Pinneberg. Eine Gruppe soll einen jungen Mann unter anderem mit einem Elektroschocker traktiert haben. Nun gab es im Prozess eine Wende.
Ein Opfer, das zweimal nicht vor Gericht erscheint und erst nach Vorführung durch die Polizei aussagt. Und ein Angeklagter, der zwar Teile der Tat einräumt, aber aus Notwehr gehandelt haben will. Ein Staatsanwalt, der ebenso wie die Verteidigerin Freispruch beantragt. Und ein Richter, der dennoch eine Bewährungsstrafe verhängt. Das sind die Zutaten für einen zweitägigen Prozess am Amtsgericht Pinneberg.
Ausgangspunkt ist ein Vorfall aus dem September 2019. Opfer Ernesto G. unterhielt sich mit einem Bekannten in der Nähe des Pinneberger Bahnhofs, als ein Hund vorbeilief und von dem Bekannten gestreichelt wurde. Das gefiel dem Halter des Hundes, Lesa L., nicht. Die ganze Wut des Hundehalters bekam laut Anklage nicht der Hundestreichler ab, sondern dessen Bekannter Ernesto G. Dem soll Lesa L. zunächst eine Kopfplatzwunde verpasst haben, ehe fünf weitere Personen dazukamen und das Opfer schlugen, traten und mit einem Elektroschocker quälten.
Prozess: Schlägerei am Pinneberger Bahnhof
Eine Geschichte, die Lesa L., angeklagt wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung, so nicht zugeben mag. Er gibt an, der Bekannte von Ernesto G. habe den Hund nicht nur gestreichelt, sondern auch festgehalten. Das habe ihn wütend gemacht, so Lesa L.. Weil der eigentlich Schuldige weggegangen sei, habe er Ernesto G. angepflaumt – und sei von diesem gepackt und festgehalten worden. Daraufhin habe er dem späteren Opfer aus Notwehr eine Kopfnuss verpasst, Grund für die Platzwunde am Kopf. Daraufhin hätte ihn der Geschädigte auf den Boden geworfen.
Mit der Gruppe, die danach auf das Opfer losging, habe er nichts zu tun. Er kenne die Personen lediglich vom Sehen, vermute aber, dass sie ihm zur Hilfe kommen wollten. Die fünf Männer hätten das Opfer zwar getreten. Weder sei jedoch ein Elektroschocker zum Einsatz gekommen, noch hätte die Gruppe den Geschädigten an einen Baum gestellt und versucht, ihm das Auge auszustechen.
Opfer erscheint in seiner Aussage nicht glaubwürdig
Ernesto G. erscheint weder am ersten noch am zweiten Verhandlungstag. Erst nach Abholung durch die Polizei tritt der Zeuge auf – und behauptet, den Angeklagten weder provoziert noch gepackt zu haben. Dieser habe ihn angegriffen, dann seien „mindestens zehn Freunde“ des Angeklagten auf ihn zugekommen und hätten ihn verprügelt.
In ihrem Schlussplädoyer äußert die Staatsanwaltschaft Skepsis gegenüber den Schilderungen des Opfers. Die im September 2019 gemachte Anzeige und das nun geschilderte Ereignis würden sich widersprechen. Der Angeklagte habe dagegen seine Sicht widerspruchsfrei und plausibel vorgetragen. Die Kopfnuss wertet der Staatsanwalt als Notwehrhandlung und glaubt nicht, dass Lesa L. die Schlägertruppe kennt. Er sieht den Tatbestand gemeinschaftlicher Körperverletzung nicht bestätigt und fordert Freispruch. Die Verteidigerin des Angeklagten teilt diese Einschätzung und fordert ebenfalls einen Freispruch.
Richter Jens Woywod sieht den Tatbestand der Körperverletzung jedoch als bestätigt an. Die Kopfnuss sei ein unverhältnismäßiges Mittel, um sich aus dem Griff des Zeugen zu befreien. Der Angeklagte habe „eine kurze Lunte“ und wisse, wie er seinen Körper in einer Auseinandersetzung einsetzen müsse. Zudem habe er bereits Anklagen wegen Körperverletzung erhalten und war zum Tatzeitpunkt auf Bewährung. Das Urteil: Lesa L. bekommt sechs Monate Haft auf Bewährung – und trägt die Kosten des Verfahrens.