Elmshorn. Nehad A. hat laut Gericht einem Kontrahenten in den Rücken gestochen und lebensgefährlich verletzt. Jetzt erging das Urteil.
Zur Urteilsverkündung am Donnerstag war ein Großteil seiner Familie ins Landgericht Itzehoe gekommen. Sie wird Nehad A. (23) so schnell nicht wiedersehen. Die Erste Große Strafkammer schickte den Elmshorner wegen versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung für vier Jahre und drei Monate in Haft.
Gleich zwei Mal hatten sich die Richter mit dem Vorfall befassen müssen, der sich am 9. September 2020 in der Elmshorner Fußgängerzone ereignet hatte. Denn bereits ab Ende Mai vorigen Jahres saß Nehad A. deswegen auf der Anklagebank – damals gemeinsam mit den Mitangeklagten Bhaa B. (21) und Ali E. (20). Der Vorwurf: Das Trio soll auf Höhe Ramelows Gang mit den Brüdern Emanuel R. (21) und Eduard R. (18) in Streit geraten sein, weil es zuvor einen Konflikt um ein Drogengeschäft gegeben hatte. Am Ende der zuerst verbal, dann körperlich geführten Auseinandersetzung kam Emanuel R. mit drei Stichen in den Rücken ins Elmshorner Krankenhaus, wo die Ärzte nur dank einer Notoperation sein Leben retten konnten.
Zunächst galt ein anderer als Täter
Die Ermittler der Mordkommission waren davon ausgegangen, dass Ali E. das Messer geführt hat. Ihm wurde im ersten Verfahren versuchter Totschlag, den beiden Mitangeklagten gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Ali E. war auch der einzige der drei Angeklagten, der ausführlich zu den Vorwürfen Stellung nahm – und behauptete, Nehad A. sei der Messerstecher gewesen. Was zunächst kaum glaubwürdig erschien, bekam im Laufe des knapp fünfmonatigen Verfahrens immer mehr Gewicht. Am Ende trennten die Richter das Verfahren gegen Nehad A. ab, dieses startete im Februar 2022 komplett neu und kam nun mit einem harten Urteil zum Ende.
In der Urteilsbegründung erneuerte der Vorsitzende Richter Johann Lohmann seine Überzeugung und die seiner Beisitzer, mit dem 23-Jährigen nun den richtigen Messerstecher zu verurteilen. Lohmann bezeichnete die Aussage des einstigen Mitangeklagten Ali E., der auch in diesem Verfahren seinen Freund ans Messer geliefert hatte, als „uneingeschränkt glaubwürdig“.
Der hatte angegeben, nach Ende der Auseinandersetzung ein Faustmesser in der blutverschmierten Hand des Angeklagten gesehen zu haben. Darauf angestanden, habe der gestanden, damit einen der Kontrahenten abgestochen zu haben. Diese Aussage soll Nehad A. einen Tag später wiederholt haben, als sich seine Familie mit der von Ali E. – der saß zu diesem Zeitpunkt in Untersuchungshaft – traf. Zu den Inhalten dieses Treffens hatten vier Familienmitglieder von Ali E. und zwei von Nehad A. vor Gericht ausgesagt – und das Kerngeschehen gleich geschildert. „Wir haben keine Zweifel, dass dieses Treffen so stattgefunden hat“, so Lohmann.
Ein Familientreffen war Thema vor Gericht
Nur den entscheidenden Punkt, nämlich das angebliche Geständnis des Angeklagten, schilderten beide Seiten anders. Weil die Familie von Ali E. mit Rico K. ein Nicht-Familienmitglied zum Treffen mitnahm und der ebenfalls das Geständnis gehört haben will, schenkten die Richter dieser Seite Glauben.
Weitere Indizien, die für eine Täterschaft von Nehad A. sprechen, sind für die Richter die Verletzungen an der Hand des Angeklagten. „Sie lassen sich in Einklang bringen mit der Benutzung eines Faustmessers“, so Lohmann. Zwar sei die Tatwaffe nie gefunden worden. Jedoch gäbe es auch die Aussage eines weiteren Zeugen, den Nehad A. telefonisch mit der Beseitigung des Messers beauftragte und dem er ebenfalls seine Schuld eingestanden haben soll.
Strafverschärfend werteten die Richter, dass der 23-Jährige versucht haben soll, Zeugen zu beeinflussen und die Schuld auf andere abzuwälzen. Deswegen saß Nehad A., der vor Gericht nicht aussagte, seit August 2021 in U-Haft. Und dort bleibt er auch. Die Richter halten den Haftbefehl gegen ihn aufrecht. Zwar ist der Haftgrund der Verdunklungsgefahr mit Verkündung des Urteils entfallen, die Richter sehen jedoch eine Fluchtgefahr als gegeben an. Nehad A. ist Palästinenser und hat, bevor er mit seiner Familie 2017 nach Deutschland kam, in Istanbul gelebt. Dort leben seine drei älteren Schwestern – und seine Verlobte.