Jersbek. Die Forderung ist klar: Präsenzpflicht abschaffen und Hybridunterricht schaffen. Durch Corona fühlen sich Schüler nicht mehr sicher.
Die Botschaft ist eindeutig: „Die Situation an unseren Schulen ist nach zwei Jahren unerträglich geworden“, heißt es in einem Brandbrief, mit dem sich in der vergangenen Woche knapp 100 Schulsprecher und mehrere Landesschülervertreter aus ganz Deutschland an Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Karin Prien (CDU), gewandt haben. Angesichts der rasant steigenden Infektionszahlen unter Corona und der Präsenzpflicht, an der die Politik festhält, fühlen sie sich in ihren Schulen nicht sicher.
Abstände können nicht eingehalten werden
Das bestätigt auch Ben Fricke, Landesschülersprecher der Gymnasien in Schleswig-Holstein. Der Jersbeker besucht das Gymnasium Eckhorst in Bargteheide. „Die Schule fühlt sich nicht wie ein sicherer Ort an“, sagt der 19-Jährige. „Jeden Tag sitzen wir dicht an dicht im Klassenraum. Es ist bedrückend. Wir können gar keinen Abstand halten.“ Da schützten auch Tests und die Maskenpflicht nicht vor Infektionen. Dreimal pro Woche testen sich die Schüler. Aber: „Ob und wie die Schüler sich testen, kontrolliert niemand. Sie geben dem Lehrer lediglich auf Vertrauensbasis Bescheid, dass sie sich getestet haben, und der trägt sie dann in eine Liste ein“, sagt Fricke. Der Schüler kann sich durchaus vorstellen, dass es da mal zu Versäumnissen kommt. „Ich würde mir mehr Kontrolle wünschen. So leidet das Sicherheitsempfinden der Schüler noch mehr“, sagt er.
Abgesehen von den Tests und der Maskenpflicht gebe es kaum Maßnahmen, um die Schüler zu schützen. „In wenigen Räumen gibt es Luftfilter, in den meisten aber nicht“, sagt Fricke. Stattdessen werde gelüftet, teils bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, die Schüler müssten frieren. Außerdem: „Eine Maskenpflicht ist zwar angeordnet, aber sobald der Lehrer den Raum verlässt, scheint die oft auch nicht mehr zu gelten – frei nach dem Motto: Kurz ins Brötchen beißen wird schon gehen“, sagt der Schüler. Insgesamt sei die Situation mehr als angespannt. Fricke: „Es gibt so viele absurde Geschichten aus dem Schulalltag, das ist kaum zu glauben.“
Positive Corona-Fälle sind an der Tagesordnung
Positive Corona- und Quarantänefälle seien an der Tagesordnung. Gerade erst sei sein Klassenlehrer positiv getestet worden, sein Unterricht fällt bis auf Weiteres aus. Insgesamt läuft aus Frickes Sicht viel falsch: „Wir sind gefühlt auf demselben Stand wie vor zwei Jahren. Es hat sich nicht viel verändert. Immer war von Digitalisierung die Rede. Wirklich etwas davon merken können wir Schüler nicht“, sagt Fricke.
Momentan gilt die Präsenzpflicht, der Unterricht findet nur in der Schule statt. Problem: „Die Schüler, die in Quarantäne sind und sich gesund fühlen, haben Freizeit. Sie können nicht am Unterricht teilnehmen, selbst wenn sie wollten“, so der Schüler. Das sei insbesondere für Oberstufenschüler, die vor dem Abitur oder anderen Abschlussprüfungen stehen, ein Problem. Denn ein digitales Angebot fehle. „Um Schüler in Quarantäne wird sich nicht gekümmert. Sie haben Glück, wenn sich jemand traut, ihnen Arbeitsmaterial vorbeizubringen.“
Frickes Forderung: Hybridunterricht für alle
Warum nicht eine Möglichkeit für Schüler geschaffen wird, sich von zu Hause aus online in den Unterricht zuschalten zu können, versteht er nicht. Das ist auch seine drängendste Forderung an die Politik: Hybridunterricht schaffen – und zwar nicht nur für Schüler in Quarantäne, sondern für alle. Hybridunterricht bedeutet: Der Unterricht findet in der Schule in Präsenz statt – und gleichzeitig wird er als Live-Videokonferenz online übertragen, sodass Schüler sich von zu Hause aus zuschalten können. So stünde allen Schülern die Möglichkeit offen, selbst zu entscheiden, ob sie zur Schule kommen möchten – oder ob sie sich angesichts der Umstände dort nicht sicher fühlen.
„Ich mache mir trotz dreifacher Impfung nicht nur Sorgen, selbst zu erkranken, sondern auch darum, meine Familie anzustecken“, sagt Fricke. Eines seiner Familienmitglieder muss nämlich jeden Tag zu seinem 95 Jahre alten Großvater fahren, um ihn zu pflegen. „Ich weiß nicht, wie stark das Virus ihn angreifen würde.“ Das alles seien Sorgen, die viele seiner Mitschüler und auch die Lehrer umtreibe. Fricke: „Auch die Lehrer werden natürlich einer enormen Gefahr ausgesetzt.“
Rechtliche Voraussetzungen für Hybridunterricht sind erfüllt
Eine Online-Lernplattform, auf der Material hochgeladen werden kann, gebe es derzeit zwar. „Die wird aber nur von einem Bruchteil der Lehrer genutzt“, sagt Fricke. Für ihn steht fest: Es gibt eine Menge Nachholbedarf. Denn der Unmut unter seinen Klassenkameraden wächst. „Wir sind die Versuchskaninchen der Durchseuchung. Das hat zwar niemand so offiziell gesagt, aber es ist Fakt“, sagt Fricke. Frust bestehe auch, weil Schüler das Festhalten an der Präsenzpflicht nicht nachvollziehen können. „Hybridunterricht wäre so einfach umzusetzen. Alle technischen und rechtlichen Voraussetzungen sind erfüllt. Es muss nur jemand ein Notebook aufklappen und Richtung Tafel aufstellen“, so der Schüler. Seine Forderung ist deshalb klar: Die Präsenzpflicht abschaffen.
Komplettes Home-Schooling befürwortet der Schüler allerdings nicht. „Distanzlernen gab es ja zu Beginn der Pandemie. Für einige Schüler hat das gut geklappt, andere haben auch sehr darunter gelitten.“ Durch das Beibehalten des Unterrichts vor Ort wären Schüler, die zum Beispiel aus schwierigen Verhältnissen kommen, nicht gezwungen, zu Hause zu bleiben.
Schule soll wieder attraktiver Lernort werden
„Ein Argument, das gegen den Hybridunterricht spricht, ist die Bewertung der Schüler, die dann schwieriger wäre“, sagt Fricke. „Das kann ich auch nachvollziehen. Allerdings können auch dafür Lösungen gefunden werden. Die Note muss nicht nur auf mündlicher Mitarbeit basieren, sondern es können auch Hausaufgaben berücksichtigt werden. Außerdem können Schüler auch von zu Hause aus mündlich am Unterricht teilnehmen.“ Das Argument ist aus Frickes Sicht nicht stark genug, um Schülern den Hybridunterricht zu verweigern.
Und was ist mit dem Argument, dass Schulen mehr als Lernorte, nämlich auch wichtige soziale Orte für Schüler sind? „Die Schule ist bei Hybridunterricht ja geöffnet, sie bleibt ein sozialer Ort. Vielleicht kommen Schüler auch wieder gern, wenn es nicht mehr ganz so voll ist. Wenn in einer Klasse zum Beispiel vier oder fünf Schüler zu Hause bleiben, ist vielleicht schon wieder genug Platz da, um sich sicher zu fühlen. So wird die Schule als Ort auch wieder attraktiv“, sagt Fricke. Als Reaktion auf den offenen Brief jedenfalls hatten Bettina Stark-Watzinger und Karin Prien sich gesprächsbereit gezeigt. Mittlerweile haben Gespräche stattgefunden. Ob und wie die Forderungen der Schüler tatsächlich Eingang in den Schulalltag finden, bleibt abzuwarten.
So hoch ist die Inzidenz bei jungen Menschen
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Die Inzidenzen der Altersgruppen 5 bis 9 Jahre und 10 bis 14 Jahre sind laut Robert-Koch-Institut mit Abstand am höchsten. Während die Inzidenz im Kreis Stormarn in der letzten vollen Kalenderwoche (KW 5) bei 1436,39 lag, lag sie in der Altersgruppe 5 bis 9 Jahre bei 3107,25 und bei den 10- bis 14-Jährigen bei 3333,06. Keine anderen Altersgruppen erreichen Werte über 3000. In der Altersgruppe 15 bis 19 betrug der Wert 2082,81. Es folgen die Altersgruppen, die häufig Kinder in der Kita oder Kinder im schulpflichtigen Alter haben: Unter den 30- bis 44-Jährigen lagen die Inzidenzen über 2000, in allen anderen Altersgruppen blieben die Werte darunter.