Pinneberg/Itzehoe. Verteidiger sieht keinen Vorsatz beim Angeklagten und kritisiert Ermittlungsarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft.

Irfan S. (40) sitzt am Mittwoch kerzengerade auf dem Stuhl im großen Saal des Landgerichts Itzehoe. Der Pinneberger soll Mitte Mai in der gemeinsamen Wohnung seine Mutter „getötet haben, ohne Mörder zu sein“, wie es im Juristendeutsch heißt. Aber hat sich der Angeklagte wirklich eines Totschlags schuldig gemacht?

Sein Verteidiger Jens Hummel brachte am fünften Prozesstag eine andere Theorie ein. Demnach könnte der 40-Jährige „nur“ Sterbehilfe geleistet haben.Wie genau Nazim S. (71) zu Tode kam, hat der Deutsch-Pakistaner nie preisgegeben. Bei seiner Festnahme gab er zwei Polizisten gegenüber lediglich an, dass er sie „umgebracht“ haben will. Eine ähnliche Aussage machte er wenig später auch bei Helena K., der Beamtin der Mordkommission.

"Ich kann erzählen, wie ich meine Mutter ermordet habe"

Die 32-Jährige, die Mittwoch vor Gericht aussagte, hatte den 40-Jährigen gerade belehrt, dass er nicht aussagen müsse. „Da sagte er ,Ich kann erzählen, wie ich meine Mutter ermordet habe‘“, so die Beamtin. Sie habe dann nicht weiter nachgefragt, weil es sich nicht um eine offizielle Vernehmung gehandelt habe und ihr Gegenüber nicht über einen Rechtsbeistand verfügte. „Er wirkte teilnahmslos, ließ alles über sich ergehen. Aber ich hatte schon den Eindruck, dass er alles mitbekam.“ Anzeichen für eine psychische Erkrankung seien ihr nicht aufgefallen, so die Zeugin.

Verteidiger spricht von „eindimensionaler Ermittlungsarbeit“

Seit diesen spontanen Äußerungen hat Irfan S. über seine Beteiligung am Tod der Mutter nicht mehr gesprochen. Auch vor Gericht blieb er bislang stumm. Fest steht bislang dank der Obduktion nur, dass Nazim S. durch eine Strangulation ums Leben kam. Doch weder die genaue Todeszeit noch die Art und Weise, wie die Strangulation erfolgte, sind bekannt.

Verteidiger Hummel monierte nun die „eindimensionale Ermittlungsarbeit“ der Mordkommission, die gar nicht nach möglichen weiteren Tätern gesucht habe. So sei weder geprüft worden, ob das Schloss der Wohnungstür beschädigt war noch wie viele Schlüssel für die Wohnung eigentlich im Umlauf waren. Hummel: „Die Ermittlungsarbeit erschöpfte sich darin, die Täterschaft des Angeklagten zu belegen.“ Als einziges entlastendes Element sei herausgekommen, dass keine Mordmerkmale verwirklicht worden seien und es sich nur um einen Totschlag handele.

Mutter war depressiv, psychisch krank und dement

Laut dem Verteidiger könne es sich aber auch um eine Tötung auf Verlangen gehandelt haben. Die Lebensumstände von Nazim S. seien desolat gewesen. Sie habe unter mehreren schweren Erkrankungen gelitten, sei stark depressiv und außerdem psychisch erkrankt gewesen. „Ihr Gebiss war verfault, sie litt an Demenz, wurde mehrmals orientierungslos aufgegriffen“, so Hummel. Der 71-Jährigen sei ein Betreuer zur Seite gestellt worden, sie habe den zweithöchsten Pflegegrad erhalten. „Eine Aussicht auf Besserung bestand nicht.“

Hinzu komme, dass Nazim S. nur einen seltenen Landesdialekt gesprochen und über keinerlei soziale Kontakte verfügt habe. Sie habe sich weder mit den Mitarbeiterinnen des Pflegedienstes noch mit ihrem Betreuer verständigen können, auch eine Kommunikation mit ihrem Sohn sei nur eingeschränkt möglich gewesen. „Auch mein Mandant ist psychisch erkrankt und war nicht in der Lage, die Bedürfnisse des Opfers zu erfüllen.“ Er könne sich vorstellen, das Nazim S. ob ihrer Situation lebensmüde war und sich von ihrem Sohn als einziger Bezugsperson töten ließ. Dafür spreche auch, dass der Leichnam regelrecht auf dem Bett aufgebahrt gewesen sei, als ihn eine Mitarbeiterin des Pflegedienstes fand.

Urteil fällt frühestens am 18. Dezember

Hummel forderte auch ein neues Gutachten, dass die DNA-Spur seines Mandanten, die am Arm der Mutter gefunden wurde, neu untersucht. Sie könne eventuell auch bei der Pflege oder durch eine zufällige Berührung entstanden sein.

Freitag soll nun Gutachter Stephan Veismann gehört werden, der die Schuldfähigkeit des Angeklagten untersucht hat. Mit einem Urteil ist jetzt nicht mehr vor dem 18. Dezember zu rechnen.