Elmshorn. Amar Al-Naimi ist einer der erfolgreichsten Livestreamer Deutschlands. Wie er Millionen Menschen begeistert.
Amar Al-Naimi ist mit irakischen Wurzeln in Österreich geboren und im Kreis Pinneberg großgeworden. Hier hat er schon als Neunjähriger für die Baseballmannschaft Elmshorn Alligators auf dem Feld gestanden. Heute interessieren sich fast 1,4 Millionen Menschen für die Spielerfolge des 28-Jährigen. Allerdings: Sie schauen Amar nicht vom Spielfeldrand, sondern im Netz zu. Denn ihr Idol ist nicht nur Entertainer, Unternehmer und Moderator, sondern in erster Linie Livestreamer. Auf der Plattform Twitch verfolgen Tag und Nacht Hunderttausende online, wie er sich in Videospielen wie „Fortnite“ und „Fifa“ schlägt. Warum Amar mittlerweile wieder bei den Elmshorn Alligators spielt und Online-Zocken auch Schufterei sein kann, hat er im Abendblatt-Interview erzählt.
Amar, Du hast schon in jungen Jahren für die Baseball-Mannschaft Elmshorn Alligators gespielt. Wie und warum hast du jetzt zurück zur Mannschaft gefunden?
Amar Al-Naimi: Damals, ich war neun Jahre alt und bin gerade in der Realschule am Probstenfeld gewesen, sind zwei Amerikaner bei mir in die Schule gekommen – Dan und Felix. Die beiden hatten in Amerika Baseball gespielt und sind dann für eine Zeit nach Elmshorn gekommen, um dort in der Liga zu spielen und Europa kennenzulernen. Die haben so ein bisschen die Jugendbetreuung übernommen für die Alligators. Ich hatte ja bis dahin gar keine Ahnung, was Baseball überhaupt ist!
Ich konnte aber irgendwie ganz gut werfen, und sie haben mich zum Probetraining eingeladen. Dan und Felix haben mich dann ein bisschen unter ihre Fittiche genommen, weil sie Talent bei mir gesehen hatten. So habe ich direkt Baseball lieben gelernt.
Ich habe bei den Elmshorn Alligators gespielt, bis ich 16 wurde. Ich hatte eine unglaublich gute Zeit – wir wurden ständig Deutscher Meister. In dem Team wollte damals jeder was erreichen, das war wirklich Passion! Jeder ist sofort nach der Schule auf den Platz, obwohl wir das ohne Aufsichtsperson gar nicht durften (lacht).
Du hast die Saison 2022 in der 2. Bundesliga Nord-Nordost für die Elmshorn Alligators mit dem traditionellen First Pitch eröffnet. Was hat Dich zurück auf den Platz gezogen?
Amar Al-Naimi: Stern-TV war bei mir zu Gast und wollte meine Geschichte erzählen – und dazu gehört eben auch Baseball. Die Elmshorn Alligators haben sich sehr gefreut, dass ich zum Dreh mal wieder da war. Und dann kam direkt die Frage: ,Wie siehts aus? Wir haben dieses Wochenende Season-Opener. Würdest du vielleicht den ersten Pitch für uns werfen?‘
Ich habe mir die Zeit genommen, und dann hat sich das alles so gut angefühlt. Baseball, perfektes Wetter, es wird gegrillt, es ist sehr familiär, man sieht Gesichter, die hat man seit 15 Jahren nicht mehr gesehen. Da habe ich zum Trainer gesagt: ,Was hältst du davon, wenn ich wieder anfange?‘ Dann habe ich beim zweiten Spiel direkt wieder mitgespielt.
Eigentlich bist Du ja nicht für Baseball, sondern fürs Streaming bekannt. Also dafür, Videospiele live im Internet zu übertragen. Wie kam es zu dem eher ungewöhnlichen Beruf?
Amar Al-Naimi: Ich habe schon immer Spiele geliebt, „Call Of Duty“ war meine absolute Passion. Ich war ein sehr guter Zocker, habe aber lange ,ganz normal‘ gespielt. Dann habe ich irgendwann zufällig gesehen, dass es „Call Of Duty“-Weltmeisterschaften gibt – da ging es um eine Million Dollar, in Amerika war das. Das waren Superstars, die da gespielt haben! Ich habe gedacht: ,Da will ich auch sein.‘
Und dann habe ich mich reingefuchst, habe mich für verschiedene Turniere qualifiziert und hatte dann einen Kollegen, der gestreamt hat. Ich dachte: ,Hä? Warum gucken dem 1200 Leute zu, wie er zockt? Das möchte ich auch!‘ Also habe ich angefangen zu streamen.
Viele haben ja damals gar nichts gesagt für ‘ne Stunde lang. Bei mir war’s: reden, reden, reden, viel durchdrehen, ausrasten, Spaß haben. Das haben die Leute gemocht. Nebenbei habe ich mich für Weltmeisterschaften qualifiziert, Europameisterschaften, wurde Deutscher Meister.
Irgendwann habe ich aber den Entschluss getroffen, dass ich meine eigene Spielerkarriere hintanstellen muss und rein auf Entertainment gehe.
Was streamst Du hauptsächlich? Welche Spiele und Events gibt es auf Deinen Kanälen zu sehen?
Amar Al-Naimi: Das ist hauptsächlich „Fortnite“, aber auch viele andere Spiele von „Fifa“ bis zum Ego-Shooter „Valorent“ oder „Fall Guys“. Das, worauf ich Lust habe. Außerdem gibt es noch die Events. Denn früher war das Motto eher ,Ellenbogentaktik‘ bei YouTube. Das habe ich gar nicht gefeiert.
Irgendwann habe ich also beschlossen, dass die Leute zusammenkommen sollten. So können alle gemeinsam Reichweite und Erfahrungen gewinnen und man kann die Zuschauer noch besser unterhalten, wenn verschiedenste Charaktere aufeinandertreffen. Angefangen hat alles mit der „Mashup Competition“ 2019, bei der wir Geld für den guten Zweck gesammelt haben. Das war das erste Event, das ich mit dem Streamer Trymacs zusammen veranstaltet habe. Marco Reus, Toni Kroos – die halbe Fußballnationalmannschaft war dabei.
Anschließend kam ein Event nach dem anderen. Viele sagen mir nach, dass ich da so eine Art Initialzünder war in der deutschen Streamer-Szene.
Welche Menschen zählst du denn zu Deiner Community? Und wie viele verfolgen so einen Livestream?
Amar Al-Naimi: Das ist sehr gemischt. Auf der Straße sprechen mich eher Leute zwischen 14 und 25 Jahren an, aber wenn man mal zwei Bierchen getrunken hat auf einer Party, sprechen mich plötzlich auch die Mitte-30-Jährigen an. Was die Zuschauerzahl angeht, sind es im Schnitt 10.000 bis 30.000 Leute, die die Streams verfolgen – das ist fast ganz Elmshorn. Mein Highlight im März waren mehr als 100.000 Leute im Stream. Dabei darf man nicht vergessen: Das sind nur Live-Zuschauer. Über den Abend hinweg schalten ja auch noch Leute ein und viele schauen sich das nachträglich an. Mit einem Teammates-Event erreiche ich fünf bis sieben Millionen Leute („Teammates“ ist eine Spielshow, Anm. d. Red.).
Hat sich hinsichtlich der Zuschauerzahlen auch die Pandemie bemerkbar gemacht?
Amar Al-Naimi: Ja! Während der Pandemie sind die komplett explodiert: von 2000 auf 10.000, 20.000 Zuschauer im normalen Stream. Da hat man wirklich gemerkt, wie viele Leute zu Hause waren – zu jeder Uhrzeit.
Gerade ältere Menschen würden sagen: Computerspielen – das ist doch keine „richtige“ Arbeit. Stimmt das?
Amar Al-Naimi: Das ist eine Fehlannahme. Ich arbeite am Tag im Schnitt 15 Stunden. Klar, das geht nur, weil ich morgens nicht aufstehe und mir denke: ,Scheiße, ich muss jetzt arbeiten.‘ Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht.
Zu meiner Arbeit gehört dabei ganz Verschiedenes: die Planung, was ich in meinem Stream oder YouTube-Video machen möchte, meine Mitarbeiter zu beschäftigen, dann müssen Turniere geplant und organisiert, Sponsoren angeworben und Verträge verhandelt werden. Manchmal muss man zum Notar, außerdem haben wir unsere eigene Modemarke samt Mitarbeitern und Büros. Na ja, und dann muss ich noch vor der Kamera performen, gut gelaunt sein und Gas geben.
Das klingt nach einer Menge Arbeit. Was motiviert Dich so? Warum ist Streamer Dein Traumberuf?
Amar Al-Naimi: Ich sitze vor meinen Bildschirmen und rede mit der Community. Ich tausche mich dort aus, nehme das Stimmungsbild meiner Zuschauer mit und kann meine eigene Stimmung auf die Menschen übertragen. Die Leute fühlen sich gut, wenn sie die Streams sehen, wenn ihre Nachrichten live vorgelesen werden. Es ist wie ein interaktives Fernsehen. Ich meine, wie gerne hätten die Leute damals beim ,Wetten, dass‘-Gucken direkt mitgeteilt, wie ihre Stimmung gerade ist? Wir Streamer können direkt mit den Leuten kommunizieren, direkt mit ihnen interagieren. Das ist das Besondere an dem Medium.
Früher warst Du „Call Of Duty“-E-Sportler und hast an Videospiel-Wettbewerben teilgenommen. Wenn Du E-Sport und „Offline-Sport“ vergleichst: Was sind Gemeinsamkeiten und Unterschiede?
Amar Al-Naimi: Das hat den identischen Drive! Im Vordergrund steht der Wettbewerb, der Wettkampf gegen andere oder gegen sich selbst. Das ist, was alle vorantreibt und motiviert. Bei beiden Arten Sport zu treiben sind es extreme Glückshormone, die ausgeschüttet werden, sobald du im Wettkampf stehst.