Norderstedt. Ina und Sven Berghaus sind Eltern eines Sternenkindes. Mit einer neu gegründeten Gruppe wollen sie andere Betroffene unterstützen.

Ein Kind zu verlieren – es ist für Eltern die wohl schlimmste Erfahrung, die sich vorstellen lässt. Ina und Sven Berghaus haben diese Erfahrung machen müssen. Ihr Sohn Dean Pascal starb am 21. Dezember 2018, drei Tage vor Weihnachten, nur wenige Stunden, nachdem er auf die Welt gekommen war.

Sternenkinder werden solche Kinder genannt, die sehr kurz vor oder nach ihrer Geburt versterben – weil sie den Himmel erreichen, bevor sie die Erde kennenlernen konnten. Um anderen Betroffenen zu helfen, haben Ina und Sven Berghaus jetzt am Mütterzentrum Norderstedt eine neue Gruppe für Eltern von Sternenkindern ins Leben gerufen. Denn sie sagen, mit dem Abstand von sechs Jahren: „Was vor allem hilft, ist reden. Und das Gefühl, nicht allein zu sein.“

Ihr Sohn starb am Tag der Geburt – Heute helfen sie anderen

An den Tag, an dem es passierte, erinnert sich Ina Berghaus noch ganz genau. „Schnee lag nicht, es war windig und regnerisch.“ Sie und ihr Ehemann, damals beide 30, beide als Rettungssanitäter tätig, freuten sich auf das Kind. Die Schwangerschaft war normal verlaufen, der Gynäkologe hatte im Ultraschall keine Auffälligkeiten entdecken können.

Und dann setzten an diesem 21. Dezember, gegen 6 Uhr morgens und etwa drei Wochen zu früh, die Wehen ein. Das Paar fuhr aus der Norderstedter Wohnung ins Parcacelsus-Klinikum Henstedt-Ulzburg. „Dort zeigte dann der Wehenschreiber schwache Herztöne an“, sagt Sven Berghaus.

Notkaiserschnitt – und plötzlich war der Raum voller Ärzte

Dann ging alles ganz schnell. „Der Raum war plötzlich voller Ärzte“, erzählt Berghaus. Es wurde ein Notkaiserschnitt durchgeführt. Und dann – das erfuhren die beiden erst später – versuchten die Ärzte fast eine halbe Stunde lang, das Baby wiederzubeleben. Das gelang auch, aber das Kind musste sofort nach Hamburg ins UKE verlegt werden, wo es – anders als in der Paracelsus-Klinik – eine Kinderintensivstation gab.

Berghaus wusste zu dem Zeitpunkt schon, dass er mit sehr schlechten Nachrichten rechnen musste. Zum Gespräch mit den Medizinern holte er einen Freund dazu, der als Notfall-Seelsorger arbeitet.

Am Abend steht fest: Der kleine Dean Pascal hatte schwerste organische Schädigungen, würde vielleicht nur noch einige Tage leben. In jedem Fall aber wäre er für den Rest seines Lebens an Maschinen gefesselt. Nachts gegen 22 Uhr trifft das Ehepaar eine Entscheidung: „Wir wollten ihm das ersparen und haben die Maschinen abgestellt.“ Der Junge stirbt in den Armen seiner Mutter, zuvor hatte ihn eine Krankenhaus-Seelsorgerin noch getauft. Und dann erzählen die beiden ihren Eltern, was passiert ist.

Dean Pascal hatte in der Schwangerschaft zu wenig Sauerstoff bekommen

Dean Pascal hatte, das werden erst spätere Untersuchungen ergeben, schon während der Schwangerschaft zu wenig Sauerstoff bekommen. „Sein Körper war nicht ausreichend entwickelt, obwohl auf den Ultraschallbildern alles normal ausgesehen hatte“, sagt Ina Berghaus. Sie hätte, wie sie heute weiß, während der Schwangerschaft blutverdünnende Medikamente bekommen müssen. Zu der Frage, ob das Problem nicht früher hätte auffallen müssen, sagt Sven Berghaus: „So etwas wird normalerweise nicht getestet.“ Vorwürfe machen sie niemandem.

Über die Tage danach erzählt Ina Berghaus: „Wir haben trotzdem Weihnachten gefeiert, aber sehr zurückgezogen.“ Dann müssen sich die beiden um eine Beerdigung kümmern, mit Fragen wie „Körbchen ja oder nein, Einäscherung ja oder nein“ beschäftigen. Sie entscheiden sich für die Einäscherung, Dean Pascal bekommt ein Grab in Nordfriesland, der Heimat von Ina Berghaus, „auf dem Hof der Kirche, in der ich getauft bin und in der wir geheiratet haben“.

Kontakte zu anderen betroffenen Eltern halfen dem Paar

Und dann muss das Paar ins Alltagsleben zurückfinden. Was hilft in so einer Zeit? „Definitiv Gespräche“, sagt Sven Berghaus. Ina Berghaus findet einen Rückbildungskurs in einer Hebammenpraxis, speziell für Mütter, die auch so etwas erlebt haben. „Es hat mir sehr geholfen zu wissen, dass ich nicht allein war. Und es sind auch Freundschaften entstanden, die wir bis heute pflegen“, sagt sie.

Sven Berghaus lernt Väter aus dieser Gruppe kennen, ihm helfen auch Gespräche mit einem Kollegen, der ebenfalls ein Kind verloren hat. Und er schreibt sich die Trauer von der Seele, in einem Blog. Nicht zuletzt ist da „Fiete“, der Austrian Sheperd der beiden. „So ein Hund ist tatsächlich ein echter Seelentröster“, sagt Ina Berghaus.

Negative Erfahrungen: „Sprüche, die ich nicht wiederholen möchte“

Beide stützen sich in den folgenden Monaten gegenseitig, auch andere Menschen geben ihnen Halt – besonders jene, die selbst Ähnliches erlebt haben. Aber sie machen auch andere Erfahrungen: „Im Kollegenkreis gab es Unverständnis. Da gab es Sprüche, die ich nicht wiederholen möchte“, sagt Sven Berghaus.

Ina Berghaus sagt: „Viele möchten gar nicht hören, was man erlebt hat. Und manche Frauen, die es sich doch anhören, erzählen dann, sie hätten ja auch eine Fehlgeburt gehabt. Aber das ist einfach nicht dasselbe. Ich habe meinen Sohn in den Händen gehalten, als er gestorben ist.“

Beide haben es Gefühl, es gebe so etwas wie ein gesellschaftliches Tabu, über dieses Thema zu sprechen. „Eltern von Sternenkindern nennen sich auch unsichtbare Eltern“, sagt Sven Berghaus. Der Begriff bringt es für ihn auf den Punkt: „Man kann nicht von seinem Kind erzählen. Man sieht nicht, dass man Mama oder Papa ist. Man hat das Gefühl, man hat es nicht geschafft.“

Elterntreff soll drei- bis viermal im Jahr stattfinden, eine Trauerbegleiterin ist dabei

Sven Berghaus Norderstedt
Kuscheltiere und Laternen: So gestaltete Sven Berghaus den Tisch beim ersten Elterntreffen im Mütterzentrum. © privat | Privat

Das Paar wünscht sich, dass die Gesellschaft offener mit dem Thema umgeht. „Es wäre besser, wenn man normal darüber sprechen könnte.“ Der neue Elterntreff am Mütterzentrum, den es seit September gibt, kann vielleicht ein wenig dazu beitragen, hoffen sie.

Warum er ihn erst jetzt ins Leben rief, begründet Sven Berghaus so: „Ich brauchte Zeit, um das für mich zu verarbeiten.“ Aber schon 2019 hätten die beiden festgestellt, dass es kaum solche Treffs gebe. Und falls doch, seien sie oft kostenpflichtig. Das ist bei dem von ihm gegründeten Treff nicht so. Sven Berghaus: „Eltern von Sternenkindern haben gerade erst Babykleidung angeschafft, vielleicht ein Kinderzimmer eingerichtet. Und dann mussten sie eine Beerdigung bezahlen. Die haben kein Geld.“

Bei jedem Treffen ist eine Trauerbegleiterin der Emmaus-Kirchengemeinde dabei

Bisher gab es zwei Treffen, das nächste soll im Januar stattfinden. Angedacht sind drei bis vier Treffen pro Jahr, „aber das können wir natürlich anpassen, wenn sich die Eltern öfter treffen möchten“, sagt Ina Berghaus.

Bei jedem Treffen ist eine Trauerbegleiterin der Emmaus-Kirchengemeinde dabei, geplant ist auch ein spezieller Gedenk-Gottesdienst. Weitere Ideen von Sven Berghaus sind, dass die Eltern Laternen für ihre Kinder basteln, oder Fotos von ihnen mitbringen, zur Gestaltung einer Wand im Mütterzentrum. Aber er sagt auch: „Niemand muss irgendetwas mitbringen, jeder macht das, wie er möchte.“

Später bekam das Paar noch eine Tochter und einen Sohn

Eineinhalb Jahre nach Dean Pascals Tod bekamen Ina und Sven Berghaus eine gesunde Tochter. Drei Jahre später wurde noch ein Sohn geboren, auch er ist gesund. Doch Dean Pascal bleibt in den Herzen seiner Eltern, ist Teil der Familie. „Bei uns zu Hause stehen Fotos von drei Kindern im Regal“, erzählt Ina Berghaus. Auf die Frage, ob Zeit auch Wunden wie diese heile, sagt sie: „Heilen nicht. Es fehlt immer jemand. Aber es ist nicht mehr so präsent mit der Zeit.“ Sven Berghaus sagt: „Da ist immer eine Narbe.“

Was bedeutet der Begriff „Sternenkind“ für Ina und Sven Berghaus? Glauben sie an ein Leben nach dem Tod? „Wir sind zwar Mitglieder der Kirche, aber besonders gläubig sind wir eigentlich nicht“, sagt Ina Berghaus. Sven Berghaus stimmt zu, sagt aber auch: „Dass er irgendwo auf uns aufpasst, das glaube ich schon.“ Und dann schildert er eine Szene, die sich vor etwa einem Jahr zutrug: „Unsere Tochter stand in einer Raumecke, sprach irgendetwas vor sich hin. Und dann guckte sie nach oben und winkte.“

Vielleicht, so Berghaus, sei es einfach das normale Spiel eines Kindes gewesen. „Aber vielleicht ist er da ja wirklich gerade dagewesen.“

Der nächste „Sternenkinder-Elterntreff“ am Mütterzentrum Norderstedt, Kielortring 51, ist für den 17. Januar geplant. Das Mütterzentrum ist telefonisch unter 040/5273250 erreichbar, Sven Berghaus ist unter der Handynummer 0176 24 56 87 62 (SMS oder WhatsApp) für die Eltern von Sternenkindern erreichbar.

Jedes Jahr wird am zweiten Adventssonntag der internationale Gedenktag für verstorbene Kinder (Worldwide Candle Lighting Day) begangen. Auf dem Friedhof Harksheide in Norderstedt gibt es deshalb am Sonntag, 8. Dezember, eine besondere Gedenkveranstaltung. Sie beginnt um 14 Uhr in der Kapelle.

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