Pinneberg. Er ist 72 Jahre alt, Akademiker und hat „einfach Bock auf Basketball“: Hans-Jürgen Duchstein öffnete den Sport bundesweit für Senioren.

Hans-Jürgen Duchstein erzählt gern. Das hat wohl auch genetische Gründe: Der 72 Jahre alte Senioren-Basketballer ist am 17. April 1949 in Berlin geboren. Und die Hauptstädter zählen bekanntlich zu einer ziemlich redseligen Zunft – zumindest im Vergleich zu den Norddeutschen.

Als Chemiker, Pharmazeut und Hochschullehrer ist es Prof. Dr. Duchstein, der 50 Studenten beim Erreichen des Doktor-Titels unterstützt hat, naturgemäß seit Jahrzehnten gewohnt, vor anderen Menschen zu reden. Und die hören ihm zu. Denn die pointierten Geschichten des ehemaligen Chemie-Dozenten der Universität Hamburg – nach wie vor tendenziell im Unruhestand – lassen die Ohren wirklich nur ganz selten auf Durchzug schalten.

Duchstein, der seit 1996 in Pinneberg wohnt und wirkt, hat einfach vieles erlebt. Privat, beruflich und sportlich. Seit er 1962 im Alter von 13 Jahren das erste Mal bei den Neuköllner Sportfreunden einen Basketball in die Hand genommen hat, ist er Feuer und Flamme für diesen Sport. Keine Übertreibung, denn Duchstein, seit jeher ein guter Werfer auf dem Feld, hat federführend den deutschen Senioren-Basketball in Deutschland mitaufgebaut. Und er trainiert, mit bald 73, nach wie vor nach Möglichkeit mindestens einmal in der Woche in den Basketball-Hallen der BG Halstenbek/Pinneberg. Jedenfalls, wenn Turniere mit den Senioren anstehen.

An diesem Wochenende sind etwa ab der Altersklasse Ü45 insgesamt 16 Männer und Frauen-Teams bei einer inoffiziellen norddeutschen Meisterschaft in der Sporthalle Bickbargen in Halstenbek zu Gast (Sonnabend: 12 Uhr, Sonntag 11 Uhr). Tut wirklich noch nichts weh? Keinerlei Verschleißerscheinungen? „Es gibt doch diesen Spruch. ‚Wenn du morgens aufstehst und es tut dir nichts weh, bist du tot‘. Klar tut mal das Knie weh oder der Rücken. Aber generell hatte ich das Glück, dass ich nie große Verletzungen hatte. Und ich hab’ echt immer Bock, Basketball zu spielen“, sagt er.

Hans-Jürgen Duchstein in Aktion bei der Senioren-WM 2015 in Orlando (USA). Deutschland gewann die Bronzemedaille.
Hans-Jürgen Duchstein in Aktion bei der Senioren-WM 2015 in Orlando (USA). Deutschland gewann die Bronzemedaille. © Privat | Privat

Aus seiner Sicht wird bei diesem Sport auch ein „Basketball-IQ“ benötigt, um die Komplexität erfassen zu können. Bei Duchstein ist zigfach mehr als Bauernschläue vorhanden. Chemie und Basketball sind seine zwei großen Leidenschaften. Der Sport war stets auch Ventil, um beruflichen Stress sinnvoll zu kompensieren. Tochter Lara (32) hat auch eine Akademiker-Laufbahn in der Welt der Moleküle eingeschlagen.

Noch immer hat der Pinneberger ein Büro bei der Uni Hamburg. Wer also dringende Fragen zu den Schwerpunktthemen reaktive Stickstoffspezies oder deren Gentoxizität hat, hätte in Duchstein einen kompetenten Ansprechpartner. Nach dem Abschluss des Chemie-Studiums 1974 an der Freien Universität Berlin ging es erstmal auf ein Indien-Abenteuer nach Goa. 40.000 Kilometer mit dem Auto. Aber nicht, um mit halluzinogenen Mittelchen zu experimentieren. „Das lehnen wir Wissenschaftler strikt ab. Wir sind ja vom Fach und wissen, was diese Drogen anrichten“, sagt Duchstein. Es folgten in der beruflichen Laufbahn Promotion und Habilitation. Seit 1996 ist er in Hamburg tätig, wohnt in Pinneberg. Der Basketball ist – mit Ausnahme der Corona-Pause – ein stetiger Begleiter. Welches sportliche Ereignis hat ihn am meisten beeindruckt?

„2007 hatten wir bei der Senioren-WM in Puerto Rico ein Spiel gegen den Gastgeber. Das Ü50-Spiel fand etwa 100 Kilometer von der Hauptstadt San Juan entfernt statt. Wir sind mit 30 Mann im Bus mit Polizei-Eskorte zur Halle gebracht worden. Es gab 2000 Zuschauer und eine Live-TV-Übertragung, die Hymnen wurden gespielt. Das war schon sehr beeindruckend für den Senioren-Basketball“, erinnert Duchstein. Grund für den Aufriss: Die dortige Basketball-Legende Raymond Dalmau spielte gegen Deutschland mit. Bei jenem Team gab sich Ex-NBA-Spieler Ralph Ogden die Ehre. Deutschland gewann mit acht Punkten Vorsprung.

Duchstein, der mit Neukölln in früheren Zeiten drei Jahre in der 1. Liga spielte und bis heute am liebsten mit der Nummer 7 – es war seine erste – aufläuft, hat nationale und internationale Erfolge vorzuweisen. Er war sowohl hauptberuflich als auch sportlich in fast allen Winkeln dieser Welt unterwegs. Ein sportlicher Auszug: 2009 verlor Deutschland das Ü60-WM-Finale gegen die USA, gewann mit Silber aber die erste Medaille im Senioren-Basketball. 2017 wurde er mit seinem Stammclub Holstein Hoppers deutscher Ü60-Meister in der Halle an der Feldstraße. 2016 gewann das deutsche Ü65-Team den Europameistertitel in Novi Sad (Serbien). Im Jahr zuvor gab es bei der WM in Orlando Bronze. 2014 war Duchstein Vize-Europameister.

Er geht stets vorne weg. Wenn er nicht spielt, hat er seine Finger in der Organisation der deutschen Delegation seit Anfang der 2000er-Jahre. 2017 im italienischen Montecatini waren 300 Männer und Frauen im Deutschland-Dress dabei. Und Duchstein coacht auch gern. Es riecht nach Alpha-Tier-Syndrom, das streitet er auch gar nicht ab. Aber immer mit einer grundehrlichen, sympathischen Art. Und im Endeffekt sind Menschen, die auf administrativer Ebene alles im Griff haben, immer für alle Unwissenden Gold wert.

„Ducki“, so sein Spitzname in Basketball-Kreisen, ist unter anderem auch Deutschland-Verantwortlicher des Senioren-Basketballweltverbandes FIMBA. Ende Juni soll im spanischen Malaga die Senioren-EM nachgeholt werden. Nach längeren Diskussionen ist Russland wegen des Angriffskrieges gegen die Ukraine ausgeschlossen worden. Generell steht das Turnier den Ukrainern offen. „Niemand will aktuell gegen Russland Basketball spielen. Diese Entscheidung gilt nicht für immer. Aber diesmal geht es eben nicht“, sagt Duchstein, der diese Entscheidung mit Vertretern des European Boards traf.

Ans Aufhören denkt Duchstein nicht. „Alter schützt vor Torheit nicht“, bemüht er eine Floskel. Er fühlt sich einfach wohl in der riesigen nationalen und internationalen Basketball-Gemeinschaft, die stets ein nie enden wollender Quell von Anekdoten ist. Bei der ersten EM 2002 in Athen etwa reiste Deutschland mit drei Spielern an (Jürgen Freybe, Thomas Reimann, Duchstein) – andere Teams halfen aus, um die Mindestzahl von fünf zu erreichen. 1996 traf Duchstein zufällig bei seinem neuen Club Halstenbeker TS auf seinen alten Berliner Teamkollegen Freybe. Der ist aktuell Hoppers-Vorsitzender. Und könnte wahrscheinlich noch mehr erzählen.