Elmshorn. Neues Zeitzeugenprojekt des Stadtarchivs sucht Menschen mit Geschichte.

„Es war im April 1945. Da hatte ich mein fürchterlichstes Erlebnis bisher, weil bei uns die Bomben fielen“, erzählt Herbert Böh gefasst. Am Abend des 26. April heulen die Sirenen, sein Großvater hatte auf dem Grundstück einen Erdbunker gebaut, in den sie kriechen konnten. Zuvor sah er noch britische Bomber am Himmel. Kaum hatten sie Zuflucht gefunden, „knallte es um uns herum, alles war schwarz, wir konnten nichts sehen und dachten, wir wären verschüttet. Ich war so in Panik geraten, dass ich rausrennen wollte. Hätte mein Großvater mich nicht festgehalten, wäre ich wahrscheinlich gestorben“.

Elmshorn: Förderverein des Stadtarchivs sucht Zeitzeugen

Eindrücklicher als viele Geschichtsbücher oder Nachrichten beschreiben Erlebnisse und Gefühle die Zeit dieses Frühlings. Herbert Böh hat diese Zeit erlebt. Er ist einer von 15 Zeitzeugen, die bei einem neuen Zeitzeugenprojekt des Fördervereins Stadtarchiv Elmshorn seine Geschichte hör- und sichtbar macht, und damit diese historischen Ereignisse lebendig werden lässt.

Seit März berichten ältere Bürgerinnen und Bürger aus Elmshorn im Stadtarchiv aus ihrer Vergangenheit. Einmal in der Woche wird ein Video gedreht. Erzählt werden vor laufender Kamera etwa Erlebnisse aus der Kindheit im Nationalsozialismus Es geht um Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg oder um die Flutkatastrophe im Jahr 1962.

„Elmshorner Geschichte“, darum dreht sich alles, sagt Arno Freudenhammer vom Förderverein, der die Interviews mit seinen Mitstreitern per Video aufzeichnet und später auf langlebige Archiv-DVDs brennt. Sie werden im große Archiv aufbewahrt und auf der Videoplattform YouTube im Internet veröffentlicht. Aktuell sind sieben Zeitzeugenberichte im Netz unter dem Kanalnamen „Elmshorn damals“ oder unter „Zeitzeugen Elmshorn“ abrufbar.

Elmshorn: Interviews sind im Stadtarchiv zu sehen

Trotz der kurzen Projektdauer gab es schon mehr als 300 Zugriffe und sogar einige Abonnenten. Wer keinen Internetzugang hat, kann die Interviews auch an der Marktstraße 16 zu den Öffnungszeiten des Stadtarchivs sehen – dort stehen im Eingangsbereich zwei große Bildschirme und Kopfhörer für interessierte Besucher bereit.

„Das ist ein ganz, ganz tolles Projekt“, sagt Stadtarchiv-Leiter Peter Köhnke. Die Idee, alteingesessene Elmshorner zu interviewen und diese Gespräche zu archivieren, schwirrte den Mitarbeitern schon lange im Kopf herum. Vorbild war das Zeitzeugenprojekt „733 Schritte durch die Zeit – Königstraße Elmshorn“ des Industriemuseums. 

Das Museum sammelte während des Projektes im Jahr 2020 Objekte, Film- und Fotoaufnahmen von Nutzern der Straße sowie Zeitzeugenaussagen in eingereichten Texten, Fotos oder als Tonspuren. Zudem entstanden Filminterviews, die in die Museumssammlung Eingang fanden. Doch erst mit Hilfe der drei ehrenamtlichen Kollegen aus dem Stadtarchiv – Arno Freudenhammer, Joachim Grafe und Jörg-Hinrich Ahrens – konnte das Projekt erarbeitet und zum Tag der offenen Tür im November dem Publikum vorgestellt werden. Bereits da haben viele Elmshorner ihr Interesse an einem neuen Zeitzeugenprojekt bekundet.

Elmshorn: Videos werden mit Originalaufnahmen angereichert

Bisher haben sich 15 Interessierte gemeldet. Persönliche Erzählungen sind entstanden, mit Emotionen, Mimik und Gestik. Die Schilderungen werden bei der Videobearbeitung angereichert durch eigene Fotos und Dokumente, oder, wenn vorhanden, durch die umfangreiche Fotosammlung des Stadtarchivs. Es gibt kurze Interviews, aber auch Filme, die länger als 20 Minuten dauern.

„Es ist absolut subjektiv, was hier gezeigt wird. Und das ist in Ordnung“, erklärt Ahrens. Natürlich sei es notwendig, die Zeugenaussagen mit anderen Quellen wie Fotos aus dem Archiv abzugleichen und den Wahrheitsgehalt zu prüfen. So erzählt Zeitzeuge Hinrich Köhncke in dem neuesten Video über seine Schuljahre in der Bismarckschule, er spricht über den Sportunterricht, den die Jungs in weißen Unterhemden und blauen Hosen absolvierten. „Ich habe genau die Fotos gefunden“, freut sich Freudenhammer. Bisher hätten sich auch keine Berichte als falsch erwiesen.

Elmshorn: So können Zeitzeugen Kontakt aufnehmen

Emotional seien die Zeitzeugenberichte. Ob es um die NS-Zeit und die Bombenangriffe geht oder um die Geschichte der Bismarckschule oder die Firmengeschichte der Holz Junge GmbH. Auch die Flutkatastrophe von 1962 kam schon zur Sprache. Was noch fehlt, sind Berichte über Flüchtlinge, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nach Elmshorn gekommen sind. Und es fehlen definitiv weibliche Interviewpartner, so Freudenhammer.

Das Projekt ist mit offenem Ende angelegt. „So lange wir Lust haben und Zeitzeugen finden, machen wir weiter“, sagt Freudenhammer. Wer seine Erlebnisse der Nachwelt mitteilen möchte, kann sich telefonisch unter 04121/23 12 71 melden. „Wir sind mobil und kommen auch gerne zu den Zeitzeugen nach Hause oder ins Altenheim

Das technische Equipment wie Kamera, Stativ, Scheinwerfer, Mikrofon oder Schnittprogramm, hat der Förderverein zur Verfügung gestellt. Etwa 1.000 Euro hat es gekostet, die Stadt steuert 450 Euro bei. Die Interviews „schildern eben besser als ein Buch die Geschichte“, sagt auch der Erste Stadtrat und Kulturdezernent Dirk Moritz.