Barmstedt. Denen widmete sich das „Heimatblatt“, das von 1926 an in Barmstedt erschien. Der Museumsverein hat diesen Schatz gehoben.

Das Museum der Grafschaft Rantzau auf der Barmstedter Schlossinsel ist am Wochenende wieder für die Besucher geöffnet. Der Museumsverein hat die Zeit des Corona-Lockdowns genutzt, um die Archivbestände zu sichten und zu sortieren. Dabei ist den Aktiven ein richtiger Schatz für die regionale Geschichtsforschung in die Hände gefallen: die vollständige Sammlung des „Heimatblattes“ in niederdeutscher Sprache, das von 1926 an eine vierteljährlich erscheinende Lokalzeitung mit Anzeigen, Regionalgeschichten, Terminen, Vereinsveranstaltungen, Wetterberichten und Getreidepreisen war.

Museum stellt die historische Lokalzeitung aus

Ausgestellt und gelesen werden können die fast 100 Jahre alten, leicht vergilbten und etwas zerfledderten Hefte im DIN-A5-Format im sogenannten Raum 11 des Museums im Obergeschoss. „Hier ist der Besucherraum für unsere Präsenz-Bibliothek“, sagt Michael Theilig, neben Claus-Peter Jessen einer der Initiatoren dieses neuen Herzstückes des Museums auf der Barmstedter Schlossinsel.

„Wir wollen die Bibliothek zu einer Art Medienzentrale ausbauen.“ Nach und nach sollen hier alle Dorfchroniken ausliegen und die wiederentdeckte niederdeutsche Heimatbibliothek, das „Heimatblatt“, das Höferegister, historische Adressverzeichnisse und diverse andere Archivalien digitalisiert und auf dem PC und der Medienstation zur Verfügung gestellt werden.

Hefte lagerten im Depot des Museums

Auf die „Heimatblatt“-Sammlung seien sie beim Sichten des Depots des Museums gestoßen, sagt Jessen, der sich seit vielen Jahren mit Geschichten und Theaterstücken in niederdeutscher Sprache beschäftigt. 31 Exemplare, die von 1926 bis 1933 erschienen sind, umfasst der Fundus. Der Verein „Jungs holt fast“ von 1904 hatte noch vor dem Ersten Weltkrieg die Beschäftigung mit der Heimatgeschichte in niederdeutscher Sprache angeregt. Was soviel wie „Jungs, haltet fest“ oder auch „bleibt dran“ bedeutet, verstand sich als ein plattdeutscher Verein der Region mit einem klaren Bekenntnis.

Denn „die plattdeutsche Sprache ist kein Aschenputtel. Nein, sie ist die vollwertige und liebste Umgangssprache, die Sprache unserer Heimat, die Sprache unserer Kindheit, die Sprache, in der uns das erste Wort der Mutter erklang“, heißt es in der vierten Ausgabe des Heimatblattes von 1928 über den Verein. Die originale blau-weiß-rote Fahne des benachbarten Heimatvereins „Ünnern Strohdack“ aus Bullenkuhlen hängt wie ein großes Versprechen, dieser Tradition zu folgen, jetzt in der Präsenz-Bibliothek des Museums.

Verein sammelte heimatkundliche Dokumente

Der Verein „Jungs holt fast“ war auch der Initiator eines Altertum-Museums, das seit 1908 in Barmstedt mit Dokumenten, Schriften und Sammlungen aufgebaut wurde. Es war sozusagen der Vorläufer des jetzigen Museums der Grafschaft, das nun systematisch wieder entdeckt und mit modernen Mitteln erforscht werden kann.

Begründer des Vereins war Ernst Mohr (1878–1964), Sohn eines Schuhmachers mit acht Geschwistern in Barmstedt. „Plattdütsch Mohr“, wie er liebevoll genannt wurde, half tatkräftig mit, das von Barmstedts damaligem Bürgermeister August Christen geforderte Museum mit heimatkundlichen Sammlungen zu bestücken. Von 1955 an leitete Mohr sogar dieses allererste Museum im Kreis Pinneberg.

Holstengilde gab das „Heimatblatt“ heraus

Er engagierte sich in der plattdeutschen Theatergruppe des Heimatvereins „Barmstedter Speeldeel“ und rief eine plattdeutsche Leihbücherei ins Leben. Zudem erstellte er ein Register der Familiendaten von 1100 Bauernhöfen der 22 Dörfer in der weiteren Umgebung von Barmstedt. Für seine Verdienste um die Heimatgeschichte wurde er 1958 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet.

Herausgeber des „Heimatblattes“ war die „Holstengill“, die Holstengilde, die ein Zusammenschluss zahlreicher plattdeutscher Vereine war. „Das Heimatblatt, das sich mit Geschichte und Geschichten aus der Grafschaft Rantzau befasste, gab der Vereinigung Niveau und stärkte ihren Zusammenhalt“, hat Heimatforscher Jessen herausgearbeitet. Ernst Mohr schrieb und redigierte die meisten Artikel darin.

„Fröer, ja dat weer doch’n anner Tied“

Das Blatt hatte den Anspruch, wie es in der Erstausgabe von 1926 heißt, nicht nur „zu vertell’n, wat in uns’ engste Heimat, de Grafschaft, vörgeiht“. Denn: „Wi möt beter üm enannter Bescheed weten, dat wi uns beter kenn’n lehr’n un, wenn’t wen mut, fast to enanner stahn.“

Damit nicht genug: Das Heimatblatt sollte dazu beitragen, „all de slechtigkeiten, de de Welt ünnerkregen hebbt, öber all dat Elend, wat de Minschen sik söben inkrümelt, argert, denn kummt dat liesen in uns hoch: Fröer, ja dat weer doch’n anner Tied.“ Die gute alte Zeit und ihre Geschichtchen sollten also mit diesem plattdeutschen Regionalblatt wiederaufleben und für die Nachwelt erhalten bleiben. „Dee oln Quelln schöllt utgrawt warn, dat wi uns doran satt drinkt. Dat schall uns hölp’n den Kopp stiev hol’n un mittohölpen, dat’t noch malwedder beter ward!“

Pfingsten 1810 hat es heftig gehagelt

Und so wird hier ausführlich die Entstehung und Geschichte der „Bokler Wassermühle“ seit 1691 beschrieben. Es wird an den Aufstand gegen den 1721 ermordeten Grafen Christian Detlev Rantzau vom Herbst 1705 erinnert, der die Bauern zu besonders harten Abgaben und Frondiensten zwang. Die Kirchengeschichte und der „Mühlzwang“ werden eingehend thematisiert.

Und es werden interessante Wetterkapriolen erwähnt, wenn zum Beispiel zu Pfingsten 1810 Hagelkörner, die „bestimmt dreiviertel Pfund“ schwer waren, das Getreide zerstörten. Vom 2. auf den 3. Februar 1825 brach ein Sturm los, der das gesamte Marschland überflutete und sogar in Elmshorn noch für sechs Fuß Hochwasser sorgte.

Zahl der Annoncen im „Heimatblatt“ stieg rasant

Das „Heimatblatt“ scheint eine große Leserschaft erreicht zu haben. So hat sich die Anzahl der Klein- und Großannoncen in kurzer Zeit von 60 auf 80 Anzeigen erhöht, die Seitenzahl auf 60 Seiten verdoppelt. Mit der Machtergreifung der Nazi-Diktatur 1933 endet aber auch diese Heimatgeschichte abrupt. Denn die Macher des Heimatblatts und die Holstengilde lösten ihren Verein auf.

„Offenbar waren sie nicht bereit, sich durch den zwangsweisen Anschluss an eine der neuen staatlichen Organisationen nationalsozialistisch gleichschalten zu lassen“, resümiert Heimatforscher Jessen dieses aufregende Kapitel der Zwischenkriegszeit rund um Barmstedt. Bitter für sie und ihre Nachfahren war dann zu sehen, wie die Nazis den Heimatbegriff mit ihrer menschenverachtenden Blut-und-Boden-Doktrin für ihre Zwecke missbrauchten.