Bad Segeberg. Beim Umgang mit Waffen gibt es für Winnetou und Co. klare Regeln. Warum in der Kalkberg-Arena niemand verletzt werden kann.
Für die Filmbranche war es ein Schock: Am Set des Neo-Western „Rust“ in New Mexico hantierte Hollywood-Star Alec Baldwin im Oktober 2021 mit einer Waffe aus der Requisite, als sich plötzlich ein echter Schuss aus dem Lauf entlud. Die Kamerafrau Halyna Hutchins wurde getroffen und überlebte nicht. Regisseur Joel Souza wurde an der Schulter verletzt. Baldwin stand am Ende wegen fahrlässiger Tötung unter Anklage und wurde freigesprochen. Nicht hingegen die Waffenmeisterin der Produktion, Hannah Gutierrez-Reed.
Zur Inszenierung der Karl-May-Spiele in der Kalkbergarena von Bad Segeberg gehören wilde Schießereien zwischen Gut und Böse zum Alltag. Und auch hier tragen Waffenexperten die Verantwortung für die Sicherheit der potenziell gefährlichen Requisiten in Form von Kurz- und Langwaffen. Dass aber ein ähnliches Drama wie am Set von „Rust“ auch am Kalkberg möglich ist, das halten die Verantwortlichen der Karl-May-Spiele für ausgeschlossen. Ungefährlich ist das Hantieren mit Revolvern und Gewehren trotzdem nicht.
Wenn die albernen Snuffle-Zwillinge (Stephan A. Tölle und Patrick L. Schmitz) in der aktuellen Inszenierung von „Winnetou II“ aus kürzester Entfernung die Gewehre aufeinander richten, ist das ein Lacher für die Zuschauer. Was aber passiert, wenn einer von beiden tatsächlich im falschen Moment abdrückt? „Nichts“, versichert Horst Lipsius. Und der muss es wissen: Seit 2011 ist er Waffen- und Gerätewart bei den Karl-May-Spielen.
Karl-May-Spiele: Ein tödlicher Schuss ist nicht möglich
Ihm und seinem Kollegen Heinrich Morsdorf – beide betreuen die Vorstellungen abwechselnd – obliegt die Aufgabe, alle Westleute und Krieger auf der Bühne mit stilechten Schießeisen auszustatten. Horst Lipsius übernimmt als der Erfahrenere der beiden darüber hinaus den Kauf der Colts, Gewehre und Patronen, das Laden der Waffen, das Reinigen und das Erledigen kleiner Reparaturen in der Waffenkammer hinter der Bühne. 50 Schrotgewehre und rund 30 Revolver stehen und liegen dort in den Waffenschränken.
Geschossen wird während einer Vorstellung fast immer irgendwo. Ständig sind Gewehre und Revolver im Anschlag, weil der Kampf der Schurken gegen die Guten nun mal im Mittelpunkt einer jeden Inszenierung steht. Das heißt: Pro Vorstellung wird über 200-mal abgedrückt. Das sieht echt aus, ist es aber natürlich nicht.
15.000 Platzpatronen werden für eine Saison eingekauft
Benutzt werden Platzpatronen, die ständig vorrätig sein müssen. 5000 der 16-Millimeter-Platzpatronen für die Gewehre mit den langen Läufen und 10.000 der 9-Millimeter-Platzpatronen für die Revolver werden von Horst Lipsius für eine Saison eingekauft und in der Waffenkammer gelagert. Genug für alle Kämpfe, die am Fuße des Kalkbergs ausgetragen werden. Pro Aufführung werden die Langwaffen 60-mal abgefeuert, die Revolver 150-mal.
Wie erklärt sich Horst Lipsius den tödlichen Unfall am Set von „Rust“? Der Waffenmeister Lipsius hat da so eine Vermutung: Er glaubt, dass der Revolver vorher tatsächlich scharf geladen war, die Patronen für die Dreharbeiten aber entfernt wurden – bis auf eine, die dabei offenbar versehentlich vergessen wurde. Ob es tatsächlich so war, weiß er nicht. Der Waffenmeister weiß aber genau, dass ein solches Szenario bei den Karl-May-Spielen nicht möglich ist.
Vom Beschussamt geprüft: Echte Patronen passen nicht in die Karl-May-Gewehre
Scharfe Munition kommt auf der Bühne natürlich nicht zum Einsatz. Aus zwei Gründen: Einerseits gibt es gar keine scharfe Munition bei den Karl-May-Spielen, andererseits wurden die Schrotgewehre so umgebaut, dass echte Patronen nicht mehr hineinpassen. Diese Umrüstung wurde von einem Büchsenmacher erledigt und anschließend vom Beschussamt München geprüft. Erst danach gibt die Waffenbehörde des Kreises Segeberg jede einzelne Waffe frei für den Einsatz auf der Bühne. Die Schreckschussrevolver haben von vorherein keinen offenen Lauf, durch den eine Patrone abgefeuert werden könnte.
Trotzdem bleibt das Hantieren mit den Waffen auf der Freilichtbühne nicht ungefährlich. „Normalerweise kann nichts passieren“, sagt Horst Lipsius, der, genau wie sein Kollege Heinrich Morsdorf, Sportschütze ist. „Gefährlich kann es werden, wenn ein Gewehr oder ein Revolver in den Sand fällt und anschließend wieder benutzt wird.“ Gelangt Sand in den Lauf, wird dieser beim nächsten Schuss nach vorn herausgeschleudert. Der Waffenmeister warnt: „Dann kann es zu erheblichen Verletzungen kommen. Deshalb wird nicht mit einer Waffe geschossen, die in den Sand gefallen ist.“
Sand im Gewehrlauf kann für die Schauspieler gefährlich werden
Um das zu vermeiden, weisen er und sein Kollege alle Akteure auf der Bühne, von den Schauspiel-Profis bis zu den Komparsen, vor jeder Saison genau ein und machen sie mit den Waffen vertraut. „Fällt also eine Waffe in den Sand, muss sie sofort ausgetauscht werden“, sagt der Herr über die Waffen, der auch genau darauf achtet, dass auf oder hinter der Bühne sachgemäß mit den Gewehren und Revolvern umgegangen wird. Wer gegen die Vorschriften verstößt, bekommt die Rote Karte.
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Weil es für einen extrem peinlich ist, wenn die Waffe in einer spannenden Situation nicht funktioniert, achten die Waffenmeister genau auf die Funktionsfähigkeit der Waffen und halten sie im wahrsten Sinne des Wortes „in Schuss“. Horst Lipsius hat es seit Beginn seiner Tätigkeit am Kalkberg erst einmal erlebt, dass es im entscheidenden Moment nicht geknallt hat. Der Gastdarsteller wollte dem Waffenmeister die Schuld geben, aber der hatte beobachtet, dass der Darsteller auf der Bühne an dem Gewehr herumgespielt hatte.
Echte, allerdings unbrauchbar gemachte, Waffen gibt es auf der Karl-May-Bühne noch gar nicht so lange. Weil in den ersten Karl-May-Jahren in den 1950er-Jahren Schauspieler und Komparsen nicht mit Gewehren hantieren durften, wurden Holzgewehre eingesetzt. Das war teilweise auch noch so, als Horst Lipsius 2011 mit seiner Tätigkeit am Kalkberg begann. Inzwischen werden nur noch präparierte Echt-Waffen eingesetzt.