Westerhorn. In Westerhorn soll die Angeklagte eine Heimbewohnerin misshandelt und erniedrigt haben. Sie streitet die Tat ab.
Hat Dorita S. eine ihr anvertraute Altenheimbewohnerin schwer misshandelt und erniedrigt? Oder haben sich das vermeintliche Opfer und Arbeitskolleginnen der Angeklagten gegen sie verschworen, wie es die 65-Jährige behauptet? Für Amtsrichterin Zimmermann ist der Fall am Donnerstag klar. Sie verurteilt die Beschuldigte, eine gelernte Krankenschwester, wegen gefährlicher Körperverletzung und Misshandlung von Schutzbefohlenen zu neun Monaten auf Bewährung und einer Geldbuße von 500 Euro, zahlbar an ein Hospiz.
Heimbewohnerin im Kreis Pinneberg verprügelt?
Was sich genau in der Nacht vom 19. auf den 20. August vorigen Jahres in der Einrichtung in Westerhorn zugetragen hat, schilderten vor dem Amtsgericht Elmshorn mehrere Mitarbeiterinnen sowie die Mutter des Opfers. Die zum Zeitpunkt des Vorfalls 82-jährige Gertrud Z. kann nicht mehr dazu aussagen. Die Geschädigte ist in diesem Jahr im Alter von 83 Jahren gestorben.
Am 11. November 2020 hat Gertrud Z. jedoch vor einem Ermittlungsrichter des Amtsgerichts ausgesagt. Laut ihrer verlesenen Schilderung hatte sie gegen 23 Uhr geklingelt, um von der Toilette zurück ins Bett begleitet zu werden. Das habe Dorita S., die allein als Nachtwache tätig war, auch getan.
Weil sie aufgrund ihrer Wassertabletten häufiger müsse, habe das spätere Opfer gegen 23.30 Uhr nochmals geklingelt. Dieses Mal habe ihr die Angeklagte nicht geholfen, sondern barsch behauptet, sie könne noch selbst ins Bett gehen, sei nur zu faul dazu. Dann habe sie ihr den Rollator vor das Schienbein geknallt.
„Sie hat mir mit voller Wucht eine geknallt“
Als Gertrud Z. dann auf den Rollator gestützt in Richtung Bett gehumpelt sei, „hat sie mir mit voller Wucht eine geknallt, sodass ich hingeflogen bin“. Aufgeholfen habe die Nachtwache ihr nicht. „Sie sagte, ich kann schreien bis morgen früh, mich würde sowieso keiner hören.“ Dorita S. sei dann mehrfach wieder in das Zimmer gekommen, habe ihr eine Decke zugeworfen, sie verhöhnt. Mindestens eine Stunde habe sie im Flur ihres Appartements gelegen, ehe die Angeklagte mit einer Hebevorrichtung erschienen sei und ihr aufgeholfen habe. Sie habe Hämatome, Prellungen und eine Schürfwunde am Arm erlitten.
Christina L. (37) ist die erste, die am Morgen das Zimmer der Seniorin betritt. „Sie war ein bisschen aufgewühlt“, so die Pflegehilfe. Dann habe ihr Frau Z. von den Ereignissen der Nacht berichtet. Sie habe diese Schilderung für glaubwürdig gehalten und die Pflegedienstleitung alarmiert.
Desiree B. (39), die diese Funktion in dem Altenheim ausübt, schilderte die 82-Jährige als „völlig verängstigt“. „Sie hat vor Angst gezittert, hatte Tränen in den Augen und wollte die Geschichte erst nicht erzählen, weil sie Angst vor der nächsten Nacht hatte, wenn die Angeklagte wieder alleine Nachtdienst hat.“ Sie habe den Fall an die Heimleitung weitergegeben, die Dorita S. sofort von ihren Aufgaben entbunden habe. „Die Kündigung ging dann schriftlich raus.“
Im Heim gab es Beschwerden über die Angeklagte
Die Schilderungen der beiden Mitarbeiterinnen sind identisch mit der Aussage, die das Opfer vor dem Richter gemacht hat. Auch Christine E. (64), die Tochter des Opfers, bestätigt die Version. „Meine Mutter war geistig klar, sie fühlte sich in dem Heim wohl, hatte keinerlei Probleme mit den Pflegekräften.“
Die Kolleginnen allerdings hatten ein Problem mit Dorita S. – das behauptet zumindest Ute D. (58), die die Pflegedienstleitung des Heims bis zwei Wochen vor der angeklagten Tat inne hatte. Sie bezeichnete die Angeklagte als „fleißig und hilfsbereit“, sie sei ihren Kolleginnen jedoch nicht allzu sympathisch gewesen.
Erst auf Nachfrage räumt die Zeugin ein, dass es Beschwerden über die 65-Jährige gab. Sie soll gegenüber Bewohnern ungeduldig und unfreundlich gewesen sein, sich im Ton vergriffen und einer Bewohnerin im Speisesaal ein Medikamententablett auf den Kopf geschlagen haben. „Die Frau ist hochdement, ich kannte all das nur vom Hörensagen. Das heißt für mich nicht, dass es auch so ist. Ich habe ein Gespräch mit Frau S. geführt, sie hat es abgestritten.“
Angeklagte zu Geld- und Bewährungsstrafe verurteilt
Dorita S., die ohne Rechtsbeistand an dem Prozess teilnahm, stritt vor Gericht auch die angeklagte Tat ab, „Das war völlig anders.“ Gertrud Z. habe geklingelt, sie sei aber erst an der Tür des Appartements gewesen, als es „mächtig gerumst“ habe. „Ich habe mich erschreckt“. Die 82-Jährige habe hilflos am Flur gelegen, es sei ihr trotz mehrfacher Versuche mit Hilfe des Rollators und eines Stuhls nicht gelungen, ihr aufzuhelfen. „Es hat länger gedauert, bis ich den Lifter geholt habe, weil da alles so eng ist.“
Die Bewohnerin könne durchaus eine Stunde dort gelegen habe, aber sie habe sich gekümmert, so die Angeklagte. Gertrud Z. habe ihr auf Nachfrage versichert, sich beim Sturz nichts getan zu haben. „Ich hätte gleich einen Rettungswagen rufen sollen, im Nachhinein ist es mir ein Rätsel, warum ich das nicht gemacht habe.“
Staatsanwältin Janina Plate nahm der 65-Jährigen die Geschichte nicht ab. Sie forderte neun Monate auf Bewährung und 1000 Euro Geldstrafe. Die Richterin verurteilte die nicht vorbestrafte Angeklagte antragsgemäß, halbierte jedoch die Geldbuße. Dorita Z. war hörbar unzufrieden. „Ich bin sprachlos, komme mir vor wie eine Schwerverbrecherin“, sagte sie nach dem Plädoyer der Staatsanwältin. Die 65-Jährige kann über eine Berufung ein neues Verfahren erzwingen. Sie hat ab Montag einen neuen Job – offenbar erneut in der Altenpflege.