Ellerbek. Anwohner empört über heimlichen Beschluss. Schon im November sollen zwei Familien untergebracht werden. Bürgermeister unter Druck.

Ein ganzes Dorf ist in heller Aufregung. Weil der Gemeinderat in Ellerbek bereits im Sommer still und heimlich beschlossen hat, Geflüchtete in einem Einfamilienhaus im Kastanienweg aufzunehmen, hat sich dort jetzt großer Unmut breit gemacht. Zahlreiche Bürger und Nachbarn protestierten gegen dieses „geheimniskrämerische“ Vorgehen ihrer politischen Vertreter auf der jüngsten Gemeinderatssitzung.

„Wir sind nicht rechtsdenkend und haben auch nichts dagegen, Asylsuchende hier aufzunehmen“, sagt Runa Scheffler, die mit ihrem Mann Frank in der Nachbarschaft des Kastanienweges lebt. „Aber warum wird das nicht offen kommuniziert, sondern unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit ohne Bürgerbeteiligung beschlossen?“ Sie wundere sich. „Wir fühlen uns hintergangen und desinformiert.“

Flüchtlinge in Einfamilienhaus: Anwohner stellen Fragen, die beantwortet werden sollen

Mit einer ganzen Reihe weiterer Bürgerinnen und Bürger machten sie jetzt ihrem Ärger Luft. Der Spiegelsaal im Kulturtreff, in dem die Gemeindevertretung tagte, war bis auf den letzten Platz gefüllt. Norina Beyer, die mit ihrem Mann Nils gegenüber der baldigen Flüchtlingsunterkunft im Kastanienweg wohnt, trug dazu einen ganzen Fragenkatalog vor, den Bürgermeister Dominik Seebold nur teilweise beantworten konnte oder wollte.

Sie kritisieren, dass die Entscheidung für die Flüchtlingsunterkunft in ihrer Nachbarschaft ohne Bürgerbeteiligung gefallen ist: Ira und Kai Forster (von links), Norina Beyer, Runa und Frank Scheffler, Jessica Körner, Bernd Stahmer, Herr Röper, Josef Nguyen und Nils Beyer.
Sie kritisieren, dass die Entscheidung für die Flüchtlingsunterkunft in ihrer Nachbarschaft ohne Bürgerbeteiligung gefallen ist: Ira und Kai Forster (von links), Norina Beyer, Runa und Frank Scheffler, Jessica Körner, Bernd Stahmer, Herr Röper, Josef Nguyen und Nils Beyer. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Warum gerade ein Einfamilienhaus? Könnte es überall in der Gemeinde sein? Ist es vorher gutachterlich geprüft worden? Wieso ist die Bürgerschaft nicht einbezogen und informiert worden? Wer wird dort einziehen? „Wenn die Integration dieser Menschen in unsere Gesellschaft funktionieren soll, müssen Sie mit uns Nachbarn und der gesamten Ellerbeker Bevölkerung reden und unsere Sorgen und Bedenken ernst nehmen“, forderte Jessica Körner. „Sonst fällt es uns schwer, eine Willkommenskultur zu schaffen.“

Flüchtlinge in Haus: Bürgermeister Seebold verkündete den Beschluss vom Juli

Bürgermeister Seebold (CDU) geriet schwer in die Defensive. Zu Beginn der Gemeinderatssitzung machte er nur ganz förmlich den unter Ausschluss der Öffentlichkeit bereits im Juli gefassten Beschluss des Gremiums bekannt. Die Gemeinde habe eine Immobilie erworben und diese dem Amt Pinnau vermietet, damit dort Geflüchtete untergebracht werden können. Anfang November würden bereits zwei Familien einziehen, um die sich dann die Organisation „Ellerbek hilft“ ehrenamtlich kümmern werde.

Ellerbeks Bürgermeister Dominik Seebold musste sich starkem Bürgerprotest erwehren.
Ellerbeks Bürgermeister Dominik Seebold musste sich starkem Bürgerprotest erwehren. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Den Kaufpreis, der bei 600.000 Euro liegen soll, und Details zum Mietvertrag mit dem Amt Pinnau, der über drei Jahre abgeschlossen worden sein und mit dem der Kapitaldienst für die Kreditaufnahme beglichen werden soll, nannte Seebold nicht.

Ellerbeks Ex-Bürgermeister Hildebrand: Uns lag kein Kaufvertrag vor

Weitere Einzelheiten erfuhren die aufgebrachten Bürger dann von anderen Gemeindevertretern. So beschrieb Ex-Bürgermeister Günther Hildebrand (FDP), unter welchem Zeitdruck der Beschluss zum Ankauf der Immobilie gefallen sei. Erst zwei Tage vor der Entscheidung sei den Kommunalpolitikern das leerstehende Haus im Kastanienweg gezeigt worden.

„Die Unterlagen waren sehr lückenhaft. Nicht einmal der Kaufvertrag lag vor“, kritisierte Hildebrand, der sich dagegen ausgesprochen habe. „Hinterher erfuhren wir, dass der schon Tage zuvor notariell beglaubigt war.“

Ex-Bürgermeister Günther Hildebrand: Uns lag bei der Entscheidung im Juli nicht einmal der Kaufvertrag vor.
Ex-Bürgermeister Günther Hildebrand: Uns lag bei der Entscheidung im Juli nicht einmal der Kaufvertrag vor. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Auch der SPD-Gemeindevertreter Steffen Jahn erklärte: „Die SPD hat diesem Kauf der Immobilie nicht zugestimmt. Wir kannten den Kaufvertrag nicht und halten den Ort auch nicht für passend, um Geflüchtete dort unterzubringen.“

CDU-Gemeindevertreter: Eine Immobilie lässt sich wieder verkaufen

CDU-Gemeindevertreter Stefan Hinners sprang für seinen Bürgermeister in die Bresche: „Wir haben einen irrsinnigen Druck vom Amt Pinnau, Geflüchtete aufzunehmen. Wir können uns das nicht aussuchen. Die werden uns zugewiesen.“ Bereits vor einem Jahr hätten die Gemeinde und das Amt öffentlich kommuniziert, dass sie „dringend Wohnraum für Flüchtlingsfamilien und Einzelpersonen“ benötigten. Aber niemand habe sich gemeldet.

Mehr zum Thema

Container dafür anzuschaffen, habe der Gemeinderat abgelehnt, weil dieses „Geld dann verloren“ wäre, erklärte Hinners die politische Argumentation seiner Fraktion. Das sei bei einer Immobilie anders. Die könnte die Gemeinde hinterher wieder veräußern.

Dem Amt Pinnau wurden in diesem Jahr 51 Geflüchtete zugewiesen

Bürgermeister Seebold versprach, dass das Amt die vielen Fragen der besorgten Bürger und Nachbarn schriftlich beantworten werde. Damit allein wollen die sich aber nicht zufrieden geben. Sie fordern, eine Einwohnerversammlung zum Thema einzuberufen. Da solle ihrer Ansicht nach noch mal öffentlich diskutiert werden, ob die kleine Anliegerstraße mit acht Häuschen mitten im Ellerbeker Wohngebiet wirklich die ideale Gegend für diese Unterkünfte sei.       

„Dem Amt Pinnau sind 2024 insgesamt bislang 25 Asylbewerber*innen und 26 Ukrainer*innen zugewiesen worden“, berichtet die Kreisverwaltung auf Anfrage des Abendblatts. Etwa ein Drittel davon müsste Ellerbek mit seinen 4350 Bewohnern aufnehmen.