Reinbek. Reinbeker Ärzte Dr. Kai Kompisch und Dr. Jens Christiansen berichten von ihrer Arbeit – und von “unfassbarem bürokratischem Aufwand“.
Die Impfpriorisierung ist aufgehoben, jeder kann bei seinem Hausarzt, Facharzt oder Betriebsarzt versuchen, eine Corona-Schutzimpfung zu bekommen. Am Freitag, 11. Juni, waren laut Robert-Koch-Institut 26,1 Prozent aller Schleswig-Holsteiner vollständig geimpft, 50 Prozent hatten eine Erstimpfung. Um die sogenannte Herdenimmunität zu erreichen, müssen 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft sein. In ganz Deutschland sind fast 60 Millionen Impfdosen gegen Covid-19 verabreicht worden, gut 39,3 Millionen Dosen in den Impfzentren und 19,7 Millionen in den Arztpraxen. Sie sind am 4. April mit eingestiegen. Aber was bedeutet das für die Hausarztpraxen? Und wie kommen sie zurecht?
Wir haben mit Dr. Jens Christiansen und Dr. Kai Kompisch von der Gemeinschaftspraxis am Rosenplatz, einer der größten Hausarztpraxen in Reinbek, gesprochen. Die Fachärzte für Innere Medizin und Hausärztliche Versorgung sind neben Silke Pohl-Wegener und Dr. Juliane Pingen die Gesellschafter der Praxis.
Wie läuft es mit den Corona-Impfungen in einer Hausarztpraxis?
Herr Kompisch und Herr Christiansen, die Corona-Impfung ist für Hausärzte und Fachärzte ein freiwilliges Angebot. Warum machen sie das? Und seit wann sind Sie und ihre Kollegen dabei?
Christiansen: Wir sind seit Anfang April dabei und haben seitdem knapp 400 Menschen gegen Covid-19 geimpft, gefühlt 40.000 – Denn der Aufwand ist immens.
Kompisch: Tatsächlich haben wir vier schon mehrmals überlegt, das Angebot komplett einzustellen. Dann wären die Menschen auch verärgert, aber wir hätten wenigstens nicht diese Arbeit. Letztlich sagen wir uns aber, wir sind mit etwa 6000 Patienten die größte Praxis der Stadt. Wenn wir es nicht machen, wer macht es dann?
Wie viele Menschen könnten Sie denn impfen? Und wo liegen die Schwierigkeiten?
Christiansen: Das Impfen an sich ist ja keine große Sache. Vor der Grippe-Saison impfen wir regelmäßig 1500 bis 1800 Menschen. Das flutscht so neben dem Praxisalltag. Aber es ist so ein unfassbar bürokratischer Aufwand.
Wie organisieren Sie die Impftermine? Und wie viel Zeit müssen Sie pro Impfung einkalkulieren?
Kompisch: Um etwas planen zu können, bräuchte man ja zumindest so etwas wie Planbarkeit. Das scheitert schon einmal am mangelnden Impfstoff. Erst einmal sollen wir die Empfänger unter unseren Patienten priorisieren. Da haben wir unsere Patientenkartei gesichtet und versucht, die geeigneten Patienten einzubestellen. Aber 50 Prozent derer, die unsere Mitarbeiterinnen angerufen haben, haben sich nett bedankt und gesagt, sie hätten bereits einen Termin im Impfzentrum. Das hat schon mal Stunden an Telefonarbeit gekostet. Dann sind wir verpflichtet, für Corona eine separate Impfsprechstunde anzubieten. Der Impfstoff muss von einer eigens geschulten Fachkraft penibelst aufgezogen, er muss penibel gelagert und transportiert werden. Vor der ersten tatsächlichen Impfung müssen die Patienten in der Praxis einen Stapel Zettel in Sachen Aufklärung und einen Anamnese-Bogen ausfüllen, und sie müssen der Immunisierung zustimmen. Selbstverständlich ist das alles archivierungspflichtig.
Christiansen: Sind die Menschen geimpft, müssen wir sie 15 Minuten, nehmen sie blutverdünnende Medikamente – und dass sind viele unserer Patienten – 30 Minuten unter Beobachtung behalten. Und dabei muss ich immer überlegen, wie viele Patienten dürfen sich denn corona-konform in der Praxis aufhalten?
Bei der Zweitimpfung läuft dass dann schlanker?
Kompisch: Wir müssen die Patienten entsprechend dem Vakzin mit den passenden Zeitabständen zum zweiten Impftermin einladen. In der Hoffnung, dass der Impfstoff auch da ist. Dann müssen die Patienten wieder mehr als zehn Zettel ausfüllen, inklusive der Zustimmung und selbstverständlich müssen wir das ebenfalls archivieren – Das ist so typisch deutsch!
Gibt es bei Ihnen jetzt den digitalen Impfnachweis?
Christiansen: Digitale Impfpässe sollen wir auch noch ausstellen. Die KV Schleswig-Holstein hat uns aber gerade mitgeteilt, dass die Software dafür erst Ende Juni kommt. Vor Juli werden wir sie also nicht ausstellen können.
Sie sind enttäuscht von der Politik?
Christiansen: Diese Diskrepanz! Die Politiker stellen alles so positiv dar und halten die schicke App in die Kamera. Warum sagen sie nicht einfach, was schief läuft, dass sich ihre Hoffnungen nicht erfüllt haben und stellen ihren Wahlkampf mal zurück? Wie oft wurden Entscheidungen gekippt? Das zeigt, wie weit Politik und Kassenärztliche Vereinigung von der Realität entfernt sind. Parteien haben gegeneinander gearbeitet. Das darf man in einer Pandemie nicht machen.
Das eigentliche Problem scheint aber der Mangel an Impfstoffen zu sein. Wie läuft die Verteilung?
Kompisch: Wir erfahren erst am Donnerstagnachmittag, welche Impfstoffe kommen sollen, und dann kommen sie oft trotzdem nicht. Vergangene Woche haben wir 50 Dosen bestellt, am Donnerstag hieß es, wir sollten 20 bekommen und dann kam: nichts. Und zwischendurch wird der Impfstoff dann zurückgehalten, weil die Politik mal beschließt, die Jugendlichen zu impfen.
Wie reagieren die Patienten?
Christiansen: Jede Woche ist wie ein Lottospiel. Die Patienten verstehen so etwas natürlich nicht. Viele werden aggressiv. Unsere Helferinnen werden beleidigt, und wir werden ständig gefragt, auch wenn wir privat unterwegs sind oder im Supermarkt: Wo kann ich geimpft werden? Die Stimmung ist richtig schlecht, auch bei anderen Ärzten. Alle sind am Ende.
Kompisch: Jetzt fordert uns die KV in ihrem 11. Impfupdate dazu auf, den Impfstoff für den Zweittermin aufzusparen! Das heißt doch, dass sie dann wieder nicht ausreichend Vakzin erwarten. Überhaupt, diese Bunkermentalität! Warum liegen Millionen von Impfdosen auf Halde und sind nicht im Arm? Die Lieferungen sind dermaßen inkonstant. Offenbar gibt es noch nicht einmal eine Software für die Logistik.
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Lohnt sich der Aufwand für die Hausärzte eigentlich?
Kompisch: Nein. Wir bekommen 20 Euro brutto. Inklusive der Betriebs- und Personalkosten.
Christiansen: Die Impfzentren bekommen ein Vielfaches davon und tun nichts anderes. Das ist solch eine Geringschätzung der Hausärzte. Wir arbeiten so schon 50 Stunden in der Woche, und das kommt noch obendrauf. Dazu gehört auch, dass wir nicht zur ersten Priorisierungsgruppe gehörten, obwohl wir die Ärzte mit den meisten Patientenkontakten sind. Wohin gehen die Menschen mit einem Infekt? Nicht zum Lungenarzt, nein, zum Hausarzt.
Müssen Sie auch Patienten vom Nutzen einer Schutzimpfung überzeugen, wenn sie abgeneigt sind?
Christiansen: Ja, wir versuchen immer wieder, die Angst zu nehmen. Corona wird aus dieser Welt nicht mehr verschwinden. Man hätte doch viele Leben retten können und viele Erkrankungen verhindern können, wenn früher und mehr und schneller geimpft worden wäre; jede Impfung rettet Leben – man schützt sich und auch die anderen! Und Impfkomplikationen sind ultraselten. Das Hauptrisiko, das der Impfwillige statistisch trägt, ist, auf dem Weg in die Praxis überfahren zu werden.