Kreis Pinneberg. Stadtwerke im Kreis Pinneberg müssen immer mehr Kunden in der Grundversorgung auffangen – jetzt wird es aber für alle teurer.
Wer Geld bei den Energiekosten sparen wollte und deshalb einen Vertrag mit einem Billiganbieter geschlossen hat, erlebt in diesen Tagen womöglich eine böse Überraschung: Immer mehr dieser Anbieter können zu den versprochenen Preisen nicht mehr liefern und kündigen kurzerhand die Verträge. Die Kunden landen dann automatisch in der teuren Grundversorgung der kommunalen Unternehmen – auch zahlreiche Kunden im Kreis Pinneberg sind davon betroffen.
Nach Einschätzung der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein sind die Folgen der Corona-Pandemie Grund für diese Entwicklung. Nachdem die Wirtschaft durch den Lockdown zunächst heruntergefahren sei, steige nun die Nachfrage wieder. Und das führe „zu historisch hohen Energiepreisen“, so Lenia Baga, Juristin bei der Verbraucherzentrale. Das Geschäftsmodell der Billiganbieter könne „mit derartigen Preisschwankungen nicht umgehen“, wie auch Holger Neubauer, Geschäftsführer der Stadtwerke Tornesch, betont: „Die Billiganbieter kaufen sehr kurzfristig ein. Das war auch lange Zeit günstiger, aber deutlich risikoreicher.“
Mit den extrem angestiegenen Preisen ist dieses Geschäft weniger lukrativ. Die Folge: Billiganbieter wie Stromio oder Gas.de schicken ihren Kunden kurzfristig die Kündigung.
Nach Auffassung der Verbraucher-zentrale Schleswig-Holstein sind solche Kündigungen nicht zulässig. Die Unternehmen machten sich damit schadensersatzpflichtig. Betroffene Kunden könnten versuchen, diese Pflicht durchzusetzen. „Dazu bietet die Verbraucherzentrale kostenlose Musterbriefe an“, so Juristin Baga. Wichtig sei es, schnell zu handeln, da der Schadensersatz nur durchzusetzen ist, solange das Unternehmen noch nicht insolvent sei. Außerdem sollten Kunden den aktuellen Zählerstand ablesen, dem Anbieter melden und für sich dokumentieren. Denn der bisherige Verbrauch wirkt sich auf die Rückzahlung aus.
Wer nun ohne vertraglichen Strom- und Gaslieferant dasteht, fällt in die sogenannte Grundversorgung. „Hierbei handelt es sich um eine gesetzlich angeordnete Notversorgung, die maximal drei Monate andauert“, erklärt Baga. Das Gute an dieser gesetzlich geregelten Notversorgung: Niemand steht nach einer Kündigung ohne Strom und Gas da. Der Nachteil: Der Grundversorgungstarif ist meist der teuerste, da die Versorger gegebenenfalls selbst am Markt kurzfristig Gas oder Strom nachkaufen müssen. Die gesetzlich geregelte Kündigungsfrist für die Grundversorgung beträgt allerdings nur zwei Wochen, dann können die Kunden in andere, oft günstigere Tarife wechseln.
Im Kreis Pinneberg sind in den meisten Fällen die jeweiligen Stadtwerke für die Grundversorgung und den „Ansturm“ der gekündigten Billigkunden zuständig: „Mit diesem Ausmaß hat keiner rechnen können“, sagt Jeannine Müller, Fachbereichsleiterin des Vertriebs bei den Stadtwerken Quickborn. Das sorge teilweise für Unmut. Und Jörn Peter Maurer, Geschäftsführer der Stadtwerke Wedel, schreibt in einer Mitteilung von einer „Ungerechtigkeit“. Er beklagt, dass die Kunden der Stadtwerke die Fehler der Billiganbieter jetzt ausbaden müssten.
Tatsächlich verzeichnen alle Grundversorger eine erhöhte Nachfrage: In Quickborn fielen allein 300 Stromio- und Gas.de-Kunden in die Grundversorgung. Ebenso viele Neukunden verzeichneten die Stadtwerke Pinneberg in den vergangenen drei Monaten, in Wedel waren es in den vergangenen Wochen 400 neue Kunden. Außergewöhnlich hoch ist laut Geschäftsführer Holger Neubauer auch der Anstieg bei den Stadtwerken Tornesch: „Wir haben zum Jahreswechsel rund 600 Kunden in die Ersatzversorgung aufgenommen.“ Und der Werkleiter der Stadtwerke Elmshorn, Sören Schuhknecht, spricht angesichts von 500 Neukunden von einem „erheblichen Zuwachs“.
Jörn Peter Maurer von den Stadtwerken Wedel befürchtet, dass das Problem andauern wird, „ein Ende der Insolvenzwelle“ sei noch nicht in Sicht. Das bekommen die Alt- und Neukunden zu spüren. Die Stadtwerke Pinneberg hoben den Arbeitspreis für Erdgas beispielsweise um 20 Prozent an. Man wisse, dass das für Kunden eine „Belastung“ sei, doch die hohen Preise auf dem Beschaffungsmarkt hätten „keine andere Wahl gelassen“.
Holger Neubauer von den Stadtwerken Tornesch verweist im Rahmen der Erhöhungen auch auf die CO2-Steuer. Es sei fraglich, ob es bei einer Preisanpassung bleibe: „Wenn deutlich mehr Kunden kommen sollten, muss man über weitere Preisanpassung nachdenken.“ Die gute Nachricht: Es drohten keine Lieferengpässe: „Das Roulette der Billiganbieter durch kurzfristige Käufe haben wir nicht mitgespielt. Die Stadtwerke kaufen langfristig.“ Heißt: Strom und Gas gibts weiterhin – fraglich ist nur, zu welchem Preis?