Norderstedt. Große Müllfahrzeuge haben jetzt ein Rückwärtsfahrverbot. Die Folge: In 143 Straßen im Kreis können Tonnen nicht angefahren werden.

Wer in einer schmalen Sackgasse wohnt, muss seinen Abfall womöglich schon jetzt oder in Zukunft zu einem Sammelplatz bringen – oder aber die Stadt schickt ihr neues Engstellen-Fahrzeug vorbei, ein Mini-Müllauto. Grund für die Anschaffung des „kleinen“ Grünen ist eine Branchenregel der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), die bundesweit greift. Sie sieht vor, dass Müllfahrzeuge in der Regel nicht mehr rückwärtsfahren dürfen.

„Die DGUV ist sozusagen der Gralshüter der Arbeitssicherheit in Deutschland und gibt regelmäßig Branchenregeln heraus, auch für die Abfallsammlung“, erklärt Martin Sandhof, Leiter des Betriebsamtes der Stadt Norderstedt. „Das Rückwärtsfahren gilt bei Entsorgungsfahrzeugen gemeinsam mit dem Abbiegen als gefährlichster Rangiervorgang“, sagt er. Das liege vor allem an den vielen und großen toten Winkeln der Müllautos. „Deshalb sollen die Fahrzeuge grundsätzlich nicht mehr rückwärtsfahren. In engen Straßen mit fehlenden Wendeplätzen wird das zum Problem“, berichtet Sandhof. Festgehalten ist die entsprechende Vorschrift schon seit 2016 im DGUV-Pamphlet mit dem sperrigen Titel „Sicherheitstechnische Anforderungen an Straßen und Fahrwege für die Sammlung von Abfällen“.

In Norderstedt sind in zwei Straßen Sammelplätze für Mülltonnen eingerichtet worden

In der Stadt Norderstedt gelten die Fahrverbote lediglich in zwei Straßen. Es handelt sich um Am Gehölz und den Schinkelring. „Das betrifft also schätzungsweise 15 bis 20 Anwohner, die ihre Abfälle zu einem Sammelplatz bringen müssen“, so Sandhof. Im Kreisgebiet sind laut dem Wege-Zweckverband der Gemeinden des Kreises Segeberg (WZV) deutlich mehr Menschen betroffen. „Bei bislang 143 Straßen musste die Sammlung an einen anderen Aufstellort verschoben werden. Im Maximalfall wird die Mülltonne circa 150 Meter weit entfernt vom eigentlichen Haus abgeholt“, sag Annika Trimpert, Assistenz der Bereichsleitung Abfallwirtschaft und Abfallanlagen beim WZV. „Die Zahl der betroffenen Anwohner können wir nur schätzen. Bei den 143 Straßen beziehungsweise Strecken, die nicht mehr befahren werden, gehen wir von rund 700 angeschlossenen Haushalten aus, die ihre Abfallgefäße jetzt an einen anderen Aufstellort stellen.“

„Erst, wenn keine der anderen Möglichkeiten in Frage kommt, wird nach einem neuen Aufstellplatz für die Abfallgefäße der betroffenen Haushalte gesucht“, beteuert Trimpert für das Kreisgebiet. So hält es auch die Stadt Norderstedt. Zunächst würden etwa bauliche Maßnahmen in Betracht gezogen, um die jeweilige Straße befahrbar zu machen. Oder die Kollegen holen das Engstellenfahrzeug aus der Garage.

Kleinstmüllfahrzeug kommt auf engen Wegen zum Einsatz

Dieses Mini-Müllauto des Betriebsamtes Norderstedt fährt auf einer täglich wechselnden Route rund zehn bis 15 besonders schmale Straßen und Wege an. Darunter auch der Norderstedter Heidekranz. „Hier habe ich selbst mit dem kleineren Auto Probleme, um die enge Kurve zu kommen“, sagt Mirko Feddern, einer der zwei Müllwerker, die in das Fahrzeug eingewiesen sind. Mit 2,15 Metern ist das Mini-Müllauto rund 40 Zentimeter schmaler als sein großer Bruder. Dafür fasst es statt zehn auch nur drei Tonnen Abfälle. Das ist aber völlig hinreichend, erklärt Feddern: „Wir fahren nacheinander erst den Restmüll, dann den Biomüll und zum Schluss Papier. Zwischendurch laden wir ab – da reichen die drei Tonnen aus.“

Das Kleinstmüllfahrzeug ist seit September vergangenen Jahres im Einsatz. Grund für den Einsatz ist die DGUV-Branchenregel. Einerseits fährt es auf Straßen die schon immer schmal waren. Andererseits gibt es den Trend, dass vermehrt Autos an Bordsteinkanten oder in Wendehämmern parken. Deshalb können manche eigentlich ausreichend breite Straßen nicht mehr vom großen Müllfahrzeug bedient werden. Auch dann kommt das kleinere zum Einsatz.

Und was sagt Feddern zum Minimüllauto? Fährt er es lieber als die großen? „Ach, ich bin schon so viel gefahren, das macht keinen Unterschied für mich. Aber es ist auf jeden Fall angenehm für die Kollegen, dass sie mit den großen Fahrzeugen nicht mehr rückwärtsfahren müssen.“

Welche Straßen mit dem Engstellenfahrzeug befahren werden, welche von baulichen Maßnahmen betroffen sind und welche gar nicht mehr angefahren werden, entscheidet sich bei der sogenannten Gefährdungsbeurteilung. „Jede einzelne Rückfahrstrecke muss vor Ort durch geschultes Personal begutachtet werden. Im Rahmen einer standardisierten Gefährdungsbeurteilung werden dann die vor Ort gegebenen Bedingungen aufgenommen und bewertet: etwa die Breite der Straße, Einsehbarkeit, Länge der Rückfahrstrecke, Kurven, Beleuchtung, Art der Anliegerbebauung und so weiter“, erklärt Trimpert vom WZV.

All das diene der Unfallverhütung. Im Bundesgebiet habe es nämlich bereits schwere und tödliche Unfälle im Zusammenhang mit Müllfahrzeugen gegeben. „Bei uns hier in Norderstedt aber noch nicht – toi, toi, toi!“, so Sandhof. „Leichte Verletzungen durch Stürze von Passanten, die das rückwärtsfahrende Sammelfahrzeug falsch eingeschätzt haben, gab es jedoch bereits“, berichtet Trimpert aus dem Kreisgebiet.

Beschwerden konnten bis jetzt immer beigelegt werden

Die Norderstedter zeigen Verständnis dafür, dass sie ihren Müll in manchen Fällen zu Sammelplätzen transportieren müssen. „Ich bin hier sozusagen der Beschwerdechef und habe bisher keine Klagen erhalten“, sagt Sandhof. Auch beim WZV ist die Lage entspannt: „Vereinzelt kommt es verständlicherweise zu Kritik. Meistens fehlt die Einsicht darüber, warum Strecken, die seit vielen Jahren rückwärts befahren wurden, jetzt nicht mehr angefahren werden.“ Beschwerden konnten jedoch stets beigelegt werden, Klageverfahren gab es bisher nicht.

Ganz anders im Nachbarkreis Pinneberg: dort rollen zum Beispiel Bewohner des Osterbrookweges in Halstenbek ihre Tonnen neuerdings über weitere Strecken. Der dortige Anlieger Reinhold Pastian muss seine Abfälle seit Juni 2021 zu einem Sammelplatz befördern – und klagte diesbezüglich. Er war wenig erfolgreich, vor dem Oberverwaltungsgericht Schleswig verlor er den Fall.