Wedel. Reicht die Abschaffung von Paragraf 219a aus, um die Situation für Frauen zu verbessern, die eine Abtreibung durchführen lassen wollen.
Das Strafgesetzbuch ist um einen Paragrafen ärmer: 219a, das Werbeverbot für Abtreibungen, wurde vom Bund gekippt. Am Freitag hat zwei Wochen nach dem Bundestag auch der Bundesrat für die Streichung des Gesetzes gestimmt. Frauenrechtlerinnen geben sich erleichtert ob der Tatsache, dass Ärzte nun etwa auf ihrer Internetseite darüber informieren dürfen, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Doch: Ist das schon der große Durchbruch?
Abtreibung: Bund kippt umstrittenen Paragrafen 219a
Britta Hildebrand ist eine der Gynäkologinnen im Kreis Pinneberg, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten. Wegen Paragraf 219a war das bisher nur bei einer Beratungsstelle oder in einer öffentlichen Liste der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zu erfahren. Doch auch jetzt, nach der Abschaffung des Werbeverbots, wird sie die Leistung vermutlich nicht auf ihrer Webseite ausschreiben.
„Das hat zwei Gründe“, so die Frauenärztin mit Praxis in Wedel. „Erstens ist es für mich sehr aufwendig, die Homepage zu ändern. Und zweitens habe ich nicht das Gefühl, dass es schwierig ist, mich zu finden. Alle meine Kollegen und die Beratungsstellen in Pinneberg und Hamburgs Westen wissen, dass ich Schwangerschaftsabbrüche durchführe.“ Hildebrand sei es wichtig zu betonen: Bei der Abschaffung von Paragraf 219a geht es nicht darum, mit Schwangerschaftsabbrüchen Werbung zu machen. „Die Frauen haben ein Recht darauf!“, sagt sie. Dementsprechend sollten sie sich über Abbrüche, Methoden und Mediziner informieren können.
Abtreibung: „Die Frauen haben ein Recht darauf“
Das Hauptanliegen Hildebrands ist aber gar nicht 219a. Viel wichtiger wäre es ihr, dass der Paragraf 218 des Strafgesetzbuches endlich ad acta gelegt wird. Dieser regelt nämlich, dass Abtreibungen bis heute illegal, aber straffrei sind. „Wir regen uns auf, was in Amerika passiert, was in Polen passiert – aber auch hier in Deutschland sind Schwangerschaftsabbrüche noch immer illegal“, so die Gynäkologin. „Ich finde es nicht angenehm, dass ich hier beinahe täglich mit etwas beschäftigt bin, was illegal ist. Andere Behandlungen muss ich ja auch im Rahmen der Gesetze machen“, sagt sie.
Die größte Chance auf dem Weg zur legalen Abtreibung hat Deutschland ihr zufolge während der Wiedervereinigung verpasst: „Die DDR hatte ein viel fortschrittlicheres Gesetz“, meint sie. Das hätte die Bundesrepublik übernehmen können. In der DDR galt seit dem Frauentag 1972 die sogenannte Fristenregelung, nach der ein Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen ohne weitere Voraussetzungen in einer Klinik vorgenommen werden konnte.
Abtreibungen gehören nicht zur Ausbildung von Ärzten
Ein weiteres Hindernis für die Mediziner: Wie genau ein Schwangerschaftsabbruch funktioniert, lernen sie in ihrer Ausbildung nicht, berichtet Hildebrand. Wer die Eingriffe durchführen möchte, muss sich nicht selten von Kollegen anleiten lassen. Andere Ärzte lassen sich die Methoden in ausländischen Abtreibungskliniken, oft in den Niederlanden, beibringen. Die Politik hat diesen Missstand mittlerweile erkannt. So forderte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) kürzlich anlässlich der Abschaffung von Paragraf 219a: „Die verschiedenen medizinischen Methoden von Schwangerschaftsabbrüchen sollten zum Beispiel für Ärztinnen und Ärzte zur Ausbildung gehören.“
Neben Gynäkologin Hildebrand gibt es kaum Frauenärzte in der Region, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. „Es sind die wenigsten Ärzte, die das machen“, sagt sie. „Und es sind auch weniger geworden. Ich schätze, in den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl halbiert.“ Das habe verschiedene Gründe. Einerseits habe der Paragraf 219a dazu geführt, dass Ärzte, die Abtreibungen anbieten und das kundtun, regelmäßig Schwierigkeiten mit dem Gesetz bekamen. Das wohl bekannteste Beispiel dafür ist die Gießener Ärztin Kristina Hänel, die im Kampf gegen das Werbeverbot für Abtreibungen bis vor das Bundesverfassungsgericht gezogen ist.
Abtreibungsgegner rauben Gynäkologen den letzten Nerv
Ein weiterer Grund dafür, dass nur noch wenige Ärzte Abtreibungen anbieten, ist ideologischer Natur. „Es gibt ja immer wieder selbst ernannte ,Lebensschützer‘, die E-Mails und Briefe schicken“, berichtet Hildebrand. Sie redet von knallharten Abtreibungsgegnern, die überall auf der Welt regelmäßig vor Arztpraxen demonstrieren und den Medizinern den letzten Nerv rauben. Zumindest Post und Mails habe Hildebrand selbst schon erhalten. „Bedroht wurde ich noch nicht. Aber ich hoffe natürlich immer, dass nicht eines Tages jemand vor meiner Tür steht“, sagt sie.
„Schwangerschaftsabbrüche sind natürlich nicht gerade der schönste Teil meiner Arbeit“, so die Gynäkologin. Warum sie trotz aller Widrigkeiten zu der Leistung steht, ist für sie leicht zu begründen: „Es gibt einfach so viel Bedarf.“ Dabei hat Hildebrand nicht von Anfang an Abtreibungen angeboten. Früher habe sie ihre Patientinnen häufig in ein Familienplanungszentrum nahe der Johanniskirche in Hamburg-Altona geschickt, wo Beratungen rund um das Thema Schwangerschaft, aber auch medikamentöse Abbrüche durchgeführt wurden.
Mit der CDU-Landesregierung unter Ole von Beust fanden die Abbrüche in dem Zentrum jedoch ein Ende. Staatliche geförderte Stellen durften fortan keine Abtreibungen mehr anbieten. „Ich habe dort angerufen und gefragt: ,Wo soll ich meine Patientinnen hinschicken? Wer macht das denn jetzt noch?‘ Darauf bekam ich die Antwort: ,Keine Ahnung, machen Sie das doch‘“, erinnert sich Hildebrand. Heute, 20 Jahre später, ist sie sich sicher: „Wenn ich mit den Schwangerschaftsabbrüchen aufhöre, lasse ich die Frauen im Regen stehen.“
Abtreibungen – das ist die Lage in Deutschland
In Deutschland sind Abbrüche nur bis zur zwölften Schwangerschaftswoche zulässig. Bevor eine Frau abtreiben darf, muss sie zudem eine entsprechende Beratungsstelle aufsuchen, wo sie kostenlos und unter Einhaltung der Schweigepflicht über den Ablauf des Eingriffs informiert wird. Während des Gesprächs können die Schwangeren vertraulich über persönliche, familiäre oder Beziehungsprobleme reden. Danach gibt es einen Beratungsschein.
Der Schwangerschaftsabbruch kann auf unterschiedliche Arten stattfinden. Gynäkologin Britta Hildebrand bietet etwa ausschließlich medikamentöse Abtreibungen an und folgt damit der Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Bei dieser Variante nehmen die Patientinnen künstliche Hormone ein, die die Schwangerschaft stoppen. Als instrumenteller Schwangerschaftsabbruch werden meist Absaugungen bezeichnet. Dabei entfernt der Arzt unter örtlicher Betäubung oder Vollnarkose das Schwangerschaftsgewebe.
Die Eingriffe müssen Patientinnen selbst bezahlen, sofern sie keine Sozialleistungen beziehen oder es eine medizinische oder kriminologische Indikation für den Abbruch gibt. Eine medizinische Indikation liegt vor, wenn die Gesundheit der Frau wegen der Schwangerschaft gefährdet ist. Kriminologische Indikation bedeutet wiederum, dass die Schwangerschaft Folge einer Straftat, beispielsweise einer Vergewaltigung, ist.
Entgegen landläufiger Annahmen sind Schwangerschaftsabbrüche kein großes Risiko für die Patientinnen. In den meisten Fällen wird ihre Fruchtbarkeit nicht beeinträchtigt. Zudem haben Studien gezeigt, dass das Gros der Frauen nach einer Abtreibung nicht langfristig psychisch belastet ist, so die Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung pro familia.