Ahrensburg. Die Geschichte des Alten- und Pflegeheimes ist eine ganz besondere. Sie beginnt Mitte des 19. Jahrhunderts im Hamburger Hafen.
Vielleicht hat er geahnt, dass es mit ihm zu Ende geht. Jedenfalls wünschte sich Jürgen Karsten, Architekt des Alten- und Pflegeheimes Tobias-Haus in Ahrensburg, zu Beginn des vergangenen Jahres, dass jemand die Geschichte seines Gebäudes aufschreibt. Denn die ist eine ganz besondere. Er bat auch nicht irgendjemanden, sondern einen Menschen, der eine starke Verbindung zu der Einrichtung hat: Den Journalisten Mark Kuntz, der vor über vier Jahrzehnten seinen Zivildienst in dem Pflegeheim absolviert hat.
Damals wusste Jürgen Karsten noch nicht, dass er knapp ein Jahr später, im Januar 2022, tatsächlich im Alter von 96 Jahren sterben wird. „Umso mehr habe ich mich gefreut, dass ich ihm die Dokumentation kurz vor Weihnachten noch persönlich überreichen konnte“, sagt der 59 Jahre alte Kuntz. Kurz zuvor war das Werk fertig geworden.
Interessierte können Kontakt zum Tobias-Haus aufnehmen
Das etwa 30 Seiten starke Buch „Vom Hafen in den Hagen: Die abenteuerliche Geschichte des Tobias-Hauses“ liefert in Texten und Bildern einen Einblick in ein spannendes Kapitel Lokalgeschichte. Im Auftrag der Tobias-Haus Alten- und Pflegeheim gGmbH und der Heinrich und Mathilde Grell-Stiftung erarbeiten Mark Kuntz und Jürgen Karsten Text und Konzept. Die Gestaltung übernahm Grafikerin Kristin Pötschke. 1000 Exemplare wurden gedruckt und werden unter anderem unter Bewohnern und Angestellten des Tobias-Hauses verteilt. Wer Interesse hat, die Dokumentation anzusehen, kann Kontakt zum Tobias-Haus (Telefonnummer: 04102/80 60) aufnehmen.
Zustande gekommen ist der erneute Kontakt zu Kuntz über Umwege. Er und seine Frau haben lange für Frauenzeitschriften gearbeitet, sehnten sich zum Ende ihres Berufslebens nach einer sinnvollen Aufgabe. „Ich habe ihr immer von meinem Zivijob im Tobias-Haus vorgeschwärmt“, sagt Kuntz. „Daraufhin hat sie dort einen Job in der Pflege angenommen und liebt ihn.“ Das wundert ihren Mann auch nicht: „Es ist wirklich ein ganz besonderer Ort.“ Er selbst übernahm die Pressearbeit des Hauses. Als er vom Architekten die Anfrage bekam, die historischen Dokumente und Zeugnisse über das Haus in eine lesbare Geschichte zu gießen, zögerte er nicht lange.
Architektur und Philosophie orientierten sich an Anthroposophie
Doch was macht das Tobias-Haus nun so besonders? Architektur und Philosophie des Hauses orientierten sich an der Anthroposophie. Die Weltanschauung setzt sich unter anderem aus Ideen des Christentums, des deutschen Idealismus und naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zusammen. Das Tobias-Haus will den Menschen in den Mittelpunkt stellen, die anthroposophische Architektur gibt der Einrichtung ein besonderes Erscheinungsbild.
Außerdem geht dem eigentlichen Bau eine lange Entstehungsgeschichte voraus, die Kuntz in seiner Dokumentation unter der Leitfrage „Schicksal oder Zufall?“ erzählt. Denn die Geschichte des Tobias-Hauses beginnt nicht erst mit der Einweihung im Jahr 1979, sondern um 1850 im Hamburger Hafen, Am Baumwall, zu Zeiten der Industrialisierung. Arbeiter mussten bei Wind und Wetter die Elbe überqueren, immer wieder kamen Menschen ums Leben. Kapitän und Unternehmer Johann Heinrich Grell ließ Schiffe bauen, die die Menschen sicher von A nach B brachten. „Seiner später gegründeten Stiftung ist es zu verdanken, dass das Tobias-Haus in Ahrensburg gebaut werden konnte“, sagt Kuntz.
Stiftung machte den Bau des Pflegeheimes möglich
Doch der Unternehmer scheitert, muss seine Fährlinie verkaufen und von vorne anfangen. Mit seinem Sohn gründet er 1889 einen Kutscherbetrieb, der dank des technologischen Wandels zum Garagenbetrieb wurde. Grell hat vier Kinder, es kommt zu Zerwürfnissen. Welche Verstrickungen die Familiengeschichte auszeichnet, können Interessierte in der Dokumentation nachlesen. 1943 jedenfalls stirbt Grell. Seine Frau Mathilde gründet aus seinem Vermögen auf seinen Wunsch hin die „Heinrich und Mathilde Grell-Stiftung“.
Etwa zur gleichen Zeit wird der 18 Jahre alte Jürgen Kasten, der später das Tobias-Haus planen wird, in den Krieg einbezogen. Bei seiner Rückkehr ist er orientierungslos, findet Halt in der Christengemeinschaft. Auch Grells Töchter Grete und Hanna sind Mitglieder der Christengemeinschaft und der anthroposophischen Gesellschaft. Die Zweckerfüllung der Stiftung steht noch aus, die Wege überschneiden sich. In einem zur Begegnungsstätte umgebauten Schafstall erlebt Karsten, dass Architektur mehr ist als Mauern und Dächer zu erbauen, sondern dass sie ein Zuhause für Menschen schaffen kann – so fand er seine berufliche Bestimmung.
Mensch steht im Mittelpunkt
Über Kontakte finden Grete Grell und Karsten zusammen, entscheiden sich, zusammen den Stiftungszweck zu verwirklichen. „Altenheime waren Mitte der 70er-Jahre ziemlich trostlose Verwahranstalten“, sagte Karsten. Genau das wollte er nicht. Er ließ seinen Visionen freien Lauf, plante und gestaltete, das Projekt wurde in die Tat umgesetzt. Heute hat das Alten- und Pflegeheim 116 Einzelzimmer, elf Doppelzimmer und vier Zweizimmerwohnungen für Pflegebedürftige. Mit allem, was er tat, bemühte sich Karsten, ganz im Sinne der Stiftung, einen Ort zu schaffen, an dem der Mensch im Mittelpunkt steht. Wie man bis heute sieht, ist ihm das gelungen.