Helgoland. Forscher Matthias Schaber untersucht das geheime Leben der Hundshaie. Dafür muss er die Tiere angeln. Wie? Erklärt er im Interview.

Wie bitte? Es gibt große Haie vor Helgoland? Hundshaie? Darüber muss geredet werden, und zwar mit dem Mann, der die Tiere im Sommer fängt und mit Satellitensendern untersucht. Dr. Matthias Schaber ist Fischereibiologe am Thünen-Institut. Er erklärt im Gespräch, wie man die Tiere angelt, warum die Forschung am Hai wichtig ist und wieso die Fische mit seiner Handynummer durch die Nordsee schwimmen.

Herr Schaber, Sie fangen ernsthaft Haie vor Helgoland?

Matthias Schaber Ja, ich fand Haie schon immer faszinierend, und obwohl Haie in allen Regionen der Weltmeere vorkommen, ist die Nordsee und die Deutsche Bucht nicht wirklich als „Haigewässer“ bekannt – was natürlich nicht bedeutet, dass es dort keine Haie gibt!

Bleibt die Frage: Warum?

Ich wollte mehr über das Leben der Hundshaie herausfinden. Diese weitgehend unbekannte, recht große Haiart vor unserer Haustür ist durch menschliches Zutun inzwischen stark gefährdet.

Was interessiert Sie an den Tieren?

Der Hundshai ist die größte dauerhaft in deutschen Gewässern vorkommende Art. Die Tiere kommen zwar weltweit in gemäßigten und subtropischen Bereichen vor. Aber trotzdem weiß man wenig über sie. Viele Aspekte der Biologie und des Verhaltens sind unbekannt oder nur puzzleartig zusammenzusetzen.

Wie forschen Sie?

Ich markiere die Tiere mit Satellitensendern. Das sind kleine, wasserdichte Minicomputer. Markierte Haie sammeln ihre Daten selbst, während sie tun, was Haie eben tun – schwimmen.

Wie viele Haie haben Sie bisher gefangen?

Ich bin während der „Haisaison“ in den Sommermonaten auf Anglerglück angewiesen. Ich selbst bin kein Angler, aber bisher waren wir bei 14 Haien erfolgreich. Das heißt, wir haben 14 Haie geangelt und für die Studien markiert. Ich hoffe, in diesem Sommer mit weiteren Sendern nach Helgoland reisen zu können.

Schwimmendes Forschungsobjekt: Ein Hundshai mit Sender an der Rückenflosse vor der Insel Helgoland.
Schwimmendes Forschungsobjekt: Ein Hundshai mit Sender an der Rückenflosse vor der Insel Helgoland. © HA / A .Laible | christian howe

Im Sommer ist Hai-Saison vor Helgoland?

Es sieht so aus. Anscheinend treten die Tiere im späten Frühjahr im Gebiet um die Insel auf und wandern im Herbst, mit abkühlendem Wasser und Beginn der Herbststürme, wieder ab. Es gibt auch Hinweise, dass sich einzelne Tiere ganzjährig vor der Insel aufhalten. Früher war Angeln auf Hundshaie ein durchaus beliebter Sport – aber so was geht am besten bei gutem Wetter im Sommer.

Warum kommen die Tiere ausgerechnet nach Helgoland?

Gute Frage. Es gibt mehrere Möglichkeiten. Wahrscheinlich nutzen die Haie das reichhaltige Nahrungsangebot auf dem Helgoländer Festlandsockel – ein einzigartiges marines Ökosystem in der Deutschen Bucht. Es gibt aber auch Meldungen von Haifängen vor anderen deutschen Nordseeinseln. Für meine Studien ist es Helgoland geworden, weil dort das saisonale Auftreten der Haie am ehesten bekannt ist und wir mit Michael einen enorm erfahrenen Helgoländer Angler im Team haben, der genau weiß, wann und wo er Hundshaie fangen kann.

Wie läuft ein klassischer Seetag ab?

Den typischen Tag gibt es nicht. Aber wenn die Bedingungen mit wenig Wind und wenig Wellen gut sind, treffe ich mich mit Michael am Nordhafen. Dazu muss auch die Tide passen, ein wichtiger Faktor beim Hai-Fang. Auf dem Weg versuchen wir schon, ein paar frische Makrelen zu fangen, nebenbei bereite ich meine Ausrüstung vor: Maßband, Desinfektionsmittel, Crimpzange, Sender, Satellitentag auf „Standby“, Probenfläschchen und Material für Genetikproben, Notizblock, Kamera und so weiter.

Die Haie mögen also Makrelen?

Makrelenfilets, zumindest funktionieren sie als Köder. Aber ich habe gelernt: Man muss warten können. Manchmal passiert auch gar nichts. Aber wenn ein Hai an den Köder geht, muss alles sehr schnell gehen. Ein Haibiss ist relativ eindeutig: Die robuste Angelrute, die für Großfische wie Thunfische ausgelegt ist, biegt sich beachtlich, und der Hai nimmt meist viel Leine. Dann ist erst mal Hektik angesagt – Michael drillt den Hai und bringt ihn vorsichtig längsseits ans Boot – ich starte eine Stoppuhr, die Kameras und lege meine Ausrüstung bereit. Der Hai wird dann von Michael vorsichtig an Bord gebracht, seine Augen werden mit einem dunklen, feuchten Tuch bedeckt.

Warum?

Ein 1,5-Meter-Hai schätzt es nicht besonders, aus dem Wasser geholt zu werden. Aber wenn man ein Tuch über die Augen legt, wird das Tier absolut still. Michael entfernt dann den Haken – und ich messe und markiere. Das dauert nur wenige Minuten. Dann lassen wir das Tier zurück ins Wasser, meist schwimmt er mit kräftigen Schwanzschlägen davon und taucht ab.

Ist das nicht risikoreich?

Das Risiko ist kalkulierbar. Ein Hundshai hat ein beeindruckendes Gebiss. Deshalb bleibe ich dem Maul des zappelnden Fischs fern, bis das Tuch auf den Augen liegt. Für den Hai ist die Aktion eher ein Risiko: Außerhalb des Wassers kann er nicht atmen, Fangen und Markieren ist enormer Stress für ihn – egal wie schonend wir ihn an Bord hieven. Daher muss die „Handling Time“ so gering wie möglich sein. Der Sender ist klein und leicht, er beeinträchtigt den Hai nicht. Die Forschungsarbeiten sind genehmigungspflichtige Versuche mit Wirbeltieren – mit Sachkundenachweis und Ausbildung.

Wie war für Sie das erste Mal?

Beim ersten Hundshai war ich ernsthaft irritiert, wie groß die Tiere sind. Und ich bin jetzt noch jedes Mal begeistert!

Ihr größter Fang?

Die Tiere, die wir bisher vor Helgoland gefangen und markiert haben, waren allesamt erwachsene, geschlechtsreife Haie. Die Spanne reicht von 1,4 Meter langen Männchen bis zu 1,6 Meter langen Weibchen. Beeindruckende Tiere – eben „echte“ Haie.

Wie funktioniert das Besendern?

Wir markieren die Haie mit Satellitensendern, sogenannten „Satellite Archival Pop-Up Tags“. Ich messe Länge und notiere das Geschlecht. Dann befestige ich den Sender an der Rückenflosse. Eine weitere Marke kommt an die Basis der Rückenflosse – der Spaghetti-Tag, auf dem die Nummer des Tiers und meine Mobiltelefonnummer sowie meine E-Mail-Adresse stehen. Nach einer Gewebeprobe wird das Tier zurück in die See entlassen. Das muss fix gehen, denn ich will ja einen möglichst ungestressten, gesunden Hai auf die Reise schicken.

Haie vor Helgoland: Matthias Schaber bereitet einen Satellitensender vor der Anbringung an den Hai vor.
Haie vor Helgoland: Matthias Schaber bereitet einen Satellitensender vor der Anbringung an den Hai vor. © Christian Howe/H2Owe | Unbekannt

Wie lange schwimmt der Hai mit Ihrer Handynummer durch die Nordsee?

Vom Zeitpunkt des Freisetzens zeichnet der Sender für etwa 270 Tage auf, und zwar Druck, Tiefe, Temperatur und Lichtintensität. Danach löst er sich, steigt an die Oberfläche und übermittelt die Daten. Bedeutet: Während des Einsatzes habe ich keine Daten und kann nur hoffen, dass sowohl Hai als auch Sender mitspielen. Von Aussetzposition und der Position, an der sich der Sender abgelöst hat, ist schon mal der Weg von A nach B zu erkennen. Wie das Tier dorthin gewandert ist und was es währenddessen gemacht hat, kann ich aus den Messdaten berechnen. Das lässt Aussagen über das Verhalten zu.

Welche Erkenntnisse haben Sie bisher?

Die werden aktuell in einer ersten Studie publiziert, andere Auswertungen stehen noch aus. Was die Haie bei Helgoland machen, konnten wir noch nicht direkt aufzeigen. Es gibt aber Hinweise, dass die großen, erwachsenen Tiere im Frühjahr im holländischen und deutschen Wattenmeer ihre Jungen zur Welt bringen, um dann in die Deutsche Bucht zu wandern, wo sie sich Reserven anfressen. Das ist aber noch nicht nachgewiesen.

Gibt es gesicherte Erkenntnisse?

Anhand unserer Daten haben wir gesehen, dass die Tiere im Spätsommer abwandern. Die Haie sind allesamt noch eine Zeit in der Deutschen Bucht geblieben und dann zielstrebig in den Englischen Kanal gewandert. Es sieht so aus, als ob dort das Überwinterungsgebiet ist.

Weit kommen sie ja nicht.

Ein Trugschluss: Einzelne Tiere sind mehrere Tausend Kilometer gewandert und haben spektakuläres Verhalten gezeigt. Sie sind über den kontinentalen Schelfrand in große Tiefen abgetaucht. Hundshaie kommen sonst in flachen Küstengebieten vor, obwohl auch ozeanische Wanderungen bekannt sind. Was wir noch nicht wussten, ist, dass die Tiere im offenen Ozean in größere Tiefen abtauchen. In einen Bereich, in dem enorme Biomasse von sogenannten mesopelagischen Fischen und anderen Organismen auftritt. Das Mesopelagial ist der Tiefenbereich von 200 bis 1000 Meter. Dort dominieren etwa Leuchtsardinen als riesige Fischbiomasse. Heißt: Dort unten tobt das Leben. Und in diese Tiefen dringen Hundshaie vor.

Was ist daran so spannend?

Die mesopelagischen Organismen führen eine diurnale Vertikalwanderung durch – die größte Tierwanderung des Planeten! Mit der Abenddämmerung wandern Zooplankton, Fische und Kalmare in Richtung Oberfläche – und in der Morgendämmerung zurück in die Tiefe. Durch unsere Messdaten konnten wir zeigen, dass die Haie diese Wanderungen mitmachen. Tagsüber in mehreren Hundert Metern Tiefe in einer dicken „Suppe“ aus mesopelagischen Arten, abends in Oberflächennähe. Anscheinend schöpfen die Haie so dauerhaft aus dem Vollen.

Warum wandern die Tiere?

Das ist noch nicht klar. Anzunehmen ist, dass die Wanderungen mit der Fortpflanzung in Verbindung stehen. Erwachsene, geschlechtsreife Hundshai-Weibchen in Australien wandern zwischen „Fressgebieten“ und Gebieten, in denen sie sich fortpflanzen oder ihre Jungen zur Welt bringen. Das machen aber nicht alle Tiere, zumal sie sich höchstwahrscheinlich nicht jedes Jahr fortpflanzen. Unsere markierten ozeanischen Haie sind in die Biskaya gewandert, ein Tier sogar bis zur Insel Madeira. Spannend wäre, wenn wir auch eine „Rückwanderung“ nachweisen könnten – also nach Helgoland. Aktuell sind noch einige Tiere mit Sendern unterwegs – es bleibt also spannend!

Wieso ist das wichtig für uns?

Weil wir immer noch wenig über Hundshaie wissen. Speziell von der Nordostatlantischen Population. Wo bringen sie ihre Jungen zur Welt? Wo sind die Aufwuchsgebiete? Wohin wandern die Tiere weswegen? Was wir wissen: Intensive Befischung hat diese Art auf die Rote Liste der Weltnaturschutzunion gebracht. Um zu verhindern, dass sich der Zustand der Populationen weiter verschlechtert, müssen wir mehr wissen. Dann haben wir eine Chance, für Schutz zu sorgen.

Wie viele Hai-Arten gibt es in der Nordsee?

Mehr als man denkt. Als dauerhafte Arten gelten zehn Rochenarten wie der Nagelrochen und auch zehn Haiarten. Häufig sind der Kleingefleckte Katzenhai, der Glatthai, der Dornhai und der Hundshai. Selten kommen Heringshai, Fuchshai, Riesenhai, Blauhai oder Mako vor.

Welche Gedanken müssen sich Schwimmer vor Helgoland machen?

Keine, zumindest nicht über ein Treffen mit einem 1,5 Meter großen Hai. Schön wäre, wenn sie sich bewusst wären, dass sie sich im Lebensraum eines Tieres befinden, das durch das Zutun der Menschen vom Aussterben bedroht ist.

Zum Hai-Experten Matthias Schaber:

Dr. Matthias Schaber wurde 1974 in Nördlingen (Bayern) geboren, wuchs aber im baden-württembergischen Bopfingen auf.Pilot? Arzt? Meeresbiologe? Diese Fragen stellten sich Schaber nach dem Abi. Da er sämtliche Dokumentationen über Fische, Wale und Riffe verschlungen hatte, entschied er sich, nach Kiel zu ziehen, um Meeresbiologie und Fischereibiologie zu studieren und schließlich auch zu promovieren. Seit zehn Jahren arbeitet er am Thünen-Institut für Seefischerei in Bremerhaven (bis 2018 in Hamburg). Er forscht sowohl an kleinen Schwarmfischen wie Heringen, Sprotten, Sardinen und Sardellen, aber auch an Gelbflossenthunfischen oder Hundshaien. Das bedeutet viel Computerarbeit, aber auch mehrere Wochen pro Jahr auf dem Meer. Er lebt mit seiner Familie in Kiel.