Pinneberg. „Barbie-Girl“ polarisiert mit XXL-Busen und aufgespritzten Lippen. Die Pinnebergerin hat es bei “DSDS“ in den Recall geschafft.

Zwischen Entrümpelungsgeschäft und Fahrschule liegt der Eingang zu einer anderen Welt. Einer sehr rosafarbenen Welt. Sterilisierte Nadeln, eine Liege mit Plüschdecke und ein von Glühbirnen gerahmter Spiegel auf Rosentapete bilden die Kulisse. Wer diesen verborgenen Beauty-Palast betritt, soll schöner wieder herauskommen. Mit endlos langen Wimpern, Nägeln aus Plastik oder frischer Tinte unter der Haut.

Es ist das Reich von Leoni Baltz (21): blond, aufgespritzte Lippen, üppig tätowiert und neuerdings Teilnehmerin der Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“. Als „Barbie-Girl“ hat sie sich in den Recall gesungen. Dabei ist Musik nicht ihr Hauptprojekt. Ihr Projekt, das ist ihr Körper.

800 Milliliter Silikon in jeder Brust

Die Pinnebergerin zieht schwarze Gummihandschuhe über die tätowierten Hände, sie wirft einen prüfenden Blick auf ihr Spiegelbild. Sie erzählt, wie ihr Aussehen polarisiert: 800 Milliliter Silikon in jeder Brust, Tattoos zieren ihren ganzen Körper. Kinn und Lippen: aufgespritzt. An ihrer rechten Schläfe steht „La Diosa“, spanisch für: „Die Göttin“. Dazu Haar-Extensions, Make-up, aufgeklebte Nägel, künstliche Wimpern.

Erst seit einem Monat betreibt sie ihren eigenen Salon. Hier tätowiert sie, färbt Augenbrauen, badet Hände in Paraffin. Im Netz wird sie gefeiert – und gehasst. Auffallen um jeden Preis? Ihr Trainingsanzug in Neonpink sagt: ja. Sie sagt: „Ich mache das nur für mich.“

Online bekam sie auch schon Morddrohungen

Die Frage ist: Warum? Und was bedeutet einem Menschen eigentlich Schönheit, an dem alles gemacht ist? „Ein sauberes Erscheinen, seelisch und äußerlich“, sagt sie. Make-up und OPs hätten damit nichts zu tun. Schönheit, das sei Charakter. Ehrlichkeit, Respekt und Loyalität. Viele würden auf sie herabschauen, sie „arrogant“ oder „Schlampe“ nennen. Online habe sie auch schon Morddrohungen bekommen. „Das ist der wahre Dreck der Menschheit“, sagt sie.

Mit zwei Brüdern wächst Leoni Baltz in Pinneberg auf. Ihre Eltern haben einen Betrieb für Haushaltsauflösungen, dazu bieten sie Tatortreinigungen an, verkaufen in einem Laden Bücher, Waschmaschinen und Deko zu schmalen Preisen. Hier habe sie mitgearbeitet, erzählt sie.

Leoni Baltz wirkt echt und künstlich zugleich

Mit 16 ist sie mit der Schule fertig. „Da hatte ich eine Phase, wo ich kein Bock auf Arbeit hatte.“ Sie lebt mit ihrem Ex-Freund einige Monate auf Mallorca, sagt sie. In ihrer Freizeit reist sie gern, malt Acryl-Bilder. Sie macht kosmetische Schulungen – und ihr Hobby zum Beruf. Als Vorbild sieht sie ihren Vater. „Er ist intelligent, weiß immer eine Antwort.“

Leoni Baltz wirkt echt und künstlich zugleich. Sie redet schnell, lacht oft. Auch wenn es um Hasskommentare geht und sie davon erzählt, wie sie im Netz beleidigt wird. In ihrer Welt sind schlechte Menschen „Ratten“, gute Menschen „stabil“ und freie Körperstellen „Lücken“. Die Welt manifestiert sie in Schriftzügen auf ihrer Haut. Die gehen dann so: „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ oder „Bleib stark“ auf Spanisch. Sie habe schon viel „Scheiße durchgemacht“. Doch darauf möchte sie nicht eingehen. Ihr Körper, das sei ihr Projekt. Eine Grenze gebe es nicht.

Extensions mit 13, Tattoo mit 14, Lippen aufspritzen mit 17

In einer Zeit, in der es auf Instagram und Snapchat etliche Filter und Effekte zum Schönerwerden gibt, verschieben sich die Erwartungen an den eigenen Körper. Sie machen die Augen größer, die Lippen voller, die Haut reiner. Sie lassen die Wangen höher wirken, die Nasenflügel schmaler und zaubern dazu filigrane Tattoos ins Gesicht.

Leoni Baltz ist bei den ersten Korrekturen an ihrem Aussehen noch sehr jung: Extensions mit 13, Tattoo mit 14, Lippen aufspritzen mit 17, Brustvergrößerung mit 18. Vieles davon macht sie heimlich. „Meine Eltern haben versucht, mir das auszureden. Aber den Wunsch hatte ich schon immer.“

Als sie noch klein ist, schaut sie mit ihrer Großmutter Fernsehen. „Meine Oma sagte: ‚Igitt, guck mal, die Schlauchbootlippen‘, und ich dachte: Das find’ ich geil.“ Als Jugendliche hängt sie mit Älteren rum, die viele Tattoos haben. „Wie ein lebendes Kunstwerk.“ Das wollte sie auch: perfekt aussehen. Im vergangenen August lässt sie ihre Brüste erneut vergrößern. Von Doppel-D auf Körbchengröße F.

Perfekt heißt für Leoni Baltz: „Große Brüste, großer Arsch“

Brustvergrößerungen sind in Deutschland der beliebteste operative Eingriff in der plastisch-ästhetischen Chirurgie, wie eine Statistik aus dem Jahr 2018 zeigt. Immer mehr junge Frauen würden den Ärzten bearbeitete Bilder als erstrebenswertes Ideal mitbringen. Doch inzwischen mahnen viele Mediziner, virtuelle Schönheit sei nicht medizinische Realität.

Perfekt heißt für Leoni Baltz: „Große Brüste, großer Arsch.“ Mit 19 fällt sie auf eine Betrügerin herein, die ihr Kochsalzlösung in den Po spritzt, erzählt sie. Ihr Körper baut den Stoff wieder ab. Irgendwann wolle sie das ordentlich machen lassen. Ihre Lippen spritzt sie sich mit Hyaluronsäure selbst auf, etwa alle drei Monate. Aber sie will mehr: „Mein Körper ist eine ewige Baustelle.“ Sie wisse nicht mehr, wie viel sie schon investiert habe. Aber wenn sie es bezahlen könnte, würde sie noch mehr machen, ein „Allround-Paket“: Eigenfettaufbau am Po, Augenlidstraffung, Fettwegspritze am Kinn. Fertigsein, das gebe es nicht.

„Barbie“ wird sie genannt – sie ließ es sich tätowieren

Schönheitsoperationen können das Lebensgefühl verbessern, erklärt eine Studie der Ruhr-Universität Bochum aus dem Jahr 2013. Mit der Universität Basel haben Wissenschaftler die psychologischen Effekte von Schönheitsoperationen untersucht. Aber es gibt auch die andere Seite. Jede OP, jede Narkose, birgt Risiken. Wer sich ohne medizinische Notwendigkeit aufschneiden lässt, geht diese Gefahren freiwillig ein.

Und: Der Gang unters Messer kann Ausdruck tiefer sitzender Probleme sein. Die Spanne reicht von verzerrter Körperwahrnehmung bis hin zu mangelndem Selbstwertgefühl. Eine Pauschalantwort auf die Frage „Warum?“ gebe es laut Experten aber nicht. Genau so wenig wie ein Rezept für perfektes Aussehen. Artur Worseg, ein plastisch-ästhetischer Chirurg aus Österreich, hat ein Buch über seine Erfahrungen mit Patienten geschrieben. Der vielsagende Titel: „Deine Nase kann nichts dafür“.

Wer Kontrolle über sein Leben erlangen will, dem steht der eigene Körper als erstes Mittel der Wahl zur Verfügung. Höher, schneller, weiter, besser: In einer Optimierungsgesellschaft arbeiten manche bis zum Burn-out, andere meditieren, um ihre mentale Leistung zu steigern – andere „tunen“ ihren Körper. So wie Leoni. Umso sichtbarer allerdings das Optimieren, desto mehr Angriffsfläche gibt es für Kritiker und ihre Vorurteile. Leoni Baltz beeindruckt das nicht. Über einiges könne sie lachen, anderes mache sie wütend.

Barbie, so haben andere sie in ihrer Jugend getauft. Sie ließ es sich als Schriftzug auf ihr Dekolleté tätowieren. „Ich bin die rebellische Barbie, die von allem zu viel hat.“ Manche sagen ihr, sie sei größenwahnsinnig. Sie sagt, sie habe Träume und Ziele. „Als Kind dachte ich immer, ich will reich werden, an der Elbchaussee wohnen und einen roten Ferrari fahren.“ Auch heute klingen ihre Träume ähnlich. Irgendwann wolle sie in der Sonne leben in einem eigenen Haus, sich „ein Imperium aufbauen“. Sie lacht.

In ihrem Körper stecken Tausende Euro

Von außen mag Leoni Baltz künstlich wirken, inhaltlich klingt sie glaubwürdig. Wie jemand, der zu seinem Tun steht, sein Herz am richtigen Fleck hat. In ihrem Körper stecken Tausende Euro. Einerseits. Aber sie sagt: „Schönheit ist Charakter.“ Andererseits inszeniert sie sich auf Instagram, tritt in einer Castingshow auf. Zwei Formate, bei denen der Blick von außen, die Bewertung durch andere zählt. An ihrer Schläfe hat sie das Symbol für ihr Sternzeichen Zwilling tätowiert. „Ich habe eben viele Gesichter.“

Leoni Baltz schließt die Tür von außen ab. Es ist windig und kalt. Das einzige, was in den grauen Tag leuchtet: ein knalliger Trainingsanzug.

Am Sonnabend tritt Leoni Baltz bei Deutschland sucht den Superstar auf (RTL, 20.15 Uhr) – als eine der letzten 126 Kandidaten.