Kreis Segeberg. Das Gesetz zur einrichtungsbezogenen Corona-Impfpflicht ist in Kraft. Die Auswirkungen auf das Gesundheitssystem bleiben unklar.
Während die Debatte über eine allgemeine Corona-Impfpflicht für die erwachsene Bevölkerung noch läuft, tritt mit dem heutigen Mittwoch ein vorerst bis Ende 2022 befristetes Gesetz in Kraft, das viele Menschen in Deutschland betrifft: Wer im Gesundheitswesen tätig ist, muss nachweisen, dass sie oder er gegen Covid-19 geimpft ist. Ausnahmen gibt es nur im Falle einer Genesung oder einer ärztlich attestierten Impf-Unverträglichkeit. Wer einen neuen Job antreten möchte, muss sogar zwingend geimpft sein.
Ungeimpften Pflegekräften droht unbezahlte Freistellung
Die Auswirkungen werden im Kreis Segeberg zu spüren sein. Nur in welchem Maße, ist unklar. Denn noch ist nicht abschätzbar, wie viele ungeimpfte Menschen ihren Beruf aufgeben müssen. „Es gibt die große Gefahr, dass Menschen aus dem Beruf ausscheiden, dann die Belastung größer wird – und noch mehr Menschen ihren Beruf verlassen“, sagt Gunnar Löwe, Leiter des Altenheims Scheel in Norderstedt. Er ist auch stellvertretender Landesvorsitzender des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (BPA). Wie in Deutschland mit der Impfpflicht umgegangen wird, macht ihn sauer. „Was ich ungerecht finde, ist, dass die Impfpflicht für Beschäftigte im Gesundheitswesen ausgesprochen worden ist unter dem Eindruck der Delta-Variante – und es sollte der erste Schritt sein zu einer allgemeinen Impfpflicht.“
Jetzt sei diese in weite Ferne gerückt, es werde eher über Lockerungen diskutiert. „Für die Pflegekräfte ist das stigmatisierend. Und es hat wirtschaftliche Konsequenzen.“ Wer nicht geimpft ist, erhält auch keinen Lohn. Und wer kündigt, könnte vom Jobcenter bis zu sechs Wochen gesperrt werden – dann bliebe nur die Grundsicherung. Als Arbeitgeber selbst könne er einer Person nicht so einfach kündigen, so Löwe, schließlich sei die Impfpflicht nach jetzigem Stand befristet. Theoretisch könnte eine Pflegekraft also monatelang unbezahlt freigestellt sein, im Januar 2023 aber wieder zurückkehren.
Die Agentur für Arbeit in Elmshorn, die auch für Segeberg zuständig ist, beobachtet aber bereits eine Zunahme bei den Menschen, die sich arbeitssuchend melden. „In den letzten drei Monaten hatten wir im Kreis 256 Meldungen im Gesundheits- und Sozialwesen. Zwölf Monate vorher waren es 181. Das ist auffällig, denn eigentlich werden Fachkräfte gesucht. Es weist darauf hin, mit welcher Dimension wir es vielleicht zu tun haben“, so Sprecher Gerold Melson.
Grundsätzlich gilt: Auch ungeimpfte Personen, die ihren Job verlieren, haben einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I, also auf 60 Prozent ihres letzten Nettolohns. Wer mangels Schutzimpfung seinen Beruf verlässt, hat die gleichen Pflichten wie jede andere Person, die arbeitslos gemeldet ist. Melson: „Wenn ich nicht in der Pflege arbeiten kann, muss ich für andere Tätigkeiten zur Verfügung stehen. Man muss vermittelbar sein. Das ist für das Arbeitslosengeld ausschlaggebend.“
So schnell wird es aber nicht gehen. Fehlt der Immunitätsnachweis, beginnen individuelle Verfahren. Denn der Arbeitgeber muss den Fall selbst melden – hierfür gibt es nicht nur beim Kreis entsprechende Formulare, sondern seit heute auch ein Portal der Landesregierung, das bis 30. März offen ist. In der Regel wird eine Person dann von der Behörde zum Vorlegen des Nachweises binnen vier Wochen aufgefordert – mit dem Hinweis eines möglichen Ordnungswidrigkeitsverfahrens inklusive Geldbuße von bis zu 2500 Euro. Wird die Echtheit eines Attestes angezweifelt, könnte sogar eine ärztliche Untersuchung angeordnet werden. Zur Prüfung gehören auch Anhörungen.
Die Behörden sollen Ermessensspielraum nutzen
Im nächsten Schritt kann ein Gesundheitsamt die Tätigkeit und auch das Betreten einer Einrichtung verbieten. Aber auch hier gibt es eine Reihe von Faktoren, die berücksichtigt werden müssen: Ist bereits ein Impftermin vereinbart? Ist die Versorgungssicherheit etwa in einem Pflegeheim gefährdet? Sind verschärfte Schutzmaßnahmen im Umgang mit einer ungeimpften Arbeitskraft umgesetzt? Und: Könnte eine Person vorerst in einem Bereich ohne Patientenkontakt eingesetzt werden?
Im Zweifelsfall könnten die Verfahren Monate dauern. „Ich hoffe sehr, dass die Ämter beim Aussprechen von Betretungsverboten die pflegerische Versorgung im Blick behalten“, sagt Gunnar Löwe. Beim Kreis Segeberg gehe er „fest davon aus, dass das Gesundheitsamt mit Augenmaß handeln wird“.
Bei der Verwaltung rechnet man mit „Fallzahlen im niedrigen vierstelligen Bereich“, so Sprecherin Sabrina Müller. Jede Person werde als Einzelfall betrachtet, auch wenn es einheitliche Kriterien geben wird. „Die Bearbeitungsdauer wird von der Meldequalität und der Kooperationsbereitschaft der jeweiligen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abhängen. Dazu können wir bisher keine Auskunft geben. Sicherlich wird es schnell zu lösende, aber auch sehr zeitaufwendige Problematiken geben.“ Wie hoch der Personalbedarf sei, lasse sich nicht abschätzen. „Wir hoffen, dass die Infektionszahlen mittelfristig wieder sinken und Personal dadurch frei wird für andere Tätigkeiten wie diese.“
Eine weitere Frage: Was passiert mit Praxen, die nur wenige Beschäftigte haben, bei denen aber teils das Personal – im Zweifel sogar Ärztin oder Arzt – ungeimpft ist? „Rein spekulativ“ sei das, so Müller, man habe noch keinen Überblick. „In letzter Konsequenz müsste ein Betrieb aber seine Dienstleistung einstellen.“ Kontrollen, ob die Meldepflicht erfüllt werde, könne es „in Verdachtsfällen“ oder stichprobenmäßig geben.
Paracelsus-Klinik sieht keine Einschränkungen für Betrieb
Die Kassenärztliche Vereinigung in Schleswig-Holstein hat ihre Mitglieder in der vergangenen Woche schriftlich auf die neue Situation vorbereitet. „Eine Weiterbeschäftigung ungeimpften Personals ist grundsätzlich gestattet, solange das Gesundheitsamt dies nicht untersagt hat. Die Fortsetzung regelmäßiger Personaltestungen sowie der Hygienevorhaben ist anzuraten“, heißt es.
Auch Krankenhäuser müssen die Impfpflicht umsetzen. Für die Paracelsus-Klinik Henstedt-Ulzburg sagt Dirten von Schmeling, Sprecherin des Unternehmens, dass man nur „marginal“ betroffen sei. „Die Klinik weist eine nahezu 100-prozentige Impfquote auf. Einschränkungen durch mögliche Auswirkungen der einrichtungsbezogenen Impfpflicht wird es in der Klinik nicht geben, der Klinikbetrieb ist, auch auf lange Sicht, vollständig gewährleistet.“
Beim Umgang mit bisher nicht geimpften Mitarbeitern setze man auf das persönliche Gespräch. „Unsere Erfahrung der letzten Wochen ist positiv. Im Ergebnis haben sich weitere Mitarbeiter impfen lassen. Wir werden keine Anträge auf Ausnahmeregelungen stellen.“