Kölln-Reisiek. Jakob und Jonathan Heins haben sich einem Profiteam nahe Göteborg angeschlossen. Die ganze Familie ist aus Kölln-Reisiek umgezogen
Eine Familie wandert nach Schweden aus – und die Kinder mit ihren sportlichen Ambitionen sind die Triebfedern der gesamten Aktion. Da drängt sich eine Frage förmlich auf: Wie viel Geld haben Jonathan und Jakob Heins ihren Eltern gezahlt, das bisherige Leben in Kölln-Reisiek aufzugeben? „Genug auf jeden Fall“, sagt der 18 Jahre alte Jonathan – schmunzelnd. Ernst gemeint sei selbstverständlich kein Cent geflossen, verbunden mit der Hoffnung, dass die Eltern dies gern auf sich nehmen.
Den ersten Familienumzug initiierten die Eltern nach Irland
Aber eigentlich müssten sich Kinder üblicherweise doch den Träumen und Lebensvorstellungen ihrer Eltern fügen? Mutter Anja, die gemeinerweise das Telefonat „rein interessehalber“ mitlauscht, schaltet sich auf Bitte des Abendblatt-Reporters aus dem Hintergrund ein: „Wir hatten unsere Jungs 2016/17 mit nach Irland geschleppt und in Dublin gewohnt. Das war dann jetzt quasi die Revanche. Und es ist ja auch eine einmalige Chance, auf so einem Level zu spielen. Diese Chance muss man einfach auch nutzen. Beruflich hatten wir auch das Quäntchen Glück, weil beide Arbeitgeber bei uns mitspielen.“ Vater Sven Heins arbeitet in der IT-Branche, seine Frau entwickelt Persönlichkeitstests für Bewerbungsverfahren.
Die Gebrüder Heins spielen Floorball. Im Grunde genommen ist diese in Deutschland relativ exotische Sportart exakt wie Eishockey, nur mit einem Plastikball und -schläger sowie weniger Rutschgefahr auf dem Hallenboden. Eine ordentliche Portion Talent ist vorhanden, also sind die beiden – mit ihren Eltern Anja und Sven im Schlepptau – im vergangenen Sommer Ende Juni nach Mölndal, in der Nähe der schwedischen Großstadt Göteborg, gezogen.
Die Heins Brüder dürfen auf eine Profikarriere spekulieren
Floorball, dort Innebandy genannt, ist dort wie im übrigen skandinavischen sehr populär. Die Heins-Jungs treten in zwei Jugendteams (U17/U19) und gemeinsam im Division III-Herren-Team des renommierten Clubs Pixbo Wallenstam IBK an. Eventuell bietet sich die Chance, Floorball-Profi zu werden. Und es wird eben einfach probiert und nicht ewig leicht panisch eine Pro- und Contra-Liste vollgeschrieben, bis der Floorball-Zug abgefahren ist.
Die Ex-Spieler des Bundesligisten Blau-Weiß 96 Schenefeld testen, ob und wie weit es sportlich für sie im Ausland reichen kann. Und die Eltern, die seit gut zehn Jahren diesen ambitionierten Floorball-Fanatismus ihrer Kinder mitmachen und schon in der einen oder anderen stickigen Sporthalle mehr oder weniger enthusiastisch mitfieberten, haben sich auch ins Schweden-Abenteuer gestürzt.
Wer ist denn eigentlich der bessere Floorballer? „Ich stecke mehr Arbeit rein, aber Jakob hat mehr Talent“, gibt Jonathan ehrlich zu. „Das könnte man schon so sagen“, bestätigt der 16 Jahre alte Jakob Heins. Beide begannen früh über eine Schul-AG mit diesem Sport und spielten dann in der SG Kölln-Reisiek. Ihre Fußball-Karriere ließen sie im Laufe der Jahre liegen.
Bei Blau-Weiß 96 sammeln die Brüder Heins Bundesligaerfahrung
Vor einigen Jahren wechselten der Angreifer Jakob sowie Abwehr- und Flügelspieler Jonathan zu Blau-Weiß 96 und sammelten Erfahrung in Deutschlands höchsten Spielklassen. Im Sommer 2018 nahm Jakob am Star-Camp von Veranstalter Pixbo Wallenstam teil und wusste zu überzeugen. „Als mich der Trainer dann fragte, ob ich noch einmal vorbeikommen möchte, um für Pixbo zu spielen, musste ich einen ganzen Tag lang vor Freude grinsen“, erinnert er sich.
Ein halbes Jahr später avancierte er bei einem Turnier zum besten Spieler des Finals. „Sie haben mich auch nach Geschwistern gefragt, also habe ich erzählt, dass mein Bruder auch Floorball spielt und nicht so schlecht ist. Da wurden die Augen groß“, so der jüngere Heins. Und so mischte auch Jonathan nach Probetrainings letztendlich beim Schweden-Projekt mit.
Doch wie so vieles in jüngerer Vergangenheit bremste Corona auch die Brüder aus. Und es klingt derzeit nicht danach, dass nur mit Scheuklappen das Ziel auf das Profitum ausgerichtet ist. „Plan A ist, die internationale Schule hier fertig zu machen und nebenbei im Floorball weiterzukommen. Danach möchte ich eventuell studieren oder eine Ausbildung machen“, sagt Jakob Heins, mutmaßlich aus freien Stücken. Jedenfalls behauptet Mutter Anja, dass er so eine seriöse Aussage ohne vorherige Rücksprache und keinerlei Druckausübung getätigt habe. Ursprünglich hatte der ältere Sohn Jonathan vor, in diesem Jahr nach Deutschland zurückzukehren, um hier ein Studium aufzunehmen.
Jonathan hat seine Rückkehr nach Deutschland verschoben
„Wegen der Corona-Situation habe ich mich umentschieden, weil sportlich mehr hätte laufen können in normalen Zeiten und ich einfach mehr hätte erreichen können. Ich nehme lieber ein Studium in Jönköping auf.“ Also verschiebt Jonathan sein Deutschland-Comeback vorerst wieder. Abwarten geht in diesen Zeiten ja ohnehin (notgedrungen) ganz gut: Auch die Teilnahme der beiden deutschen U19-Nationalspieler an der WM ist ungewiss. Neuer Termin im tschechischen Brno ist der August.
Das Training ist in Schweden erlaubt, die Floorball-Saison jedoch genau wie in Deutschland abgebrochen. Drei- bis viermal in der Woche gibt es Übungseinheiten, dazu am Wochenende spezielles Schusstraining. Familie und Freunde vermissen sie nach bald einem Jahr schon, und vielleicht auch noch spezielle Süßigkeiten aus dem Hause Ferrero. Während Jakob noch gern Videospiele zockt, hat Jonathan derzeit kein größeres Hobby neben der riesigen Leidenschaft Floorball, der beide fleißig frönen. Fürs Angeln sei es noch zu kalt.
Mit Abbau der Sprachbarriere klappt es auch immer besser mit der Integration
Mit der Sprache geht es allmählich aufwärts, generell funktioniert es sonst fast immer mit Englisch. „Wir sind hier schon gut aufgenommen worden trotz der Sprachbarriere. Aber es ist schon ein wenig anders. Ich glaube, die Schweden brauchen einfach etwas, um mit einem warm zu werden“, sind sich beide einig. Der Kontakt mit den Spielern, die sich nicht so trauen, Englisch zu sprechen, ist erst gewachsen, als die Deutschen ein paar Brocken Schwedisch gelernt hatten. Aber im Endeffekt braucht der Sport ohnehin keine Sprache.
Anders als das alltägliche Leben: Ob die Familie Heins mittelfristig weiterhin gemeinsam in unterschiedliche Länder umzieht, um dort sesshaft zu bleiben, ist derzeit noch ungewiss. Eigentlich wären jetzt wieder die Eltern mit der Zielortbestimmung an der Reihe.