Norderstedt. Abschied nach einem Jahrzehnt Eintracht Norderstedt: Der Rekordtorjäger spricht über Höhen und Tiefen, Tore, Mitspieler, Trainer und mehr.
„Er ist ein einwandfreier Charakter und ein ganz toller Sportsmann. Ein ganz feiner Kerl. Er wird uns allen fehlen.“ Das sagt Olufemi Smith, Cheftrainer von Eintracht Norderstedt, über Jan Lüneburg. Die Adelung des mit 121 Pflichtspieltoren besten Torjägers der Vereinsgeschichte der Garstedter steht sinnbildlich für die hohe Wertschätzung, die Lüneburg als Spieler und Mensch im Verein erfährt.
Am vergangenen Sonnabend absolvierte der 32-Jährige in der Regionalliga Nord gegen den VfB Lübeck sein letztes Spiel für die Eintracht, er wird künftig nur noch unterklassig bei der SV Lieth aktiv sein, um mehr Zeit für seine Familie zu haben. Der Verein hat ihm zu Ehren einen Block im Stadion umbenannt – künftig heißt dieser „Lüne-Kurve“. Im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt erinnert sich Jan Lüneburg zum Abschied an die prägendsten Momente und Menschen in zehn Jahren bei seinem Herzensclub.
Eintracht Norderstedt – Jan Lüneburg im Interview: „Ich wollte mich nie verstellen“
Mein erstes Spiel: Ein 8:0 im Oddset-Pokal bei Duwo 08. In der Pause gab es von Präsident Reenald Koch eine deutliche Ansage auf dem Platz, warum wir denn nur 4:0 führen. Die Vorgabe war ein zweistelliger Sieg (lacht). Haben wir nicht geschafft.
Die Halbzeitansprachen von Reenald Koch: Sie sollten als Extramotivation dienen. Gab es häufiger mal. Sie sind natürlich sein Recht als Präsident. Oft haben sie geholfen. Wir waren immerhin fünfmal im Pokalendspiel (zwinkert). Die eine oder andere Rede hätte ich mir aber nicht unbedingt anhören müssen.
Mein erstes Tor: Das war ein Kopfballtor nach Vorlage von Björn Nadler im Heimspiel gegen den BV Cloppenburg. Ich kam früh für einen verletzten Mitspieler rein und sicherte mit zwei Treffern das 2:2. Das hat sich großartig angefühlt.
Mein schönstes Tor: Im Pokalfinale 2016 zum 2:1 in der Verlängerung gegen Altona 93 aus 25 Metern (nominiert zum Tor des Monats in der ARD-Sportschau; d. Red.). Vielleicht ist es auch deshalb mein schönstes, weil es das wichtigste meiner Karriere war. Zudem war es aus der Entfernung ja eher untypisch für mich.
Mein schönstes Spiel: Das 0:1 im DFB-Pokal gegen den VfL Wolfsburg 2017. Das war etwas ganz Besonderes, in dieser Atmosphäre so gut mitzuhalten.
Meine Verantwortung für das Gegentor im DFB-Pokalspiel gegen Wolfsburg: (grinst) Also, ich weise bis heute jede Schuld von mir, wenn Hamo (Hamajak Bojadgian, Anm. d. Red) mich damit aufzieht. Aber okay, ja, ich war bei der Ecke Camacho zugeteilt, doch irgendwie sprangen wir dann mit drei Mann ineinander. Hmmm, vielleicht habe ich doch so ein bisschen Verantwortung dafür, dass wir das Tor kassiert haben.
Meine bitterste Niederlage: Das 1:2 im Hamburger Pokalfinale 2019 gegen Dassendorf. Ich hatte mich eine Woche zuvor bei unserem wichtigen 3:1 zum Klassenerhalt in Egestorf am Oberschenkel verletzt. Ich kam rein, konnte aber leider nicht mehr entscheidend helfen.
Mein Ruf als Kopfballungeheuer: Habe ich mir hart erarbeitet. Schon mein damaliger U-19-Trainer Joachim Philipkowski lobte mein Kopfballspiel. Ich habe immer versucht, am Kopfballpendel selbst aus den unmöglichsten Winkel Richtung Tor zu köpfen. Mein Vater wollte mir übrigens auch die Beidfüßigkeit beibringen. Das hat nicht so geklappt.
Mein Rekord mit 121 Pflichtspieltoren: Er bedeutet mir sehr viel. Es ist einfach nicht alltäglich, zehn Jahre bei einem Regionalligisten zu spielen und so oft zu treffen. Mit Oliver Hirschlein habe ich ja auch einen wirklich nicht schlechten Spieler von Rang eins verdrängt. Ich bin stolz darauf, auf diese Weise in die Geschichtsbücher des Vereins eingegangen zu sein.
Mein bester Mitspieler: Oje, jetzt kann ich nur falsch antworten. Aber rein von der Qualität: Deran Toksöz. Er war für die Regionalliga einfach ein weit überdurchschnittlich guter Fußballer.
Mein lustigster Mitspieler: Ich habe viele lustige Charaktere kennengelernt. Aber Hamo ist schon ein besonders witziges Kerlchen.
Meine lustigen Sprüche in den Medien: Ich wollte mich nie verstellen. Ich habe Humor und kann auch über mich selbst lachen. Und wir betreiben zwar viel Aufwand auf hohem Niveau – aber wir sind eben keine Profis. Also fand ich, man müsse nicht alles so bierernst nehmen und ständig irgendwelche Phrasen raushauen, wie es die Profis teilweise tun müssen. Ich habe mir aber nie bewusst extra die Sprüche überlegt oder mich gar damit in den Vordergrund drängen wollen. Das kam einfach spontan, wenn ich gefragt wurde. Und ich habe auch oft ernsthaft geantwortet.
Meine Kritik am FC Teutonia 05 für seine Nichteinhaltung der Corona-Vorschriften im Pokalspiel im Jahr 2020: Ich stehe bis heute dazu. Es gab halt Abstandsvorschriften, die damals galten. Die wurden nicht eingehalten. In unserer Kabine war es viel zu eng.
Flensburg war der härteste Kontrahent – gegen den HSV traf er regelmäßig
Mein Lieblingsgegner: Der HSV II. Gegen dieses Team habe ich 16 Tore oder so geschossen. Deren Zeugwart Manfred Zielsdorf kam vor jedem Spiel zu mir und meinte „Du spielst ja schon wieder!“ In solchen Derbys war ich immer besonders motiviert.
Mein schwerster Gegner: Weiche Flensburg. Da haben wir in zehn Jahren nie etwas geholt und die Verteidiger waren extrem robust.
Mein bester Trainer: Wird der Artikel erst nach dem Lübeck-Spiel veröffentlicht? Okay! (lächelt) Alle Trainer waren wichtig für mich. Über keinen kann ich schlecht reden. Aber besonders geprägt hat mich Jens Martens. Schon als er mich aus der U19 von St. Pauli zu Henstedt-Ulzburg holte. Er legte sehr viel Wert auf die Umgangsformen im Team. Für mich ist Jens Martens ein Paradebeispiel in Sachen Menschenführung.
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Mein Bäuchlein am Anfang der Vorbereitungen: (lacht) Es gibt halt Menschen, die brauchen den Kuchen nur angucken, dann werden sie dicker. Das ist genetisch bedingt. Gut, ich räume ein: Ich war nicht zu Beginn jeder Vorbereitung formtechnisch bei 110 Prozent.
Mein Status als Publikumsliebling: Dafür bin ich sehr dankbar. Ich bin ja kein Profispieler, der immer gewinnt. Mit dem können sich viele ja leicht identifizieren. Ich habe viel Leidenschaft, Emotion und Energie in meine Zeit bei der Eintracht gesteckt. Es war mir zudem wichtig, fair und sportlich aufzutreten. Wenn die Leute das sehen, ist das wunderschön für mich.
Jan Lüneburg: „Zeitliche Fremdbestimmung werde ich nicht vermissen“
Meinen Verzicht auf ein Abschiedsspiel: Es ist nicht ganz so mein Ding, so groß im Fokus zu stehen. Ich bin nicht der Typ für Spektakel und Feuerwerk um meine Person. Daher habe ich darauf verzichtet.
Was ich besonders vermissen werde: Das Umfeld, die vielen tollen Leute. Angefangen von unserer guten Seele, Zeugwart Said Parniani, über Platzwart Oliver Schaper, meine vielen tollen Mitspieler. Viele sind Freunde geworden, zu denen ich den Kontakt auf jeden Fall halten werde.
Was ich auf keinen Fall vermissen werde: Den großen Aufwand und die zeitliche Fremdbestimmung.
Eintracht Norderstedt wünsche ich: Dass sie genau so weitermachen. Der Verein hat eine riesige Bedeutung für mich. Ich habe hier so viele Erfahrungen gemacht, so viele Emotionen erleben dürfen. Ich wünsche der Eintracht, dass sie ein stabiler Regionalligist bleibt und so oft wie möglich den Hamburger Pokal nach Hause holt.