Holm. Holmer Friedhof hat einen Platz für totgeborene Kinder unter 500 Gramm. Initiiert hat ihn die Hebamme Anke Krack – nach zwei Schicksalsschlägen.

„Still geboren – nicht verloren.“ Diese Worte möchte Anke Krack (56) eingravieren lassen in eine der Stelen auf dem kleinen Grabfeld des Holmer Friedhofs. Es ist ein besonderer Platz. Ein Platz für Sternenkinder. Die letzte Ruhestätte für totgeborene Kinder unter 500 Gramm. 3200 Sternenkinder kommen in Deutschland jedes Jahr auf die Welt. Seit 2013 dürfen nun auch sie offiziell bestattet werden. Wie hier auf dem Friedhof in Holm.

„Still geboren – nicht verloren“. Das sind Worte gegen das Vergessen. Worte für das Gedenken. An all die kleinen Seelen, die zwar physisch nur kurz gelebt haben, deren Energie aber für immer in den Herzen bleibt: der Mütter und Väter, der Geschwister und aller, die ihnen nahe waren.

Stille Geburten: Sternenkinder – früher Klinikmüll, heute Bestattung in Würde

Dieser Sternenkinderplatz hier in Holm darf vieles sein: ein Ort der Begegnung, ein Ort zum Trauern, zum Reden und zum Schweigen. Dass es ihn seit zwei Jahren in dieser Gemeinde mit ihren vielen jungen Familien gibt, dafür hat sich Anke Krack erfolgreich starkgemacht.

Mit ihr sitze ich auf der Bank des Sternenkinderplatzes, der geschützt von einer Eiche vis-à-vis der Friedhofskapelle liegt. Die Sonnenstrahlen haben sich durch die Wolken gekämpft und hüllen die drei Stelen aus dunkelrotem Marmor in warmes Licht. Zwei von ihnen zieren Sterne. Die dritte ziert eine Tonstatue: eine Kugel, die ein Kind in sich trägt, geschaffen von der Holmer Künstlerin Tina Lindemann.

Sternenkinder: Anke Kracks Idee ist über viele Jahre gereift

Mein Blick fällt auf die Bepflanzung. Auch sie ist besonders. Ich entdecke neben einer Sternmagnolie Lavendel und Minze. Diese Pflanzen, die auch beliebte Heilmittel sind, hat Anke Krack, seit 34 Jahren Hebamme, bewusst gewählt. „In meinem Beruf arbeite ich gern mit Aromen“, sagt sie. „Lavendel beruhigt, und Minze erfrischt. Beide duften im Sommer einzigartig.“ Um die Bank herum tummeln sich Bethmännchen. „Die kleinen Bodendecker finde ich ebenfalls hübsch und beruhigend anzuschauen.“

Anke Kracks Idee, diesen Platz hier auf dem Holmer Friedhof zu errichten, ist über viele Jahre gereift – und eng mit ihrer eigenen Geschichte verbunden. Dazu blicken wir einmal zurück bis in die 1980er-Jahre: Nach dem Abitur zieht es die 19-Jährige von Wedel aus für ein Jahr als Au-Pair nach Amerika. Dort lernt sie in einer Waldorfschule eine Hebamme kennen, die so vielfältig und positiv von ihrem Beruf schwärmt. „Das hat mich fasziniert“, sagt Anke Krack. „Als ich nach Hause kam, habe ich mich sofort an der Hebammenschule in der Hamburger Finkenau beworben.“ Mit Erfolg: Sie setzt sich gegen 2000 Bewerber durch, erhält einen der 20 Ausbildungsplätze.

Die Hebamme war bei rund 1000 Geburten dabei

Rund 1000 Mal hat die Frau Mütter bei den Geburten unterstützt, die mittlerweile als freiberufliche Hebamme in der Nachsorge arbeitet. „Es ist immer wieder ein wunderbarer Moment, wenn das Kind da ist und alles gut ist und wir es der Mutter das erste Mal auf den Bauch legen.“

Dieser frohe und glückliche Anlass ist aber nur die eine Seite. Jede dritte Schwangerschaft ist eine Risikoschwangerschaft. Immer wieder hat Anke Krack auch Familien begleitet von Kindern, die nicht überlebten.

1997 verliert Anke Krack in der 12. Schwangerschaftswoche ein kleines Mädchen

Und damit kommen wir zu ihrem eigenen Schicksal: 1997 verliert Anke Krack in der zwölften Schwangerschaftswoche ein kleines Mädchen, dessen Herz aufgehört hatte zu schlagen. Die Möglichkeit, ihr still geborenes Kind mit seinem Gewicht von weniger als 500 Gramm offiziell beerdigen zu lassen, gab es damals noch nicht. Es wurde nach der Ausschabung im Krankenhaus mit dem Klinikmüll entsorgt.

„Das war ein ganz schreckliches Erlebnis – nicht nur für mich als Mutter, sondern auch als Hebamme. Immer wieder hatte ich die Ausschabungen vor Augen, die ich beruflich begleitet habe“, sagt Anke Krack. „Und nun war es mir selber passiert. Das Kind war weg und ich hatte keinen Ort zu trauern. Das war furchtbar. Nicht nur für mich. Auch für meinen Mann und unseren zwei Jahre alten Sohn.“

Anke Krack wollte zeitweise nicht mehr als Hebamme arbeiten

1998 ist Anke Krack erneut schwanger. Verliert auch dieses Kind – in der 24. Woche. Das kleine Mädchen hatte kein Zwerchfell. Sein Herz war beeinträchtigt, die Lunge nicht richtig angelegt. „Die Ärzte meinten, ich könne die Schwangerschaft jetzt abbrechen. Sie gingen davon aus, dass das Kind nicht lebensfähig sei“, sagt sie. „Ich habe das Kind im Hamburger Albertinen-Krankenhaus zur Welt gebracht. Allein mit meinem Mann, da die menschlichen Rahmenbedingungen schwierig waren. Wir haben unser Kind dann vor 26 Jahren hier auf dem Holmer Friedhof beerdigt.“

Danach habe sie sich nicht vorstellen können, jemals wieder als Hebamme zu arbeiten. „Ich jobbte bei einer Freundin, die in der Nähe eine Baumschule und ein Gartencenter betreibt. Buddelte in der Erde, um mich selbst wieder zu erden“, sagt sie.

Holmer Politikerinnen und Politiker unterstützen die Pläne

Im Jahr 2000 kommt ihr zweiter Sohn gesund zur Welt. Mit ein wenig Abstand zum Erlebten spürt Anke Krack, wie sehr sie ihren Beruf als Hebamme vermisst. Sie nimmt ihre Nachsorgetätigkeit wieder auf und wird mehr und mehr zur Vertrauensperson für Frauen, die ein ähnliches Schicksal wie sie erlebt haben.

Nachdem am 15. Mai 2013 die gesetzliche Neuregelung im Umgang mit Sternenkindern greift und Eltern nun die Geburt beim Standesamt dauerhaft dokumentieren lassen und so ihrem Kind offiziell eine Existenz geben und es beerdigen lassen können, wird Anke Krack aktiv. Sie setzt ein Schreiben an Bürgermeister Uwe Hüttner mit der Bitte, eine Fläche auf dem Holmer Friedhof kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Er und die gesamte Holmer Gemeindevertretung stimmen sofort zu.

Holmer Friedhof: Der Platz für die Sternenkinder hat drei Stelen

„Mit einem Friedhofsgärtner habe ich dann überlegt: Wie kann so ein Platz aussehen? Und mir auf Hamburger Friedhöfen Grabfelder angeschaut.“ Über Spenden und ein Benefizkonzert kommen 2000 Euro für die Gestaltung des Sternenkinderplatzes zusammen. „Drei Stelen sollte er haben. Mit Sternen und einer Skulptur. Das wusste ich sofort“, sagt Anke Krack.

„Eine Bank war mir ganz wichtig. Allein schon, weil der Tod seines Kindes einem den Boden unter den Füßen wegzieht und man einfach einen Platz braucht, um bei sich zu sein.“ Seit der Eröffnung vor zwei Jahren ist sie selbst auch oft hier. Zum einen, um sich um die Grabpflege zu kümmern. Sie sitze aber auch gern hier auf der Bank, wenn Lebensentscheidungen anstehen.

Noch ist hier auf dem Sternenkinderplatz kein Kind begraben

Spricht Anke Krack mit ihren Söhnen Jonathan und Konstantin manchmal über die verstorbenen Geschwister? „Ja“, sagt sie. Dann kommen auch mal diese Gespräche zustande. Wie wäre es gewesen, wenn....? Eine ihrer Freundinnen hat mal zu mir gesagt: ‚Anke, du wärst bestimmt auch eine tolle Mama gewesen für ein Mädchen.’“

Noch ist hier auf dem Sternenkinderplatz kein Kind begraben. „Aber ich weiß, dass sehr viele Frauen schon hierher gekommen sind, weil sie ein Sternenkind verloren haben“, sagt Anke Krack. „Sie setzen sich auf die Bank und sind manchmal froh, wenn sich jemand dazusetzt und man miteinander reden kann. Und das soll dieser Platz ja auch bewirken.“

Sternenkinder: Trauern um totgeborene Kinder ist wichtig

So möchte Anke Krack Frauen aktiv ermuntern, ihre Sternenkinder hier in Holm offiziell bestatten zu lassen. „Das ist so wichtig für den Trauerprozess. Dieser Platz hilft, den Kontakt nicht zu verlieren, die Möglichkeit zu haben, mit dem Kind zu sprechen, wenn man das möchte. Ein Blümchen abzulegen, was auch immer. Es ist so viel tröstender als das Erlebte einfach zu verdrängen.“

Sie möchten für die Gestaltung, Bepflanzung und Pflege des Sternenkinderplatzes spenden? Hier die Bankverbindung: VR Bank Pinneberg/Elmshorn, DE88 2219 1405 0043 5570 90, Stichwort: Sternenkinder/Spende Friedhof Holm.