Tangstedt. Für die ukrainischen Kinder in Tangstedt hat die Grundschule begonnen – die meisten sprechen kein Deutsch und kaum Englisch.
Die ersten stehen schon um 7.30 Uhr vor der Tangstedter Mühle, mit aufgeschnallten Schulranzen und erwartungsvollem Blick. Es sind nur ein paar Hunderte Meter vom Hotel bis zur Schule, höchstens fünf bis sieben Minuten dauert der Weg, genug Zeit, der Unterricht beginnt erst um 8.10 Uhr. Doch die ukrainischen Kinder, die seit 15 Tagen in der Gemeinde leben, können es kaum noch erwarten. Eine halbe Stunde vor Schulbeginn haben sich alle vor dem Hotel versammelt und drängen zum Aufbruch. Einige von ihnen wollten heute morgen nicht mal mehr Frühstücke, so aufgeregt sind sie.
Tangstedt: Ukrainische Kinder gehen jetzt in die Schule
Bogdana (8) und Diana (8) fassen sich an den Händen. Sie haben sich erst auf der Flucht nach Deutschland kennengelernt und sind in den letzten zwei Wochen Freundinnen geworden. Sie kommen zusammen in eine Klasse und sind froh, dass sie sich haben. Das macht es leichter. Denn auch wenn sie sich freuen – Angst haben sie trotzdem. Keine von ihnen spricht Deutsch oder Englisch, wenn niemand zum Übersetzen da ist, können sie sich nur mit Händen und Füßen verständigen.
Ein paar der älteren Jungs können Englisch, „aber nur ein bisschen“, sagt Volodymyr und führt Zeigefinger und Daumen so weit zusammen, bis sie sich fast berühren, um seine Sprachkenntnisse darzustellen. Er spricht von den 15 Jungen und Mädchen, die heute das erste Mal die Schule besuchen, am besten Englisch. „Weil ich viele Youtube Videos angucken“, sagt er und grinst. Früher hat seine Mutter manchmal geschimpft, wenn er das gemacht hat, heute sind alle froh darüber. Die Kinder kennen den Weg zur Schule, sie waren gestern schon dort.
Tangstedt: Herzliches Willkommen für Flüchtlingskinder
Rückblick: Bereits am Dienstag hatten sie sich in der Schule angemeldet, zusammen mit ihren Müttern. Einige von ihnen kannten die Schule bereits, sie hatten dort in den letzten Tagen nachmittags manchmal Fußball gespielt. Viele andere sehen die Schule an diesem Vormittag zum ersten Mal – die Schule und das Bild, das die Grundschüler in den letzten Tagen dort für sie gestaltet haben. An der Außenwand der Aula, so, dass man es sofort sehen kann, haben die Schülerinnen und Schüler die roten Backsteine mit weißer Farbe bemalt, groß Willkommen darauf geschrieben und bunte Abdrücke ihrer Hände hinterlassen.
Die Mütter machen Fotos, als sie an der Schule ankommen, sie wollen die Bilder später ihren Familien in der Ukraine schicken. Fast alle von ihnen sind ohne ihre Männer nach Deutschland gekommen, es gibt ein Ausreiseverbot für Männer zwischen 18 und 60 Jahren. Svitlana Viala (42) geht ein paar Schritte hinter ihren Kindern Volodymyr und Diana. Sie ist froh, dass die Kinder jetzt in die Schule gehen dürfen. „Aber“, setzt sie an und sucht nach den passenden Worten. Wie soll es gehen, wenn keiner von ihnen deutsch spricht. Wie sollen sie die anderen verstehen, sich verständigen?
Tangstedt: Rundgang durch die Schule für die Kinder
Als sie in der Schule ankommen, wird ihr und den anderen Müttern eine ihrer Sorgen genommen. Denn neben Schulleiterin Mari Fehrs begrüßt Tanja Schelegow-Kluge die Kinder. Sie ist die Sozialpädagogin der Schule – und hat Russisch auf Lehramt studiert. „Allerdings ist das 30 Jahre her und vieles ist in Vergessenheit geraten“, sagt Tanja Schelegow-Kluge. Als sie ein Mädchen auf Russisch begrüßt, wird sie sofort von anderen Kindern umringt, die alle auf sie einreden. Für die Ukrainer ist sie eine Vertraute in der Fremde. Sie muss viele Fragen beantworten, eine taucht immer wieder auf: „Dürfen wir auf den Schulhof?“
Die Grundschule Tangstedt hatte sich in den letzten Tagen für einen schnellen und unkomplizierten Schulstart der ukrainischen Schulkinder stark gemacht. „Uns war es ein Anliegen, alle schulpflichtigen Kinder bei uns willkommen zu heißen“, sagt Schulleiterin Mari Fehrs. Noch bevor feststand, ob und wann die Kinder zur Schule gehen dürfen, haben die Lehrer bereits geeignete Materialien rausgesucht und sich auf den Besuch der Ukrainer vorbereitet. „Wir freuen uns, dass es jetzt endlich losgeht“, sagt Mari Fehrs, die nach der Anmeldung mit den Jungen und Mädchen persönlich einen Rundgang durch die Schule macht und jedem das Klassenzimmer zeigt, in das er kommt. Diana ist begeistert. Sie steckt einen Daumen in die Luft. Manchmal braucht man keine Worte, um sich zu verständigen.
Tangstedt: Große Aufregung am ersten Schultag
Am nächsten Morgen: Die meisten Kinder gehen heute allein zur Schule, nur eine Mutter begleitet ihren Sohn. Die anderen verabschieden sich vor der Tangstedter Mühle voneinander. Für einige von ihnen ist es das erste Mal, dass sie sich trennen, seit sie auf der Flucht, seit sie nach Deutschland gekommen sind. Die Jungs laufen vor, sie waren in den letzten Tagen oft auf eigene Faust unterwegs und haben Tangstedt erkundet. Als sie bei der Schule eintreffen und von einer Lehrerin begrüßt werden, helfen die älteren Kinder den Jüngeren. Sie übersetzen die Fragen der Lehrerin zu ihren Namen und zeigen ihnen die Stellen auf dem Schulhof, an denen sie von ihren Klassenlehrern abgeholt werden. Eine Gruppe nach der anderen verschwindet im Schulgebäude.
Die Ukrainer sind zu zweit oder dritt in den Klassen, niemand von ihnen soll ganz alleine sein. Als die Schulglocke läutet, ist nur noch ein Mädchen auf dem Schulhof. Sie klammert sich an ihre Mutter, kann sich nicht trennen. Sie wohnt nicht in der Tangstedter Mühle, und kennt niemanden von den anderen Kindern, ihre Familie ist privat untergekommen. Am Vortag bei der Anmeldung hat sie die anderen ukrainischen Kinder zum ersten Mal gesehen. Einige haben vorgeschlagen, sich mal zu verabreden.
Irgendwann ist der Schulhof leer. An einem der Gebäude ist eine große Friedenstaube angebracht worden.