressig. Manchmal gibt es ein bisschen Streit, weil man gereizt ist.“ Für die Zukunft wünscht sich die Jugendliche, „dass man nicht mehr diesen Gedanken haben muss, dass es am Ende des Monats knapp ist, und nicht mehr diese Angst.“ Michelle ergänzt: „Die Angst ist nicht immer da, eher wenn das Geld gegen Ende des Monats knapp wird. Und wir wissen, jetzt müssen wir darauf achten, dass das noch reicht.“

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Wenn Melanie sich eine Sache leisten könnte, „würde ich mit der Familie für mehrere Tage in Urlaub fahren – irgendwohin ins Ausland, wo es schön warm ist“, sagt sie. Eine Urlaubsreise wäre purer Luxus für die vier. Was ihnen Kraft gibt, ist der Zusammenhalt. Sie sind ein Team, darin sind sich alle einig. Silvia Schmitt wünscht sich mehr Akzeptanz und Verständnis von ihrem Umfeld: „Man ist nicht schlechter als andere Menschen, nur weil man arm ist.“

Wer die Anschaffung eines Tablets für die Schülerinnen unterstützen will, kann das Spendenkonto des Familienhilfe-Notfonds bei der Sparkasse Holstein mit der IBAN DE50 2135 2240 0130 0083 54 unter Angabe des Vermerks „Tablets Schulkinder“ nutzen.