Kreis Segeberg. Wohnungsmarkt-Analyse: Um steigenden Bedarf im Kreis Segeberg bis 2028 zu befriedigen, müssten 1870 Wohnungen gebaut werden – pro Jahr.

Eine Wohnung mieten in Norderstedt oder in den Gemeinden entlang der Autobahn 7 im Kreis Segeberg? Kein leichtes Unterfangen, zumal wenn die neue Bleibe für den kleineren Geldbeutel bezahlbar sein soll. Verschärft wird die Lage auf dem Wohnungsmarkt in Norderstedt und dem Kreis Segeberg durch eine Flaute auf dem Bau.

Laut einer Analyse des Pestel-Instituts in Hannover, hat sich die Bereitschaft von Bauherren, im Kreis Segeberg Wohnraum zu schaffen, dramatisch verschlechtert. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres hat es nach Angaben des Pestel-Instituts im ganzen Kreis Segeberg lediglich für 286 neue Wohnungen eine Baugenehmigung gegeben. 2023 waren es im gleichen Zeitraum immerhin noch 636 Baugenehmigungen. „Damit ist die Bereitschaft, im Kreis Segeberg neuen Wohnraum zu schaffen, innerhalb von nur einem Jahr um 55 Prozent zurückgegangen“, sagt Matthias Günther, Leiter des Pestel-Instituts.

Wohnung mieten: 2980 Wohnungen fehlen

Das Pestel-Institut hat die Regional-Analyse zum Wohnungsmarkt im Auftrag des Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB) durchgeführt. Die Zahlen der Analyse sollen unterstreichen, wie dringend Neubauten im Kreis Segeberg benötigt werden. Laut Pestel würden jetzt schon etwa 2980 Wohnungen im Kreis fehlen, um dem Bedarf einigermaßen gerecht zu werden.

Um dieses Defizit abzubauen, müssten bis 2028 im Kreis Segeberg etwa 1870 Wohnungen neu gebaut werden – und zwar pro Jahr. „Der Neubau ist notwendig, um das bestehende Defizit abzubauen: Aber auch, um abgewohnte Wohnungen in alten Häusern nach und nach zu ersetzen. Hier geht es insbesondere um Nachkriegsbauten, bei denen sich eine Sanierung nicht mehr lohnt“, sagt Matthias Günther. Doch statt einem Mehr an Neubauten, rechnet der Wissenschaftler eher mit einem weiteren Rückgang der Bautätigkeit. „Wir haben einen lahmenden Wohnungsneubau, dem mehr und mehr die Luft ausgeht“, sagt Günther.

Paradox: Über 3000 Wohnungen stehen leer

Wenn man sich die Zahlen genauer anschaut, zeigt sich, dass im Kreis Segeberg paradoxerweise mehr Wohnungen leer stehen, als aktuell gebraucht werden. Gerade wurden beim Zensus die Zahlen für den Wohnungsbedarf im Kreis Segeberg aktualisiert. Danach stehen derzeit im Kreis 3140 Wohnungen ungenutzt leer. Immerhin 2,3 Prozent vom gesamten Wohnungsbestand im Kreis. Kann man den Leerstand also einfach mit dem Bedarf verrechnen?

Bundesbauministerin Klara Geywitz spricht bundesweit von knapp zwei Millionen leer stehenden Wohnungen im Umland von Metropolen, in kleinen Städten und auf dem Land. Deswegen möchte sie sogar noch mehr Menschen aus den umkämpften Wohnungsmärkten, etwa in Hamburg, aufs Land schicken. „Gerade in kleinen und mittelgroßen Städten ist das Potenzial groß, weil es dort auch Kitas, Schulen, Einkaufsmöglichkeiten und Ärzte gibt“, sagte die SPD-Politikerin gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung. Sie wolle bis November eine „Strategie gegen Leerstand“ vorlegen.

Eine Idee, die Katharina Metzger, Präsidentin des Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB) kritisiert: „Es ist eine Milchmädchenrechnung, die leerstehenden Wohnungen gegen den aktuellen Bedarf an Wohnungen gegenzurechnen. Das funktioniert so nicht. Politiker, die das gerade versuchen, betreiben Augenwischerei.“

Wohnungsleerstand: Sanierung nötig

Als Beispiel, warum das so sei, wird der Kreis Segeberg angeführt. 41 Prozent oder 1270 der leer stehenden Wohnungen seien schon seit einem Jahr oder länger unbewohnt. „Sie müssten vorher komplett – also aufwendig und damit teuer – saniert werden“, sagt Matthias Günther.

Und davor würden derzeit viele Hauseigentümer zurückschrecken, beobachtet das Pestel-Institut. „In ihren Augen ist eine Sanierung oft auch ein Wagnis. Sie sind verunsichert. Sie wissen nicht, welche Vorschriften – zum Beispiel bei Klimaschutz-Auflagen – wann kommen. Es fehlt einfach die politische Verlässlichkeit. Ein Hin und Her wie beim Heizungsgesetz darf es nicht mehr geben“, sagt Günther. Außerdem hapere es bei vielen auch am nötigen Geld für eine Sanierung.

Leerstand sei auch oft dadurch begründet, dass es innerhalb von Erbengemeinschaften Streitigkeiten gebe, weswegen Mietverträge nicht zustande kämen. Und manche Hauseigentümer wollten sich keine Mieter ins eigene Haus holen, „mit dem sie sich am Ende vielleicht nicht verstehen“, sagt Matthias Günther. „Am Neubau von Wohnungen führt daher auch im Kreis Segeberg kein Weg vorbei.“

Wohnungsbau: „Standards senken!“

Wie Wohnungsbaugesellschaften und andere Akteure auf dem Wohnungsmarkt auch, fordert Katharina Metzger für den BDB eine Senkung der Standards auf dem Bau. „Einfacher bauen – und damit günstiger bauen. Das geht, ohne dass der Wohnkomfort darunter leidet. Andernfalls baut bald keiner mehr.“

Es müsse ein „starkes Abspecken“ bei Normen und Auflagen geben – im Bund, bei den Ländern und Kommunen. Katharina Metzger warnt: „Am Ende stoppen überzogene Förderkriterien, Normen und Auflagen den Neubau von Wohnungen – von hoch geschraubten Klimaschutzmaßnahmen, ohne die es keine Förderung gibt, bis zu Stellplätzen, ohne die erst gar nicht gebaut werden darf.“

Wohnung mieten: „Es braut sich was zusammen in der Gesellschaft“

Aktuell erlebe die Wohnungsbau-Branche „einen regelrechten Absturz“. Viele Unternehmen hätten bereits Kapazitäten abbauen müssen. „Die Neubau-Zahlen gehen in den Keller. Mauerstein-Hersteller zum Beispiel schließen Werke. Die Entlassungswelle rollt: Der Bau verliert Beschäftigte – darunter gute Fachkräfte. Dabei ist das das Letzte, was sich Deutschland jetzt erlauben darf“, so Katharina Metzger.

Die Verbandspräsidentin des Baustoff-Fachhandels warnt gemeinsam mit dem Pestel-Institut vor einer „Absturz-Spirale beim Wohnungsneubau“. Die Situation sei fatal: „Wohnungsnot trifft auf Nicht-Wohnungsbau. Diese toxische Entwicklung muss dringend gestoppt werden.“ Denn Wohnungsmangel schaffe soziale Spannungen. „Wenn sich Menschen wochen- und monatelang um eine neue Wohnung kümmern müssen, dann braut sich da etwas zusammen. Das ist Gift für das soziale Miteinander in der Gesellschaft“, so Katharina Metzger.