Kreis Pinneberg. 50 Jahre in 50 Wochen. Diesmal geht es um 1992, als Tutti-Frutti-Frauen noch aus dem Kreis kamen und Öko schick wurde

Schon 1992 liegen ökologische Themen im Trend, auch wenn die Grünen den Sprung in den Landtag denkbar knapp verpassen. Zudem wächst die Sorge vor Lehrermangel und auch die Müllberge werden immer größer. Recycling auf privater Ebene wird eingeführt, die Sorge vor Giftstoffen wächst, wie auch der Wunsch nach biologisch einwandfreien Lebensmitteln. Die Wohnungsnot bleibt groß. Rechtsradikale Gedanken keimen weiter, die Akzeptanz von Geflüchteten ist nicht flächendeckend vorhanden.

Sparkassen-Direktor entführt, Täter entkommen

Um die Abfallberge – trotz weniger Verbrennung – in den Griff zu bekommen, sind die damals 270.000 Bürger im Kreis dazu aufgerufen, ihren Müll teilweise selbst zu verwerten, das Kompostieren sei kinderleicht. Eine Infobroschüre enthält Beratungsangebote und Tipps für das richtige Sortieren. Reststoffdeponien sind weitaus ungefährlicher für Mensch und Umwelt. Es wird zum Recycling aufgerufen. „Getrennte Ablagerung bedeutet Schadstofffreiheit“, heißt es im Abendblatt. Über den Kreis werden günstig Schnellkomposter angeboten.

Auf den Neujahrsempfängen gibt es die Hoffnung auf mehr Wohnungen – im Kreis gibt es bis zu 100 Bewerber auf eine freie Bleibe. Zwei unmaskierte Gangster entführen den Borstel-Hohenradener Sparkassen-Direktor Rolf Bruhn und zwingen ihn, die Filiale zu öffnen. Sie entkommen in einem gestohlenen VW Golf mit 80.000 Mark aus dem Tresor. Das Auto wird in Rellingen stehen gelassen. Es soll sich um Serientäter handeln, die mit 20 Taten im Hamburger Umland bereits einen Millionenbetrag ergaunert haben. Sie können nicht gefasst werden und sollen später, am 30. November und 8. Dezember, wieder zugeschlagen haben.

Städte investierten in Nutzung von Windenergie

Nach Schätzungen der Kirche sind etwa 7000 Schleswig-Holsteiner obdachlos. Im Appener Schäferhof können Männer ein bis drei Tage verweilen. Allerdings soll diese Kurzunterbringung nur bis zum 1. April möglich sein. Die Kommunen sind vom Anstieg bei überlasteten eigenen Angeboten überfordert. Die Basketballer des SC Rist steigen nach sieben Jahren in der 2. Liga wieder in die Regionalliga ab.

Im Elmshorner Kreis-Krankenhaus soll ab Februar nach fünfjähriger Planung eine integrierte Abteilung für psychisch Erkrankte entstehen. 34 Millionen Mark sind geplant für das wohnortnahe Projekt für Kinder und Erwachsene.

Im März wird bekannt: Barmstedt und Wedel investieren in das europaweit einmalige Pilotprojekt zur Nutzung von Windenergie. Mit 15 anderen Städten und Gemeinden soll die Bau- und Betreibergesellschaft für den „Kommunalen Windenergiepark Schleswig-Holstein“ gegründet werden. Pinneberg und Halstenbek folgen vermutlich. Die vier sollen 16 Prozent der „Versuchsanlage“ in Höhe von 12,6 Millionen Mark tragen.

Kriminalitätsrate im Kreis Pinneberg steigt

Um dem mehrfachen Abkassieren der Sozialhilfe einen Riegel vorzuschieben, wird testweise für Asylsuchende das Geld direkt bei den Sozialämtern, auch in Form von Schecks, ausgezahlt. In Pinneberg gibt es keine Angst vor Überfällen: 60.000 Mark werden bar ausgezahlt. Von den 1235 Geflüchteten im Kreis kommt jeder Zehnte nicht – und hat damit keinen Anspruch auf seine März-Hilfe, sofern kein ärztliches Attest vorhanden.

Die Kriminalitätsrate steigt um 3,2 Prozent auf 20.780 Delikte. Jede dritte Tat bleibt unaufgeklärt. Vor allem im Bereich der Gewaltkriminalität gibt es Zuwächse. Dagegen stehen lediglich 45 Kriminalbeamte im Kreis. In Prisdorf ist die bundesweit erste Wiederaufbereitungsanlage für Styropor entstanden. Es wird in einen industriell nutzbaren Rohstoff umgewandelt. Rund 4500 Tonnen sollen im Jahr bewältigt werden.

„Kunden können die Hüllen fallen lassen“, lautet die, nun ja, freche Abendblatt-Überschrift im April. Natürlich geht es nur darum, dass die Bundesverpackungsordnung die Einzelhändler dazu verpflichtet, einen großen Teil des Verpackungsmülls, den die Kunden „nicht nach Hause schleppen wollen“, selbst zu beseitigen.

Bundeskanzler Helmut Kohl spricht in Uetersen

Unterdessen macht ein politisches Schwergewicht Station in Uetersen: Bundeskanzler Helmut Kohl hält eine 75-minütige Rede, in der er auch dem CDU-Spitzenkandidaten im Kreis, Ottfried Henning, den Rücken vor der Landtagswahl stärkt. Die Grünen scheitern letztlich an der Fünf-Prozent-Hürde (4,97), die rechtsextreme Partei Deutsche Volksunion (DVU) zieht in den Landtag ein – und liegt auch in hiesigen Wahlkreisen teils weit über fünf Prozent.

Gute Heilungschancen gibt es für andere Patienten: Allen Kreis-Einwohnern stehen 297 Ärzte zur Verfügung. Die Zahl der Ärzte steigt schneller als die Patientenquote. Die Zahl der Facharztpraxen hat sich in den vergangenen 20 Jahren verdreifacht. Die Krankenkassen fürchten ein Überangebot. Im Mai feiern die Fußballer der SV Halstenbek-Rellingen den größten Erfolg der 82-jährigen Vereinsgeschichte. Das Team um Trainer Roland Lange steigt als Landesliga-Meister der Hammonia-Staffel in die Verbandsliga auf. „550 Liter Freibier flossen durch raue Kehlen“, schreibt das Abendblatt über die Party.

Weniger selig geht es beim Streit um den Drosteivorplatz zu: Ein Apotheker klagt gegen die bereits weit fortgeschrittene Umgestaltung zur Fußgängerzone. Es gibt Befürchtungen über Umsatzeinbußen, wenn die Kunden nicht mehr direkt mit dem Auto vorfahren können.

Wird der Bau der Westumgehung möglich?

Im Juni wird öffentlich, dass in Halstenbek eine japanische Schule für 15 Millionen Mark entstehen soll. In Hamburg gibt es bereits eine, der Baubeginn ist für 1993 geplant. Es wird gehofft, „dass ein oder zwei japanische Unternehmen“ sich in der Nähe niederlassen.

Von einem möglichen „Durchbruch zum Bau der Westumgehung“ in Pinneberg wird berichtet, weil Umweltminister Berndt Heydemann auf einen großen Teil der geforderten Ausgleichsflächen verzichtet. Der Kompromiss liegt nun bei 22 statt 45 Hektar. Den Kreis-Kliniken gehen im Sommer die Blut-Konserven aus, es muss beim Roten Kreuz hinzugekauft werden. Doch auch das DRK hat unter Lieferengpässen zu leiden. Mögliche Gründe: Die Hitze, Urlaubszeit und die Fußball-EM.

Der Bundeswehr fehlt ebenfalls der Zustrom: Im Kreis Pinneberg soll es immer mehr Kriegsdienstverweigerer geben, genaue Zahlen werden jedoch geheimgehalten. Viele Schulabgänger bevorzugen den „zivilen Ersatzdienst in Krankenhäusern, Altenheimen und Hilfsorganisationen.“ In Schleswig-Holstein und Hamburg waren es exakt 7411 Anträge, 1990 wollten nur 4697 junge Männer Zivildienst leisten.

Hitze und Trockenheit machen Bauern zu schaffen

Die Bauern machen sich Anfang Juli ebenfalls Sorgen, weil die wochenlang anhaltende Dürre die Ernte bereits drei Wochen früher als geplant hat einsetzen lassen. Sogar die Marschböden sind bereits ausgedörrt. Und auch in Rantzau ist eine erst im Frühjahr aufgeforstete Baumfläche von 40 Hektar weitgehend vertrocknet. Sogar die Trinkwasser-Versorgung ist angespannt. Es gibt Überlegungen, nachts die Versorgung zu drosseln. In Elmshorn beginnt dagegen die Computer-Ära im Eisenbahnverkehr. Das modernste Weichen- und Signalstellwerk Deutschlands ist in Betrieb. Mehr als 34 Millionen Mark sind investiert worden für den Zugverkehr zwischen Tornesch und Dauenhof.

In Szene gesetzt werden auch Männer und Frauen bei der Erotik-Spielshow „Tutti Frutti“ bei RTL plus. Die Heidgrabener Jungunternehmerin Manuela Hoffmeyer (25) übernimmt mit ihrer Casting-Agentur die Vorauswahl der Kandidaten. Rund 50 Prozent der jährlich etwa 4000 Bewerbungen werden sofort ausgesiebt. Grund: „Verkorkstes Deutsch“, das eine geeignete TV-Präsentation nicht zumutbar erscheinen lässt. Angeblich zählen Witz und Schlagfertigkeit, und dann erst ein „passables Aussehen“, um zumindest eine Runde weiter im Bewerbungsverfahren zu kommen.

Verfassungsschutz ermittelt gegen Elmshorner Neonazis

Die Nachfrage nach Bio-Produkten wächst, der „Kampf um Marktanteile ist voll entbrannt.“ In Schenefeld läuft ein Öko-Wochenmarkt so gut, dass auch einer in Pinneberg entstehen soll. In Uetersen verkauft ein Ehepaar wöchentlich „250 Kilogramm naturbelassene Knoblauchcreme“. Die bäuerlichen Betriebe haben sich bisher allerdings noch kaum umgestellt.

Im August wird bei bundesweiten Razzien auch in Elmshorner Wohnungen Propaganda-Material des berüchtigten rassistischen Ku-Klux-Klans aus den USA sichergestellt. Und auch Bombenmaterial. „Es gibt Personen in Elmshorn, die in Aktivitäten des Clans eingebunden waren“, sagt ein Polizei-Sprecher. Zehn radikale Rechtsaußen soll das Netzwerk in der Krückaustadt umfassen. Der Verfassungsschutz ermittelt.

Nach drei erfolglosen Wahlgängen, bei der die erforderliche Mehrheit von acht Stimmen nicht erreicht wird, entscheidet im September das Los über den künftigen Bürgermeister Helgolands: Amtsinhaber Franz Josef Baumann (CDU) bleibt weitere sechs Jahre im Amt, sein SPD-Herausforderer Udo Gesang verliert.

Schüler streiken aus Protest gegen Sparpolitik

Die Nordmark-Pharmaziewerke in Uetersen sind im Vorjahr als „Umweltfreundlicher Betrieb“ ausgezeichnet worden. Doch der Mutterkonzern BASF möchte seinen Plan verwirklichen, die über das Gelände fließende Pinnau südlich um das Gebiet umzuleiten, damit es künftig nicht mehr davon durchschnitten ist. Die Grünen laufen Sturm. Das Vorhaben soll zehn Jahre dauern, auch die Kosten von fünf bis zehn Millionen Mark schrecken nicht ab.

Wedels Bürgermeister Jörg Balack stirbt im Oktober im Alter von nur 51 Jahren. Eine nicht auskurierte Erkältung zu Jahresbeginn sorgte für schwerwiegende Lungenprobleme. Der gebürtige Berliner war 1949 nach Wedel gekommen und seit 1983 Bürgermeister in der Rolandstadt.

Anfang November boykottieren „mehrere tausend Mädchen und Jungen im Kreis Pinneberg“ den Schulbesuch. Dazu hatte die Landesschülervertretung aufgerufen, um gegen die Sparpolitik des schleswig-holsteinischen Kultusministeriums zu protestieren. Kritikpunkte sind beispielsweise Unterrichtsausfall, zu große Klassen oder mangelhafte Ausstattung der Bibliotheken.

Recycling und Umweltschutz werden konkreter

Freude dagegen in Tornesch: Es gibt nach zwei vorangegangenen Bewerbungen im dritten Anlauf die Auszeichnung „Umweltfreundliche Gemeinde“ für die erfolgreichen Bemühungen im Bereich Natur- und Umweltschutz. Unter anderem muss mindestens ein heimischer Laubbaum auf 300 Quadratmetern gepflanzt werden. Zäune sind verboten, nur Laubhecken erlaubt.

Im November und Dezember werden für alle Haushalte jeweils 26 gelbe Müllsäcke in Rollen im Kreisgebiet verteilt, weil ab Jahresbeginn das Wertstoffsystem „Grüner Punkt“ eingeführt wird. Alle 14 Tage erfolgt die Abholung dieses Mülls. Gegen Ende des Jahres wird auch mit der Elektrifizierung der Bahnstrecke zwischen Halstenbek und Elmshorn begonnen.

Im Dezember entsteht die Vermutung, dass die Wohnungsnot durch zu langsames Bearbeiten der Bauanträge zusätzlich befeuert wird: 204 Anträge für Rellingen sind bislang unbearbeitet, insgesamt sind es wohl an die 1500 Akten und Anträge im Bauaufsichtsamt. Es fehlt an Personal und der nötigen Berufserfahrung. Erst Mitte 1993 soll der Rückstau abgearbeitet sein. Geschätzt 20 Prozent der Rellinger Anträge sollen den dringend benötigten Wohnungsbau betreffen, viele andere beträfen Vorhaben wie Wintergärten oder Carports.

Konflikte zwischen rechten und linken Gruppen

Seit einigen Monaten kommt es in Halstenbek zum Aufeinandertreffen linker und rechter Gruppierungen. Auch Geflüchtete mischen in diversen Auseinandersetzungen mit. Im Dezember gibt es eine neue Eskalationsstufe: Ein Rechtsradikaler wird am Bahnhof Krupunder aus einer 40-köpfigen Gruppe heraus mit einem Messer attackiert und erleidet lebensbedrohliche Verletzungen am Rücken.

Die Umgebung der Müllverbrennungsanlage Tornesch-Ahrenlohe ist in hohem Maße mit krebserregenden Dioxinen und Furanen belastet. Es gibt einen Grundsatzbeschluss des Kreistags, dass die Anlage abgeschaltet wird. Doch auch in weiter Entfernung von den Schornsteinen gibt es viele Giftstoffe. Experten rätseln über die Ursachen und glauben, dass nicht nur die Verbrennungsanlage Schuld sein kann – die Werte liegen vierfach über dem Grenzwert.