Kreis Pinneberg. Jugendliche ab 18 dürfen jetzt kiffen und legal Pflanzen für den Eigenbedarf anbauen. Das sagen Fachleute einer Drogenentzugsklinik.
Vor knapp drei Monaten ist das Cannabis-Gesetz in Kraft getreten. Seither dürfen über 18-Jährige legal Cannabis konsumieren und die Pflanzen für den Eigenbedarf anbauen. In der Drogenentzugsklinik in Bokholt-Hanredder im Norden des Kreises Pinneberg sieht man das kritisch.
„Cannabis wirkt auf das körpereigene, sogenannte Endocannabinoid-System, das unterschiedliche physiologische Vorgänge in unserem Nervensystem reguliert. So hat die Überstimulierung durch dauerhaften Cannabiskonsum zum Beispiel Auswirkungen auf Gedächtnis, Appetit, Schlaf und die Stimmung“, warnt Felix Rüdlin, Facharzt für Psychotherapie und Psychiatrie und seit zwei Jahren ärztlicher Leiter der Fachklinik zwischen Barmstedt und Elmshorn.
Cannabis: Gehirnentwicklung ist erst mit dem 25. Lebensjahr abgeschlossen
Richtig problematisch wird es, wenn jemand früh anfängt zu kiffen, denn das unreife Gehirn ist besonders sensibel, und die Gehirnentwicklung ist erst mit dem 25. Lebensjahr abgeschlossen, schildern Rüdlin und die kaufmännische Leiterin Anja Reiser.
Beide befürchten, dass es für die Jugendlichen jetzt noch einfacher sein könnte, an Marihuana zu kommen. Die Entkriminalisierung sei gut, aber im Hinblick auf die jungen Menschen haben Rüdlin und Reiser doch Bedenken. Cannabis mache abhängig, viele Jugendliche vernachlässigten ihre Interessen, hätten Antriebs- und Impulskontrollstörungen.
Der Weg zum Konsum weiterer Drogen ist nicht fern, und es besteht ein erhöhtes Risiko, weitere schwerwiegende, psychiatrische Erkrankungen zu erleiden. Daher sind sich Rüdlin und Reiser einig, dass ein stärkerer Fokus auf die präventive Arbeit mit Jugendlichen gelegt werden muss.
Durchschnittliche Behandlungsdauer beträgt 15 bis 21 Tage
1991 wurde die Klinik im Kreis Steinburg gegründet, 1998 erfolgte der Umzug in den Kreis Pinneberg. Zunächst wurden hier nur Menschen ab 25 Jahre aufgenommen. Auf dem Gelände in Bokholt-Hanredder ist schließlich 1999 auch noch eine zweite Station für junge Menschen von 16 bis 24 Jahre eingerichtet worden. Seither werden pro Jahr etwa 850 Patientinnen und Patienten behandelt. 37 Betten gibt es.
Außer am Wochenende werden pro Tag etwa vier bis acht Personen mit Drogenproblematik zur vollstationären Behandlung aufgenommen. Die durchschnittliche Behandlungsdauer im Rahmen des qualifizierten Entzugs beträgt 15 bis 21 Tage, in Ausnahmefällen auch 28 Tage.
Bokholt-Hanredder: Klinik verfolgt ganzheitlichen Ansatz
Die Fachklinik Bokholt gehört in den Verbund Therapiehilfe gGmbH. Dabei handelt es sich um einen der größten und in seinem Behandlungsangebot komplexesten Suchthilfeträger in Deutschland mit Standorten in Hamburg, Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein mit mehr als 500 Mitarbeitenden. Die Fachklinik Bokholt ist das einzige Krankenhaus in dem Verbund und auch im weiteren Umkreis die einzige Klinik, die einen qualifizierten Entzug von illegalen Substanzen anbietet.
„Viele Patienten entscheiden sich ganz bewusst für unsere Klinik, da wir einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen und, neben therapeutischen Gesprächen im Einzel und in der Gruppe sowie der Möglichkeit einer medikamentösen Behandlung, beispielsweise auch Akupunktur, Sport-, Ergo- und kunsttherapeutische -Angebote haben“, zählt Anja Reiser auf und fügt hinzu: „Wir haben Zeit für die Patienten, können sehr auf die individuellen Bedürfnisse eingehen.“
Cannabis: Kosten für den Entzug übernimmt die Krankenkasse
Allerdings müssen die Betroffenen auch selbst Initiative ergreifen. Vier bis sechs Wochen wartet man in der Regel auf einen Therapieplatz, im Einzelfall kann es auch mal schneller gehen. In dieser Zeit muss man einmal pro Woche anrufen, um sein ernsthaftes Interesse zu signalisieren. Ist man aufgenommen, gibt es ein straffes Tagesprogramm und die Anleitung, wie man seinen Tag strukturieren kann.
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Felix Rüdlin und Anja Reiser wissen sehr genau, mit wie vielen Problemen die Betroffenen zu kämpfen haben. Abhängigkeitserkrankungen bewertet Felix Rüdlin als Symptom, deren Ursachen individuell und vielschichtig sind. Die Patienten werden in der Fachklinik Bokholt von Ärztinnen und Ärzten, Psychologinnen, Suchttherapeutinnen, Sozialarbeitern, Sport-, Ergo- und Kunsttherapeuten, Erziehern und Pflegekräften begleitet und auf ihrem weiteren Weg gut unterstützt.
Hauptdrogen im Entzug sind Cannabis, synthetische Cannabinoide wie Spice, Opiate/Opioide (Oxycodon, Morphin, Fentanyl), Heroin, Halluzinogene wie Ketamin, Kokain, Crack, Ecstasy, Amphetamine wie Speed und Crystal sowie Medikamente wie Benzodiazepine und Alkohol. Die Kosten für den Entzug übernimmt die Krankenkasse.
Bokholt-Hanredder: Klinik hat mit Fachkräftemangel zu kämpfen
Das große Ziel ist es natürlich, langfristig abstinent zu sein. Dennoch ist Anja Reiser und Felix Rüdlin auch klar, dass es immer Rückfälle gibt und weiterhin geben wird.
Die Auswirkungen des Fachkräftemangels werden im Übrigen auch in der Klinik im Norden des Kreises Pinneberg spürbarer. Krankenpflegekräfte, Ärzte und Ärztinnen sowie Psychologen, die sich angesprochen fühlen, sind herzlich eingeladen, sich in der Klinik zu melden.