Bad Bramstedt. Bramstedter Najib Yousofi leitete den afghanischen Sender. Nun sorgt er sich um seine ehemaligen Mitarbeiter in seinem Heimatland.
Wie oft hat Najib Yousofi diesen Satz in den vergangenen Wochen gehört: „Die Afghanen? Die gibt es ja auch noch.“ Immer wieder stellt der Bramstedter fest, dass seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine das Schicksal der Menschen in seinem Heimatland kaum noch beachtet wird. Dabei wächst die Not immer weiter, während die Taliban ihr Regime festigen.
„Gefühlt täglich“ telefoniert Yousofi mit ehemaligen Kollegen seines TV-Senders Herai TV, den der Bramstedter schließen musste, als im vergangenen Sommer die Taliban das Land nach dem Abzug der westlichen Truppen überrannten. Inklusive aller freien Mitarbeiter beschäftigte der Bramstedter 40 Menschen dort, davon elf Frauen. Der Sender in der Großstadt Herat produzierte Bildungsfernsehen und Satire. Bei Youtube erreichen die Filme, die bis zum August 2021 entstanden, bis heute 75 Millionen Zuschauer.
Bramstedter ist beim NDR als Ingenieur beschäftigt
Viele seiner Kollegen wissen nicht, wovon sie leben sollen. Besonders die Frauen haben es unter den Radikalislamisten schwer. Manche Mitarbeiter seien in den Iran geflohen, berichtet Yousofi. Ein früherer Journalist von Herai TV ist froh, im Exil einen Job in einer Nähfabrik gefunden zu haben, der ihm das Überleben ermöglicht. „So hat er wenigstens was zu essen“, sagt Yousofi. Auch im Exil im Nachbarland haben es die Afghanen nicht leicht. „Der Iran hat keinen guten Umgang mit ihnen“, sagt der Bramstedter.
Er werde die Hoffnung nie aufgeben, Herai TV wieder aufzubauen, sagt der Bramstedter, der beim NDR als Ingenieur beschäftigt ist. Realistisch betrachtet sei die Chance jedoch gleich null, unter den Taliban den Betrieb wieder aufzunehmen. Viele Gründe sprechen dagegen: die willkürliche Zensur der Machthaber sowie das Verbot, Frauen zu beschäftigen.
Durch seine guten Kontakte in das Land, in dem er aufgewachsen ist, weiß Yousofi, wie die Taliban gegen Journalisten vorgehen. Vor wenigen Wochen wurde der Chefredakteur eines anderen Senders verhaftet – offenbar völlig grundlos.
Herai TV: Sender erhält Drohbriefe
Yousofi hatte schon vor der Machtübernahme im Sommer 2021 darauf verzichtet, bei Herai TV Nachrichten zu produzieren, weil Berichte über politische Themen in Afghanistan schon immer zu einer Gefahr werden konnten. Vor wenigen Jahren erhielt der Sender Drohbriefe, ein Unbekannter drohte in dem Gebäude mit einer Handgranate. Jetzt, unter den Taliban, ist sogar Bildungsfernsehen „politisch“. Zum Beispiel, wenn man Sendungen mit Bildung für Mädchen produziere, die nicht mehr zur Schule gehen dürfen.
„Die Situation setzt mich wahnsinnig unter Druck“, sagt Yousofi der seinen Mitarbeitern helfen möchte, sich aber darauf beschränken muss, ihnen über komplizierte Wege kleine Geldbeträge zukommen zu lassen. „So gut ist kann, gebe ich 20 oder 30 Euro, das reicht für Mehr und Kartoffeln“, sagt Yousofi.
Wo er Unterstützung finden kann, weiß der Bramstedter nicht und fragt sich: „Wo ist meine Anlaufstelle?“ Das Auswärtige Amt in Berlin fühlte sich offenbar nicht zuständig. Seine Briefe seien nicht einmal beantwortet worden. Jetzt will sich der Bramstedter direkt an den den Hamburger SPD-Abgeordneten Niels Annen wenden. Der ehemalige Staatsminister im Auswärtigen Amt arbeitet mittlerweile als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Yousofi hofft, dass man für die Männer und Frauen von Herai TV eine Regelung finden könnte wie für die sogenannten Ortskräften der Bundeswehr. Vielen ehemaligen Dolmetschern, Köchen und Fahrern der deutschen Streitkräfte gelang mit der Ausreise nach Deutschland die Flucht.
Wer Afghanistan verlassen will, bekommt keinen Pass
Tausende warten noch darauf, ausreisen zu können, doch die afghanische Regierung gibt keine Pässe mehr aus. „Wenn sie das machen würden, wäre das Land leer“, vermutet Yousofi. Pässe erhalten die Menschen allenfalls durch Bestechung. Pro Person seien etwa 2000 Euro fällig. „Das eine Familie unmöglich aufbringen.“
Yousofi kritisiert, dass Afghanistan seit dem Krieg in der Ukraine völlig aus dem Fokus der Öffentlichkeit geraten sei. Unbemerkt könnten die Taliban immer weiter ihr Regime festigen. Gleichzeitig spürt er, dass ihn die Bilder aus der Ukraine tief berühren, weil sie ihn an die Geschichte seiner Heimat erinnern, in der seit 40 Jahren Krieg herrscht. In einem Bein steckt bis heute die Kugel aus einer Kalaschnikow, die ein Soldat während der sowjetischen Besatzung in den 80er-Jahren auf den jungen Najib Yousofi abfeuerte.
Heute hofft er, dass sich vielleicht irgendwann doch noch sein Traum erfüllt: Er möchte seine ehemaligen Mitarbeiter nach Deutschland holen und hier Herai TV wieder aufbauen. Räume in einem ehemaligen Baumarkt in Hitzhusen stünden zur Verfügung. Yousofi ist sicher, dass sich genügend Zuschauer finden werden – in der großen afghanischen Gemeinschaft in Deutschland und in Afghanistan selbst. „Das Internet und Social Media sind in Afghanistan nicht abgeschaltet“, sagt Yousofi und fügt hinzu: „Meine Kollegen sind Kreative, die wollen arbeiten.“