Aumühle. Waldbaden ist der neueste Trend für ein achtsames Leben. Was ist dran am Abtauchen ins Grüne? Ein Selbstversuch unserer Redakteurin.

Auf dem Schreibtisch stapeln sich die Aufgaben, das Telefon klingelt ununterbrochen, die Wohnung gekündigt, der Vater krank. Wenn der Stresspegel in unfassbare Höhen klettert, ein Urlaub aber derzeit nicht möglich ist, bietet Kathrin Sohst mit ihrer Anleitung zum Waldbaden eine Chance, für drei Stunden vom Gedankenkarussell abzusteigen und durchzuatmen.

Fast hätte ich den Termin noch abgesagt. Denn private Sorgen nagen an mir, so ein langer Termin passt doch nicht in den Redaktionsalltag, und das Wetter ist auch nicht so prickelnd. Aber nachdem mir der Blick in den Spiegel noch verrät, dass mein letzter Friseurbesuch auch schon lange her ist, denke ich: „Vielleicht tut mir der Selbstversuch jetzt gerade gut.“ Wir treffen uns morgens vor dem Restaurant Waldesruh am See.

Selbstversuch soll eine Pause vom Alltag bringen

Kathrin Sohst: „Die Anleitung zum Waldbaden ist absolut meins. Das bereitet mir eine große Freude.“
Kathrin Sohst: „Die Anleitung zum Waldbaden ist absolut meins. Das bereitet mir eine große Freude.“ © BGZ | Gute Leude Fabrik

Beim Waldbaden geht es darum, auf eine sinnesorientierte Art den Wald zu entdecken“, erläutert uns Kathrin Sohst. Neben ihr sind wir vier Frauen, Natascha Pätzold, Anne Justi, Dörte Försterling und ich sowie Dennis Pätzold. Nach einer kurzen Begrüßungsrunde stapfen wir los, Richtung Wald. Aufforderungen oder Aufgaben gibt uns die Kursleiterin nicht mit, sie lädt uns stets ein, etwas zu tun. Denn wir bestimmen selbst, was wir tun wollen und wie viel wir von unseren Eindrücken und Gefühlen dabei mitteilen wollen.

Ziel: Wir sollen uns tatsächlich auf den Wald einlassen können. Zuerst bittet sie uns, das Tempo herauszunehmen, ganz langsam zu werden und uns dabei voll und ganz auf unsere Wahrnehmungen zu konzentrieren. Ganz schön schwer. Ich habe das Gefühl, wir gehen in Zeitlupe. Zuerst fällt mir das Kreischen einer Säge auf, ein Hund bellt, die Bahn braust vorbei. Und fliegen da nicht tatsächlich zwei Flugzeuge über uns hinweg?

Wahrnehmen, dass wirklich gehört und gesehen wird

Es braucht seine Zeit, bis ich endlich das Vogelzwitschern dahinter vernehme. Sogar laut und deutlich. Ich beginne die Vogelstimmen zu unterscheiden und da: Gezeter von der anderen Uferseite des Sees. Ein Windhauch streift mein Gesicht und ich sehe überall Pilze und Brombeeren.

Kathrin Sohst bittet uns, zu ihr zu kommen und uns in einem Kreis auf einer Lichtung aufzustellen, um mitzuteilen, was wir wahrgenommen haben. Dennis Pätzold stellt fest, wie ungewohnt es ist, sich so lange mit sich selbst zu beschäftigen. „Wir sind zwar relativ häufig im Wald, aber sonst wuseln immer drei kleine Kinder um uns herum und wollen irgendetwas“, erzählt er. Nach ein paar leichten Bewegungsübungen schließen wir die Augen.

Positive Wirkung auf Blutdruck und Puls

Ich merke plötzlich, dass mein Kopf ständig nach hinten in den Nacken sinkt. Suchen meine Augen sogar hinter den geschlossenen Lidern noch das Licht? Ich bin eindeutig zu wenig draußen, stelle ich fest. Dabei tut die Natur so gut.

Das bewusste Waldbaden hat scheinbar einen positiven Einfluss auf Blutdruck, das Stresshormon Cortisol und den Puls. Sie alle sinken teils schon nach nur einer Stunde im Wald. Außerdem gibt es auch Hinweise darauf, dass die Baumgruppen eine positive Auswirkung auf das Immunsystem haben können. Inzwischen werden auch in europäischen und deutschen Wäldern Studien durchgeführt.

Wohltuende Wirkung bei Zivilisationserkrankungen

Waldbaden – mehr als ein Spaziergang? Redakteurin Susanne Tamm probiert's aus.
Waldbaden – mehr als ein Spaziergang? Redakteurin Susanne Tamm probiert's aus. © Susanne Tamm | Susanne Tamm

Kathrin Sohst betont: „Man vermutet, dass die therapeutische Wirkung des Waldes auf Körper und Seele auf Terpenen beruht, den wichtigsten Ingredienzen ätherischer Öle, die aus Rinde und Blättern von Bäumen, Sträuchern und anderen Pflanzen ausdünsten.“ Wenn der Mensch sie über Haut und Lunge aufnehme, beruhige sich ein Teil des vegetativen Nervensystems, das bei Stress Flucht- und Kampfreaktionen steuere.

Zugleich erhöhe der Ruhe-Nerv seine Aktivität. Besonders bei Schlafstörungen, depressiven Gedanken, psychischen Belastungen soll ein Waldbad seine wohltuende Wirkung entfalten. Wir tapsen weiter durch den Forst, Übungen mit Passepartouts schärfen unsere Blicke.

Beim Waldbaden die Zeit vergessen

Zum Abschluss sucht sich jede und jeder einen Baum aus und lässt sich an seinem Stamm nieder, um den Wald auf sich wirken zu lassen. Ich sitze unter einer hohen Eiche. Um mich herum sprießen junge Buchen, plötzlich kitzelt es: Eine grasgrüne Raupe robbt über meinen linken Handrücken.

Als Kathrin Sohst das Glöckchen läutet, höre ich es zuerst nicht einmal. 20 Minuten sollen schon verstrichen sein? Ich kann es nicht glauben. Wir sind uns einig: Das war viel zu kurz. Erstaunlich, wie sich binnen weniger Stunden das Zeitgefühl verändert hat. „Ich nehme den Wald jetzt anders wahr“, erkennt Anne Justi. „Viel bewusster und ich fühle mich total entschleunigt.“

Leiterin des Kursus bereitet das Waldbaden große Freude

„Die Anleitung zum Waldbaden ist absolut meins. Das bereitet mir eine große Freude“, sagt Kathrin Sohst. Weitere Termine im Sachsenwald bietet sie mittwochs am 13., 20. und 27. Oktober, von 9 bis 13 Uhr sowie sonntags, 17. Oktober, 14 bis etwa 17.30 Uhr, 31. Oktober, 13 bis etwa 16.30 Uhr, an. Preise: 45 Euro pro Person/70 Euro für zwei Personen. Anmeldung im Internet unter www.kathrinsohst.de.

Shinrin-Yoku: „Baden im Wald“

Shinrin-Yoku, japanisch für „Baden im Wald“, wird in Japan als Teil eines gesunden Lebensstils gepriesen. Den Begriff hat das dortige Forstministerium 1982 geprägt. Shinrin-Yoku bedeutet, mit allen Sinnen in die Stille und Unberührtheit des Waldes einzutauchen.

An japanischen Universitäten ist Waldmedizin ein anerkanntes Forschungsgebiet. Seit Jahrzehnten untersucht die Wissenschaft dort die Wirkungen, die ein Waldaufenthalt auf menschliche Psyche und Physis hat. Demnach verbessert bereits ein kurzes Waldbad Atmung, Puls und Blutdruck. Dass Ärztinnen und Ärzte gegen Burnout oder Herzkreislauf-Erkrankungen eine Waldtherapie verordnen, ist in Japan nicht ungewöhnlich. Quelle: Nabu