Kreis Pinneberg. Lehrer in Pinneberg und Elmshorn sehen sich einem besonders hohen Infektionsrisiko ausgesetzt. Ihr Appell bleibt ungehört.

Die Leiter der beiden Kreisberufsschulen schlagen Alarm. „Wir sind in der Corona-Krise offenbar vergessen worden“, beklagt Ulrich Krause von der KBS in Pinneberg. „Wir haben große Sorge um die Gesundheit unserer 360 Lehrkräfte“, sagt sein Amtskollege Erik Sachse aus Elmshorn. Der Schulbetrieb mit jeweils etwa 300 bis 400 Berufsschülern habe begonnen – aber eine Impfung der Lehrer ist nicht geplant. Lediglich die Lehrer an den Grund- und Förderschulen sowie die Erzieherinnen der Kindertagesstätten sollen ab dem 9. März landesweit geimpft werden.

Dabei hätten es ihre Lehrkräfte ja vor allem mit jener Altersgruppe zu tun, die ein besonderes Gefährdungspotenzial darstellen, sagt Schulleiter Krause. So sei eine Lehrkraft in einer Klasse von 15 angehenden Einzelhandelskaufleuten, die am Tag zuvor vielleicht 100 Kundenkontakte hatten, 1500 möglichen Gefährdungskontakten ausgesetzt, nennt er ein anschauliches Beispiel, das offenbar nicht aus der Luft gegriffen ist. Denn der arbeitsmedizinische Dienst für Lehrkräfte in Schleswig-Holstein habe jüngst in einer Analyse festgestellt: Die Infektionsgefahr für Berufsschullehrer ist zehnmal höher als für die Lehrkräfte an den anderen Schularten im Land. „Wir fürchten, dass so der zurzeit niedrige Inzidenzwert im Kreis Pinneberg schon bald wieder hochschnellen wird“, warnt Krause.

Berufsschullehrer könnten Vorbildfunktion erfüllen

Und die Angst, sich anzustecken, scheint unter den Lehrern groß zu sein an beiden Berufsschulen. Eine aktuelle Umfrage unter allen 360 Lehrkräften habe ergeben, dass 95 Prozent von ihnen sofort bereit wären, sich impfen zu lassen. „Bei uns gibt es eine Impf-Lust und keinen Impf-Frust wie andernorts“, sagt Schulleiter Sachse und meint damit, dass insbesondere der für die jüngere Generation zugelassene Astrazeneca-Impfstoff offenbar nicht genügend impfbereite Menschen findet.

Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:

  • Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
  • Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
  • Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
  • Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
  • Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).

„Wir sehen uns in der Verantwortung für die Sicherheit unserer Lehrer und Schüler“, sagt Krause. Beide Schulleiter haben ihre Personalräte dabei voll auf ihrer Seite. „Wir sind stolz darauf, dass so viele Kollegen bereit wären, sich impfen zu lassen“, sagt Volker Haack, Personalratsvorsitzender an der KBS Pinneberg. „Wir könnten hier eine große Vorbildfunktion erfüllen, die einen enormen Nachahmungseffekt hätte und positiv auf unsere Schüler ausstrahlen würde“, ergänzt Britta Peschel, Personalratsvorsitzende an der KBS Elmshorn.

Schüler kommen aus sieben Bundesländern

Natürlich gebe es an beiden Berufsschulen ein strenges Hygienekonzept, betonen die Schulleiter. In fast allen Klassenräumen sind Desinfektionsmittelspender angebracht, die in mehreren Sprachen die Funktionsweise erklären. Die Berufsschüler müssen im Unterricht und in den Pausen Masken tragen. Essen und Trinken ist in den Klassenräumen verboten. Es gelten klar definierte Abstandsregeln. Einbahnstraßenregelungen auf den Gängen sollen für möglichst wenig gegenläufigen Verkehr sorgen. Plakate und sogar ein mehrsprachiger Videofilm über die Hygienevorschriften werden den Berufsschülern regelmäßig gezeigt.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Und doch gebe es viele Unwägbarkeiten. Die Schüler, deren Altersgruppe als die „Superspreader“ bei der Vireninfektion gelten, seien zum Teil internatsmäßig untergebracht. Da wisse keiner, ob die am Vorabend vielleicht mal eng zusammensaßen oder gefeiert haben, beschreiben Krause und Sachse das mögliche Gefährdungspotenzial. Zumal ihre 7500 Schüler ja nicht nur aus dem Kreis Pinneberg kommen. „Wir unterrichten Berufsschüler aus insgesamt sieben Bundesländern“, erklärt Sachse. Die Auszubildenden der Packmittelindustrie kämen zum Beispiel aus Niedersachsen und Bremen zum Berufsschulunterricht in den Kreis Pinneberg.

Azubis aus 4000 Firmen besuchen beide Einrichtungen

Die Infektionsgefahr bestünde nicht nur für die Lehrer und Berufsschüler. Die gesamte Wirtschaft in der Region bis nach Hamburg könnte bei einem größeren Corona-Ausbruch lahmgelegt werden, malt Krause das Worst-Case-Szenario an die Wand. Allein an seiner Schule würden Einzelhandelskaufleute aus 60 Betrieben unterrichtet, die dann ihre Kollegen bei der Arbeit anstecken könnten. Was auch für angehende Friseure und Zahnarzthelferinnen gelte, die engsten Körperkontakt zu Kunden oder Patienten haben. Insgesamt kämen die Auszubildenden aus 4000 Unternehmen.

Anders als in den Grundschulen, Kitas oder Förderzentren, wo die Lehrer, Schüler, Kinder und Erzieher im schlimmsten Fall ihre Familien zu Hause anstecken könnten, stünde in den Berufsschulen ein viel größerer Gefährdungskreis auf dem Spiel, warnt Krause. „Bei uns würden ganze Existenzen vor die Hunde gehen. Die sind dann pleite.“ Da helfe auch keine staatliche Hilfe.

Enttäuscht sehen sie sie sich von der Kreisverwaltung, bedauern Krause und Sachse. Ihre Sorgen und Nöte und Bitten um schnelle Impfungen der Berufsschullehrer hätten sie bereits vor mehr als zwei Wochen der Landrätin in einem ausführlichen Gespräch aufgezeigt. „Eine Rückmeldung von ihr oder dem Kreisgesundheitsamt haben wir bis heute nicht erhalten“, wundert sich Krause. Auch eine Anfrage des Abendblatts dazu blieb unbeantwortet.