Bönningstedt. Alexandra Samoshenko hat Deutsch in der ersten Klasse gelernt. Wie sie zur Lehrerin in Bönningstedt wurde.

Insgesamt 4178 aus der Ukraine geflüchtete Kinder und Jugendliche sind mittlerweile an Schleswig-Holsteins Schulen angekommen. Im Kreis Pinneberg waren es bis zum 17. Mai 562. Deshalb ist das Land froh über jede aus der Ukraine geflüchtete Lehrkraft, die bei der Beschulung der Kinder helfen kann. Denn meist haben diese nur geringe oder keine Deutschkenntnisse – und die deutschen Lehrkräfte sprechen nur sehr selten Ukrainisch oder Russisch.

Ukraine: Familie in Deutschland wiedervereint

Mittlerweile hat das Land Schleswig-Holstein 86 aus der Ukraine geflüchtete Lehrkräfte eingestellt, davon 15 an Schulen im Kreis Pinneberg. Eine davon ist Alexandra Samoshenko. Zwölf Kinder der Grundschule Bönningstedt sowie der Gemeinschaftsschule Rugenbergen lernen in ihrem Unterricht die deutsche Sprache kennen.

So gut vorbereitet wie Alexandra Samoshenko sind bestimmt nur wenige ukrainische Flüchtlinge in Deutschland angekommen. Schließlich hat die 29-Jährige seit der ersten Klasse Deutsch gelernt und nach ihrem Schulabschluss in Kiew deutsche Philologie studiert, um Lehrerin zu werden. Außerdem war ihr Koffer für die Ausreise am Morgen des 24. Februar, dem Tag des Kriegsausbruchs, schon fertig gepackt. Denn Samoshenko wollte an jenem Tag nach Sri Lanka fliegen – ein jahrelang gehegter Traum.

Doch dann startete Russland den Angriffskrieg auf ihr Heimatland – und alles kam ganz anders. Statt auf die tropische Insel hat es die Ukrainerin gemeinsam mit ihrer 72-jährigen Großmutter nach Bönningstedt verschlagen, wo Samoshenkos Mutter und Stiefvater von Berufs wegen bereits seit fünf Jahren leben. „Ich habe keinen Mann, musste also niemanden zurücklassen. Hier ist unsere Familie zusammen: meine Mutter, Oma und mein Stiefvater.“

Ukraine: Samoshenko arbeitet seit zwei Wochen als Lehrerin

Zu ihrer Lehrerstelle an der Grundschule Bönningstedt und der Gemeinschaftsschule Rugenbergen ist Samoshenko durch ein Treffen gekommen, das der Bürgermeister der Gemeinde, Rolf Lammert, einberufen hatte. „Bei dem Treffen hat er gesagt, dass die Schulen ukrainisch-sprechende Lehrer brauchen“, so Samoshenko. Lammert kannte die Familie Samoshenko bereits und empfahl die junge Lehrerin prompt der Schulleiterin der Grundschule Bönningstedt.

Seit knapp zwei Wochen ist die 29-Jährige nun im Dienst. „Offiziell habe ich die Stelle nur bis zum 31. Juli“, sagt sie. Das seien allerdings Formalitäten: „Sie wird bestimmt verlängert“, meint Samoshenko. Es wäre ein Wunder, wenn nicht. Immerhin ist Schulleiterin Martina Meyn-Schneider hochzufrieden mit dem Neuzugang. Außerdem wird der Bedarf an ukrainischen Lehrkräften wohl zunächst nicht abreißen.

Derzeit unterrichtet Samoshenko vier ukrainische Kinder in der Grundschule Bönningstedt und acht weitere in der Gemeinschaftsschule des Ortes je drei Stunden am Tag im Fach Deutsch. Die Kinder sind zwischen sieben und 15 Jahren alt. Die Unterrichtssprachen sind Ukrainisch und Russisch. Denn bis auf eine Schülerin sind die Kinder gänzlich ohne Deutschkenntnisse in Bönningstedt angekommen.

Ukraine: Manche Schüler tun sich mit der Sprache schwer

„Man merkt, dass Deutsch denen, die Englisch sprechen, viel leichter fällt“, berichtet Samoshenko aus ihrem Alltag. „Die Jüngeren, die gerade erst das Lesen gelernt haben, haben die zusätzliche Schwierigkeit, schon wieder ein neues Alphabet lernen zu müssen.“ Grundsätzlich laufe der Unterricht aber wie am Schnürchen, denn „fast alle Schüler sind sehr aktiv und kommunizieren schon mit den deutschen Kindern“, so die Lehrerin. Neben den regulären Stunden ist sie in der Hausaufgabenbetreuung aktiv. Auch das ist für die ukrainischen Kinder eine echte Unterstützung, weil sie in den auf deutsch unterrichteten Fächern oft noch nicht viel verstehen.

Samoshenko fühlt sich in Deutschland angekommen – das hat sicherlich auch mit ihren Sprachkenntnissen zu tun und natürlich damit, dass die ganze Familie beisammen ist. Will sie überhaupt wieder zurück in ihr Heimatland? „Diese Frage habe ich ja noch nie gehört“, scherzt die junge Lehrerin. „Nein, sie wird mir ständig gestellt. Ich kann nur sagen: Ich weiß nicht genau, ob ich zurück will. Meine Mutter ist hier, meine Oma, eine Arbeit habe ich auch. Vermutlich bleibe ich hier.“

Ukraine: Samoshenko sucht in Deutschland eine Wohnung

Eine entscheidende Zutat für den Verbleib in Deutschland fehlt ihr allerdings noch: eine Wohnung. Weil Samoshenkos Mutter und Stiefvater in einer Wohnung wohnen, die eigentlich nur für eine Person ausgelegt ist, wehrte sich deren Vermieterin gegen den Zuzug von Alexandra Samoshenko und ihrer Großmutter.

Dank Bürgermeister Lammert sind die beiden bei einer anderen Familie untergekommen. Perspektivisch sollen sie jedoch eine eigene Bleibe finden. „Ich suche seit zwei Monaten und finde gar nichts“, klagt Samoshenko über den Wohnungsmarkt in der Metropolregion. Für einen Hinweis auf eine freie Wohnung wäre sie sehr dankbar.

Selbstverständlich vermisst die Ukrainerin ihre Heimat, allen voran ihre Freunde, aber auch all die kleinen Dinge – eine spezielle saure Sahne etwa, die typischerweise zu ukrainischen Gerichten gereicht wird und sich Smetana nennt. „Und meine Kamera fehlt mir! Das tut mir so leid, dass ich die nicht mitnehmen konnte“, sagt Samoshenko, die in ihrer Freizeit liebend gern fotografiert.

Ukraine: Samoshenko hat bis zuletzt an Frieden geglaubt

Doch die Lehrerin bleibt optimistisch. Sie wisse nicht, wie lange noch Krieg ist, klammert sich aber fest an die Hoffnung, noch in diesem Sommer einen Abstecher in die Ukraine machen zu können. „Dann werde ich meine Sachen abholen, ein paar Freunde wiedersehen und meine Zahnspange neu einstellen lassen“, berichtet sie von ihren Plänen für die nahe Zukunft.

Samoshenkos Optimismus scheint unerschütterlich – obwohl er erst kürzlich herb enttäuscht wurde. An den Krieg hatte sie nämlich bis zum letzten Moment nicht geglaubt: „Ich habe nie gedacht, dass so etwas passieren würde – und wenn, dann bestimmt nicht in der Hauptstadt Kiew. Wenn, dann geht es im Osten los und wir haben genug Zeit, zu flüchten – das habe ich gedacht.“ Noch im Herbst 2021 habe sie ihre Mutter in Deutschland besucht, die sich damals schon sorgte. Ihr Angebot, nach Deutschland zu kommen, hat Samoshenko ohne weitere Bedenken abgelehnt.

In der Nacht des Kriegsausbruchs, am 24. Februar, spürte Samoshenko plötzlich ein Ruck durch ihr Wohnhaus gehen. „Ich habe natürlich sofort verstanden, dass das eine Bombe war. Aber gedacht habe ich: Quatsch, wir leben im 21. Jahrhundert. Außerdem habe ich ein Flugticket nach Sri Lanka”, erinnert sie sich. Am nächsten Tag war ihr klar, dass eine Urlaubsreise das letzte ist, was sie nun unternehmen kann. „Also habe ich die Sommersachen aus dem Koffer ausgepackt und etwas wärmere Kleidung wieder eingepackt“, sagt sie. Dann sei sie zu ihrer Oma gefahren, mit der sie am 8. März schließlich aus der Ukraine flüchtete. Die beiden waren tage- und nächtelang unterwegs, standen sich an überfüllten Bahnhöfen die Beine in den Bauch, reisten unter anderem per Anhalter, Zug und Mitfahrgelegenheit. In Posen holte ihre Mutter sie ab und fuhr sie nach Bönningstedt.

Ukraine: Vor dem Krieg hatte sich im Land vieles verändert

Wie Samoshenko berichtet, habe sich in den vergangenen Jahren viel getan in der Ukraine, insbesondere in Großstädten wie Kiew. Die Straßen seien besser geworden, das Stadtbild schöner, „und Klitschko hat natürlich ganz viele Sportplätze bauen lassen“, erzählt sie von den Projekten des Kiewer Bürgermeisters. Auch die Politik des Präsidenten Wolodomyr Selenskyj ist ihrer Meinung nach eine gute – sowohl vor dem russischen Angriffskrieg als auch jetzt. Schade findet sie es nur, dass viele Selenskyj und Klitschko unterstellen, nichts von Politik zu verstehen, weil sie als ehemalige Schauspieler beziehungsweise Boxer fachfremd seien. „Da sage ich immer nur: Es gibt keine Universität, an der man Präsident wird“, so Samoshenko.

Wer Tipps für eine Wohnung für Alexandra Samoshenko hat: Sie ist unter olexbeere@gmail.com für Hinweise dankbar.