Raa-Besenbek. Tier macht Sachen: Im Garten von Patricia Behm ist ein zahmer Vogel namens „Nadja“ gelandet – und blieb. Ein rätselhafter Fall.

Woher das Storchenweibchen kam, verrät es nicht. Dafür aber, wo es sich wohlfühlt: Im Garten von Patricia Behm in Raa-Besenbek. Dort tauchte das Tier vor eineinhalb Wochen auf – und macht bisher keine Anstalten umzuziehen. Denn die Störchin, die von ihrer neuen Beschützerin „Nadja“ getauft wurde, scheint die menschliche Gesellschaft ohne Scheu zu genießen: Menschen und Autos weicht sie nicht aus, sondern stakst ihnen entgegen.

Die Zutraulichkeit des zugeflogenen Vogels beunruhigte die 28-jährige Storchen-Gastgeberin zunächst: „Wenn sich ein Wildtier so sehr nähert, wird einem schon mulmig“, erzählt Behm. Spätestens, als ihr Nadja hinterherlief, sobald sie den Garten betrat, war es Zeit, sich an die Experten des Wildtier- und Artenschutzzentrums in Klein Offenseth-Sparrieshoop zu wenden. Seitdem besucht der Leiter des Zentrums, Christian Erdmann, die Störchin Nadja zweimal pro Woche.

Erdmann geht davon aus, dass die Störchin im wahrsten Sinne des Wortes verzogen wurde: „Sie ist außergewöhnlich zahm. Wahrscheinlich handelt es sich hier um eine missratene Handaufzucht.“ Dabei trägt das Storchenweibchen einen Ring der offiziellen Vogelwarte Helgoland an den dünnen, roten Beinen, nicht den Ring eines Züchters. „Nadja“ gilt somit offiziell als Wildvogel, ihre Zutraulichkeit ist deshalb umso ungewöhnlicher. Erdmann vermutet, dass eine Privatperson die Störchin in der Vergangenheit fütterte und pflegte und ihr damit das atypische Verhalten angewöhnte. Zumindest ein Geheimnis lüftet der Ring: Die Markierung stammt aus dem Jahr 2003, Nadja ist also 19 Jahre alt „Das ist ganz schön betagt für einen Storch“, so Erdmann. Störche werden in der Wildnis meist etwas mehr als 20 Jahre alt.

Experte rät davon ab, Wildtiere zu füttern

Und was sagt Behm zu dem privaten Storchenaltersheim? „Ich finde es super, einen Vogel im Garten zu haben.“ Die Zuneigung beruht auf Gegenseitigkeit: Nadja nähert sich Behm bis auf wenige Zentimeter. Auch ihr dreijähriger Sohn Maxim verstehe sich wunderbar mit Nadja – natürlich mit gebührendem Abstand. Nur eines störe die neue Storchengastgeberin: „Seit kurzer Zeit kommen Leute vorbei und füttern Nadja. Aber sie frisst das Futter nicht und wird nur auf die Straße gelockt.“ Deshalb bittet sie Passanten, für Fotos nicht auf der Straße stehen zu bleiben und das Füttern zu lassen.

Experte Erdmann rät generell davon ab, Wildvögel zu füttern. Ohnehin brauche Nadja, die Fleischfresserin ist, keine zusätzlichen Leckereien, das würde sie nur weiterhin verziehen: „Ihre Größe und ihr Gewicht sind absolut in Ordnung. Solange kein kalter Wintereinbruch kommt, findet sie selbst genug Nahrung“, versichert Erdmann.

Für einen eisigen Winter gibt es einen Notfallplan

Sollte der Winter mit Macht, Schneefall und gefrorenen Böden die Störchin doch noch mal davon abhalten, Würmer zu picken, haben ihre Beschützer einen Notfallplan: „Dann könnte sie zu uns in die Wildtierstation kommen“, so Erdmann. „Dort pflegen wir sogar ein Storchenmännchen.“ Etwas Gesellschaft würde Nadja vielleicht freuen. Denn die meisten ihrer Artgenossen sonnen sich momentan noch im Süden Europas oder in Ost-Afrika. Nadja aber trotzt mit auf-geplusterten Federn dem Winterwetter.

Doch schon in zwei Monaten kehren die ersten Störche üblicherweise in den Norden zurück – möglicherweise ist da auch ein Männchen für Nadja dabei. Behm, plötzlich Storchenpatin, würde es freuen: „Am liebsten würde ich hier einen Mast für ein Nest aufstellen. Falls jemand einen spenden möchte, darf er sich gern bei mir melden“, sagt sie lachend. Hauptsache, Nadja bleibt.

Hilfe für Tiere: Wer einen zutrauliches oder verletztes Wildtier im Garten hat oder in freier Wildbahn findet, kann sich unter 04121/450 19 39 an die Wildtierstation in Klein Offenseth-Sparrieshoop wenden.

Mythos Storch – woher kommt er?

Rund um den Storch ranken sich Redewendungen und Symboliken – mit langer Tradition. Schon bei den Germanen galt der Storch als Botschafter des Frühlings und als Symbol für das Wiedererwachen des Lebens. Schließlich kehrte er stets zu Beginn des Frühjahrs zurück, um sich ganz dem Nachwuchs zu widmen. Diese Bedeutung fasst auch sein späterer, althochdeutscher Name zusammen. In dieser Sprachperiode, die von 750 nach Christus bis 1050 reicht, bezeichnet man den Storch mit dem Wort „Adebar“ – vor allem im heutigen Norddeutschland und den angrenzenden Regionen.

Die erste Silbe „Ade“ bedeutet übersetzt Glück, die Endsilbe „bar“ so viel wie „tragen.“ Der Storch, der auf dem Dach nistet, bringt dementsprechend Glück – und die Kinder. Dieses Maskottchen will man natürlich nicht verjagen. „Der Storch gilt im Volksglauben als heiliges, kultisch verehrtes Tier, das aufgrund dessen mit einem Speiseverbot belegt war“, erklärt der Germanistik-Professor Reto Rössler der Universität Flensburg. „Die Redewendung „Da brat mir doch einer einen Storch“ drückt demnach die Ungläubigkeit und höchste Verwunderung des Sprechers aus.