Elmshorn. Block an der Gerhardstraße in Elmshorn soll abgerissen und neu gebaut werden. Zwölf Bewohner kämpfen für Erhalt ihrer Wohnungen.
Als die Mieter des Wohnblocks an der Gerhardstraße 6-10 in Elmshorn im Oktober 2021 die Kündigungen im Briefkasten vorfanden, da war das für sie ein Schock: Ihr Haus, Baujahr 1928, soll abgerissen werden, anschließend ist ein Neubau mit 32 Wohnungen geplant. Die ersten Mieter mussten bereits Ende Januar raus, bis Ende Oktober dieses Jahres soll auch der letzte Bewohner seine Wohnung geräumt haben. Mit Kettensägen ist bereits der Baumbestand in den Gartenparzellen gefällt worden.
Die 15 durchschnittlich 55 Quadratmeter großen Wohnungen mit Keller und Garten sind sehr günstig. Mancher zahlt nur fünf bis zehn Euro pro Quadratmeter. Und das nicht, weil es Sozialwohnungen sind, sondern weil die Mieter dort teils schon sehr lange leben. Wie etwa Sonja, die noch einen Mietvertrag von 1978 hat, und ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte.
Älteste Mieterin muss nach 41 Jahren Haus verlassen
Mit ihren 85 Jahren ist Linda Rolf die älteste Mieterin im Block, auch sie ist auf die günstige Miete angewiesen. Seit 41 Jahren lebt sie im Haus Nummer 10 – jetzt hat sie Angst vor der Zukunft. „Wo soll ich denn hin?“, fragt die Rentnerin. Wie Linda Rolf geht es auch Andreas Schmidt (61), der seit acht Jahren im Block lebt. Eine vergleichbar günstige Wohnung in Elmshorn zu finden, sei kaum möglich, sagt der Berufskraftfahrer.
Insbesondere die älteren Mieter haben Angst, dass die Gemeinschaft „auseinandergesprengt“ wird, wie sie sagen. „Wir sind hier eine Hausgemeinschaft, die über alle Generationen freundschaftlich und teils auch familiär miteinander verbunden ist. Dieser Block ist für alle, die hier wohnen – einige schon seit ihrer Geburt oder ihrer frühesten Kindheit – eine Heimat, die niemand verlieren möchte“, betont Andreas Schmidt.
Er ist es auch, der mit einem offenen Brief an Bürgermeister Volker Hatje auf die prekäre Situation der verbliebenen zwölf Mieter aufmerksam gemacht hat. Sie wollen um ihre Wohnungen kämpfen, wie es Schmidt im Namen aller Mieter formuliert. Schmidt und die weiteren Bewohner glauben, dass der Verfall des sanierungsbedürftigen Wohnblocks in den vergangenen Jahren bewusst herbeigeführt worden sei. Seit Jahren seien keine Instandhaltungsmaßnahmen am Gebäude vorgenommen worden. „Kleine Arbeiten wurden bestenfalls von den Mietern selbst gemacht“, sagt Schmidt.
Die Linke unterstützt die Mieter mit ihren Forderungen
Bei dem Objekt „handele es sich zwar um ein renovierungsbedürftiges, aber in seiner Bausubstanz durchaus erhaltenswertes Gebäude, das mit einigem – aber nicht unzumutbarem – Aufwand für die nächsten 20 bis 30 Jahre ein Garant für bezahlbaren Wohnraum in Elmshorn bleiben könnte“, so der 61-Jährige. Er fordert den Bürgermeister auf, „die Bau- und Abrissgenehmigung für dieses Objekt auszusetzen oder ganz zurückzuziehen“.
Das fordert auch Hans-Ewald Mertens, Fraktionsvorsitzender der Elmshorner Linken. Der private vorige Vermieter des Wohnblocks hätte jahrelang nicht in die Wohnungen investiert und verkaufte die Wohnungen weiter, heißt es im Internet-Aufruf „Wohnen ist ein Grundrecht“. Die Verzweiflung, aber auch die zunehmende Resignation der Mieter sei groß, denn der Vermieter „sprach die Kündigung aus, ohne Sorge zu tragen, dass alle auch neue, bezahlbare Wohnungen bekommen“.
Die Gerhardstraße sei „ein Synonym, ein Platzhalter für alle Straßen, in denen Mieter*innen um ihre Wohnungen gebracht werden sollen. Es ist höchste Zeit für mehr Sozialwohnungsbau, statt immer neue Flächen für Einfamilienhäuser zu erschließen. Es ist höchste Zeit, die Mietpreisbremse in Schleswig-Holstein wieder einzuführen“, teilt die Partei auf ihrer Internetseite mit.
Die Fraktion hat sich um einen Anwalt gekümmert, startete eine Unterstützungskampagne und richtete ein Solidaritätskonto ein. Denn in dem Haus leben „viele Rentner*innen und in Niedriglohn arbeitende Menschen, die sich weder Umzugskosten noch eine Kaution leisten können“. Ferner fordert die Linke, dass die Stadt Wohnhilfe zahlt.
Stadt sieht keine Möglichkeit, das Bauvorhaben zu stoppen
Ein Zurückziehen der Abrissanzeige und der Baugenehmigung sei „leider so nicht möglich“ heißt es nun in einem aktuellen Schreiben vom Zweiten Stadtrat der Stadt Elmshorn, Lars Bredemeier, an die Links-Fraktion. Alle rechtlichen Voraussetzungen für das Bauvorhaben seien erfüllt, sodass „eine Genehmigung erteilt werden musste“. Auch entspreche die mit dem Neubau einhergehende Nachverdichtung der Vorgabe einer zentralen, innerstädtischen Bebauung.
Die prekäre Situation der Betroffenen nehme die Verwaltung ernst. Bredemeier merkt an, dass eine Unterstützung durch das Amt für Soziales angeboten wurde, doch „bisher hat in Bezug auf eine Ersatzwohnung von sämtlichen betroffenen Bewohnern nur eine Person vorgesprochen“. Diesem Hilfesuchenden konnte innerhalb von zehn Tagen eine Wohnung beschafft werden, so der Stadtrat.
Dem jetzigen privaten Vermieter Bengt Vollstedt wurde der Gebäudekomplex von einer Firma aus Barmstedt zum Kauf angeboten. „Ich habe mich lange gesträubt, es zu kaufen, weil es wirklich kaputt ist“, sagt der Diplom-Wirtschaftsingenieur. Der 30-Jährige spricht von den Heizungen – in einer Wohnung wird noch mit Öfen geheizt –, mangelnder Isolation, den Elektroinstallationen, Mini-Bädern und den Türen, die sich im Treppenhaus zwischen zwei Wohnungen befinden. Hinter denen befanden sich Außentoiletten. Diese WCs wurden zwar weggerissen, die Wohnfläche den Etagenwohnungen jedoch nicht zugeschlagen. „Nichts ist einheitlich saniert worden.“ Daher sei es wirtschaftlicher, alles abzureißen und neu zu bauen.
Etwa 2000 Quadratmeter umfasst das Grundstück. In dem neuen Gebäude werden 32 Wohnungen entstehen. Das Objekt wird laut Bauherr ein Gebäude der Effizienzhaus-EE55-Klasse – 55 Prozent der Wärme- und Kälteversorgung des Gebäudes stammen aus erneuerbaren Energien. Außerdem wird es Fahrstühle, Balkone und Terrassen geben. Im hinteren Teil des Grundstücks werden ein Parkplatz für 32 Autos und ein Spielplatz errichtet. „Ich denke, das ist der richtige Weg“, sagt Vollstedt.
Andreas Schmidt soll eigentlich an diesem Wochenende ausziehen. Ersatz, den er sich auch leisten kann, hat er allerdings nicht gefunden, obwohl er seit Erhalt der Kündigung im Oktober täglich ein bis zwei Stunden im Internet gesucht habe. Mit Hilfe seiner Anwältin hat er deshalb der Kündigung widersprochen; er wird vorerst weiterhin in der Wohnung bleiben und pünktlich seine Miete zahlen. Eine Räumungsklage fürchtet der Elmshorner nicht. Er hofft vielmehr, dass sich durch Preissprünge und Engpässe in Folge des Ukraine-Krieges der Abriss verzögern wird. „Vielleicht lässt der Vermieter das Ganze noch zwei bis drei Jahren so weiterlaufen. Unsere Mieteinnahmen hätte er ja weiterhin.“ Und wer weiß, so Schmidt: Vielleicht finden die Mieter in dieser Zeit alle eine günstige Ersatzwohnung.