Bad Segeberg. Karl May ist tot, seine Idee lebt: Autoren schreiben die Geschichte von Winnetou und Co fort. Warum am Kalkberg nur das Original zählt.
96 Karl-May-Bücher hat der in Bamberg ansässige Karl-May-Verlag seit 1913 herausgegeben. Genug Stoff, um für die Karl-May-Spiele in Bad Segeberg Geschichten auf Jahrzehnte hinaus zu liefern. Aber regelmäßig tauchen neue Bücher auf: Karl-May-Stories, die nicht von ihm selbst, sondern von anderen Autoren geschrieben werden. Haben sie eine Chance, jemals in der Kalkberg-Arena gespielt zu werden? Was sagt der Karl-May-Verleger zu den Neuerscheinungen?
Arndt Meschnig gehört zu jenen, die die Begeisterung für Karl May nie losgelassen hat. Mehr noch: Sie hat ihn zu kreativen Taten angeregt. Er schreibt Romane, die die Abenteuerwelt von Karl May wieder aufnehmen. Unter seinem Pseudonym Lennardt M. Arndt hat der Verwaltungsangestellte aus Goch in Nordrhein-Westfalen bisher zwei Romane und eine kürzere Geschichte in einer Anthologie veröffentlicht. Und er plant weitere Bücher.
Neue Winnetou-Abenteuer haben in Bad Segeberg keine Chance
Der Impuls, selbst zu schreiben, sei für ihn die Neuverfilmung der Karl-May-Geschichten des Senders RTL gewesen, die 2016 erschienen ist. „Das war total enttäuschend für mich“, sagt Arndt Meschnig. „Da habe ich damals gedacht: Die historische Realität und Karl May kann man besser zusammenbringen.“ Zwei Jahre später begann er dann damit, sein Vorhaben umzusetzen. Und hat nach und nach zwei Old-Surehand-Romane geschrieben, die zeitlich vor denen des berühmten Originals liegen.
Einen Verlag hat der Autor für seine Bücher nicht gefunden. „An den Ufern des Nebraska – Die Surehand-Story, Band I“ und „Die Buschklepper – Die Surehand-Story, Band II“ sind im Eigenverlag erschienen, werden aber gleichwohl über große Buchhandlungen verkauft. Bernhard Schmid, der Geschäftsführer der Bamberger Karl-May-Verlags, GmbH kann sich erinnern, dass Manuskripte beider Bücher einst auf seinem Schreibtisch lagen. Sie fanden bei ihm und seinem Lektorat aber keinen Anklang.
Der Karl-May-Verlag ist an neuen Geschichten interessiert
„Die genauen Gründe der Ablehnung weiß ich heute nicht mehr“, sagt der Verleger. „Aber im Grunde sind wir schon an neuen Manuskripten interessiert.“ Auch Arndt Meschnig kann es mit einem neuen Buch beim Verlag versuchen. Denn immerhin ist Im Karl-May-Verlag die von ihm geschriebene Geschichte „Spuren am James-River“ in der Anthologie „Old Shatterhand – Neue Abenteuer“ im April dieses Jahres erschienen. Der 55-Jährige „Nachwuchsautor“ ist im Verlag inzwischen also durchaus bekannt.
Bernhard Schmid weiß aus langjähriger Erfahrung, dass es viele hartgesottene Karl-May-Leser gibt, die auch an neuen Büchern interessiert sind: „Es gibt einen Kundenkreis.“ Da gibt es zum Beispiel den Hamburger Autor Reinhard Marheinecke, der sage und schreibe 39 neue Winnetou-Bücher geschrieben hat, die alle im Bamberger Karl-May-Verlag erschienen sind. Auflagenzahlen in astronomischen Höhen sind nach den Erfahrungen des Verlegers bei neuen Büchern nicht zu erwarten.
„Winnetou I“ und „Der Schatz im Silbersee“ sind die Allzeit-Bestseller
„Wir leiden am Buchhandel“, sagt Bernhard Schmid. „In kaum einem Geschäft sind Karl-May-Bücher tatsächlich direkt zu bekommen. Und wenn ein Buch nicht im Laden liegt, wird es auch nicht gekauft.“ Dabei gibt es einige Bücher aus dem Karl-May-Verlag, die seit Jahrzehnten Bestseller sind und immer wieder neu aufgelegt werden. „Winnetou I“ gehört zum Beispiel dazu: 130 Jahre alt und immer noch gerne gelesen. Auch „Der Schatz im Silbersee“ ist so ein Longseller. Wer aber kauft heute noch Bücher von Karl May, wenn die Hardcore-Fans sie doch sowieso alle kennen? Bernhard Schmid weiß es: „Die werden gerne verschenkt.“
Er verweist darauf, dass Karl May immer noch der meistgelesene deutscher Schriftsteller ist. „Die Auflagen sind hoch genug, um unseren Verlag am Leben zu erhalten.“ Trotzdem ärgert er sich: „Viele Menschen haben Vorurteile gegenüber Karl May, obwohl sie nie ein Buch von ihm gelesen haben.“ Er empfiehlt allen, die in Bad Segeberg oder anderswo Karl-May-Aufführungen besuchen, tatsächlich mal ein Buch dieses Autors in die Hand zu nehmen und zu lesen.
Karl-May-Spiele: Autor Stamp wertet für Inszenierung mehrere Bücher aus
Michael Stamp, seit 25 Jahren Hausautor der Segeberger Karl-May-Spiele, weiß dass es immer wieder mehr oder weniger gelungene Versuche gab, neue Geschichten aus dem Wilden Westen zu erfinden und sie im Stile Karl Mays niederzuschreiben. „Aber wir bleiben lieber beim Original“, sagt er und verweist auf die Erfolgsgeschichte der Spiele am Kalkberg.: Die Zuschauerzahlen steigen kontinuierlich, und auch in diesem Jahr liegt wieder ein Rekord in der Luft. Über 430.000 Besucher waren es im vergangenen Jahr.
- Karl-May-Spiele: Kurios – Warum ein Fahrstuhl am Kalkberg eingebaut wurde
- Karl-May-Spiele: Ein echter Todesschuss ist nicht möglich
- Karl-May-Spiele: Warum die Ticketpreise für Winnetou II so wichtig sind
Michael Stamp wertet für seine Theaterstücke mehrere Karl-May-Bücher aus. In der aktuellen Inszenierung „Winnetou II – Ribanna und Old Firehand“ kommen zum Beispiel die Zwillinge Jim (Patrick L. Schmitz) und Tim Snuffle (Stephan A. Tölle) vor, die für den komödiantischen Aspekt der Story sorgen. Viele glauben, die beiden seien eine reine Erfindung des Segeberger Autors.
Karl-May-Spiele: Snuffle-Zwillinge sind Karl Mays Erfindung
Aber Karl May selbst hat sie erdacht: Sie erscheinen in den Büchern „Unter Geiern“ und „Weihnacht“. Es war also an der Zeit, diese beiden skurrilen Karl-May-Figuren zur Popularität zu verhelfen. Michael Stamp ahnt allerdings, dass die meisten Zuschauer keine Kenntnis von deren tatsächlicher Romanexistenz haben: „Es merkt wohl kaum jemand, dass es sich um Karl-May-Originale handelt.“
Das Buch „Weihnacht“ erlebte übrigens während der Corona-Zeit seine Segeberger Premiere – allerdings nicht unter diesem Titel, nicht am Fuße des Kalkbergs und auch ohne die Snuffle-Zwillinge. Weil 2021 wegen des Lockdowns kein großes Theater gespielt werden werden konnte, entschied sich die Kalkberg GmbH für ein Hörspiel im Indian Village neben dem Kalkberg-Theater. „Winnetou - Das Gold der Rocky Mountains“ war der Titel des von Michael Stamp nach dem Buch „Weihnacht“ verfassten Stückes. Die Hauptrolle als Old Shatterhand übernahm damals Joshy Peters, der gleichzeitig auch der Erzähler der Story war.