Kreis Pinneberg. Erstmals seit Gründung der BRD dürfen Menschen im Kreis Pinneberg nicht mehr raus. Beobachtungen in Pinneberg und Elmshorn.
Die Uhr zeigt 0.30 Uhr, es ist Donnerstagmorgen, die Pinneberger Fußgängerzone ist menschenleer. Das gelbe Licht der Straßenlaternen scheint auf die Pflastersteine. Ab und zu ist in der Ferne ein Auto zu hören – sonst nichts. Vom Himmel fallen ein paar Tropfen, es beginnt zu regnen. Und hört wieder auf. Die Welt steht schon seit zweieinhalb Stunden still in dieser Aprilnacht. Die erste Ausgangssperre im Kreis Pinneberg seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland hat begonnen. Seit 22 Uhr waren nur noch Spaziergänge und Joggen ohne Begleitung erlaubt, seit Mitternacht gar nichts mehr.
Die Stadt wirkt wie ausgestorben. Selbst am Pinneberger Bahnhof, wo sonst Taxis warten, steht nur ein einsamer Polizist mit seinem Streifenwagen. Ein zweites Polizeiauto biegt in den Fahlt ein, die Beamten wollen die Wege kontrollieren, ein Suchscheinwerfer taucht die Sitzbänke im Wald in grelles Licht. Die Polizisten sind die Einzigen, die in dieser Nacht präsent sind.
So auch in Elmshorn: Auf dem Lidl-Parkplatz an der Hamburger Straße gibt es eine Verkehrskontrolle. „Wir winken die Leute auf den Parkplatz und gucken, ob sie einen Nachweis haben, dass sie unterwegs sein dürfen“, sagt Kai Hädicke-Schories, Pressesprecher der Polizeidirektion Bad Segeberg. Sie setzten jedoch auf den Dialog mit den Menschen, da es die erste Nacht sei, in der die Regeln gelten – und da Autofahrten mit der richtigen Begründung ja noch erlaubt seien. „Es geht in erster Linie darum, zu informieren und aufzuklären, nicht darum, zu bestrafen“, so Hädicke-Schories, „Schließlich sind wir auch Menschen und können das verstehen.“
Kreisweit seien genauso viele Fahrzeugbesatzungen wie sonst auch unterwegs, das heiße zwei bis drei Wagen pro Revier. Davon gibt es fünf: in Elmshorn, Wedel, Pinneberg, Rellingen und für die Autobahn. Die Streifen kontrollierten nicht überall, sondern die Polizisten hielten eher vereinzelt Wagen an oder fragten Passanten nach der Begründung für ihren Aufenthalt außerhalb der eigenen vier Wände, sagt Hädicke-Schories.
25 bis 30 Autofahrerinnen und Autofahrer werden an diesem Abend auf den Lidl-Parkplatz gelotst, darunter viele mit Itzehoer Kennzeichen. Die meisten Fahrer haben eine Bescheinigung dabei, zum Beispiel vom Arbeitgeber. Alle anderen werden ermahnt. Am ersten Abend sei häufig noch nicht jede und jeder über die Regelungen informiert. „Fast alle zeigen sich einsichtig“, sagen die Polizeibeamten schließlich. Nur eine Frau habe sich aus dem Staub gemacht, als sie anhalten sollte.
Auch Jens Habeck ist im Auto unterwegs. Sein Wagen rollt auf den Parkplatz, er lässt die Fensterscheibe herunter. Der Elmshorner hat eine Bescheinigung: „Pendler“ steht auf dem Dokument. „Ich arbeite in Hamburg-Hausbruch und komme von der Arbeit“, erklärt der Autofahrer den Beamten. Er wird durchgewinkt, darf weiterfahren. So wie alle an diesem Abend.
Dann geht es weiter: Über die einsame Hamburger Straße fahren die Streifenwagen in Richtung Elmshorner Innenstadt. „Fußgängerzonen und Bahnhöfe sind häufig die Hotspots, an denen Personen sich versammeln“, sagt Hauptkommissar und Einsatzleiter Gökhan Vatan. Aber auch hier: Fehlanzeige. Der Elmshorner Bahnhof ist menschenleer, nur drei Taxis stehen am Straßenrand und warten aussichtslos auf Gäste.
Männer an der Bushaltestelle verstehen kein Deutsch
Am Holstenplatz fahren ein paar Autos vorbei. In der obersten Etage eines Backsteinhauses sitzen zwei Frauen mit Decken auf ihrem Balkon, sie halten Getränke in der Hand und unterhalten sich leise. Eine kleine Szene der Normalität.
Unten stehen vier junge Männer an einer Bushaltestelle. Im Gespräch stellt sich heraus, dass sie nicht gut Deutsch sprechen. Polizist Gökhan Vatan erklärt ihnen die neuen Regeln auf Englisch. „Das ist leider häufig ein Problem“, so Pressesprecher Kai Hädicke-Schories, „wenn die Menschen die Corona-Maßnahmen nicht genau verstehen, können sie sie natürlich auch nicht befolgen.“
Die Gruppe zeigt schnell Verständnis und steigt in einen Bus. Auch die wenigen anderen, die angesprochen werden, reagieren geduldig, viele haben eine Bescheinigung von ihrem Arbeitgeber.
Die Polizeibeamtin Ayla Flemig und ihre beiden Kollegen steuern noch einmal die Fußgängerzone an. Die Atmosphäre ist seltsam in der hell beleuchteten und doch leeren Einkaufsstraße, nur die Schritte der Polizei hallen. Ihre Körper werfen lange Schatten auf das Pflaster. Ein eindringliches Bild. Über ihren Köpfen flattert eine Herzchen-Girlande im Wind. Wie ein Zitat aus einer anderen Zeit. Auch hier lässt sich niemand blicken, den die Polizistin und ihre Kollegen kontrollieren müssten.
Die Einsicht der Bürgerinnen und Bürger spiegelt sich in der Polizei-Bilanz des folgenden Tages wider: „Es war eine ruhige Nacht, wir haben im gesamten Kreis keine Anzeigen schreiben müssen“, sagt Hädicke-Schories am Donnerstag. Auch verständnislos verhalten habe sich niemand, alles sei gut verlaufen.
Die Ausgangssperre im Kreis Pinneberg gilt derzeit im Rahmen der Corona-Notbremse. Diese greift, wenn der Inzidenzwert drei Tage in Folge über dem Wert von 100 gelegen hat. Die Notbremse wird erst wieder außer Kraft gesetzt, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz am fünften Werktag in Folge unter der Marke von 100 liegt. Am übernächsten Tag werden die Regelungen dann aufgehoben.
Wann das im Kreis Pinneberg der Fall sein wird, ist noch unklar, zurzeit liegt die Inzidenz wieder unter 100. Bis dahin bleibt es nachts still in der Pinneberger Fußgängerzone – noch stiller als sonst. Das Kreiskulturzentrum Drostei strahlt erwartungsvoll in die einsame Nacht.