Norderstedt. Aus Überforderung oder Unwissenheit bleiben viele Senioren oft untätig – das kann fatale Folgen haben.
Muss ich als Rentner noch eine Steuererklärung abgeben? Bin ich verpflichtet, meine Rente zu versteuern – oder bin ich von der Steuer befreit? Fragen rund um die Besteuerung im Ruhestand sind für viele der rund 20 Millionen Rentner in Deutschland unverständlich und nur schwer zu beantworten. Aus Überforderung oder Unwissenheit bleiben sie oft untätig – bis ein verhängnisvoller Brief des Finanzamts im Postkasten landet und sie zu teils hohen Nachzahlungen aufgefordert werden.
„Er wusste nicht, dass er steuerpflichtig ist“
So passierte es auch Klaus P. aus Norderstedt. Der 79 Jahre alte Rentner hat Anfang dieses Jahres Post vom Finanzamt erhalten – mit der Bitte, seine Steuererklärungen für die Jahre 2014 bis 2019 nachzureichen. Ohne sich von einem Experten beraten zu lassen, füllte der Norderstedter seine Steuererklärungen aus. Wenige Wochen später dann die böse Überraschung: Das Finanzamt forderte Klaus P. auf, seine Steuern in Höhe von rund 15.000 Euro rückwirkend für sechs Jahre nachzuzahlen.
„Erschrocken und voller Scham zahlte er zunächst für 2014 sein gesamtes Erspartes von 1800 Euro“, berichtet Jeanette Möller-Doberstein. Die 72-Jährige ist seit 30 Jahren mit P. befreundet. Der Rentner selbst möchte seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen. Weil er sich für seine finanziellen Probleme schämt, lässt er Möller-Doberstein für sich sprechen.
„Ich erkenne ihn nicht mehr wieder. Er war so ein lebensfroher Mann. Auf jedem Geburtstag hat er die Leute unterhalten“, sagt die Berlinerin. Nun habe sie Angst um ihren Freund. Er sei abgemagert und wisse nicht, wie er die restlichen 13.000 Euro Steuerschulden begleichen solle. „Er wusste nicht, dass er steuerpflichtig ist“, betont Möller-Doberstein.
Der frühere Weinhändler möchte seine Schulden nun abbezahlen. „Aber bislang gewährt ihm keine Bank einen Kredit, und das Finanzamt hat seinen Antrag auf Stundung abgelehnt. Er muss sofort zahlen.“
Lohnsteuerhilfeverein berät Rentner zum Thema Steuern
Dass Rentner Ärger mit dem Finanzamt haben, ist nicht ungewöhnlich. „Vor ein paar Jahren, so um das Jahr 2012, gab es eine Welle, in der viele Rentner Steuern nachzahlen mussten“, sagt Sebastian Großmann, der als Sachbearbeiter für den Lohnsteuerhilfeverein Schleswig-Holstein tätig ist.
Damals habe es einen großen Zulauf von Rentnern im Verein gegeben. Der Anteil liege nun bei knapp 40 Prozent, schätzt Großmann. Nachzahlungen von bis zu 700 Euro pro Jahr kämen schon mal vor, sagt er. Durch Mieteinnahmen oder Auszahlungen von Abfindungen oder Rentenversicherungen könnten aber auch höhere Summen zusammenkommen.
Großmann empfiehlt Ruheständlern, sich bei einem Lohnsteuerhilfeverein zu erkundigen, ob sie steuerpflichtig sind oder nicht. „Man sollte sich rechtzeitig um seine steuerliche Situation kümmern und sie nicht aussitzen – das ist der falsche Weg“, sagt der Sachbearbeiter.
Seit 2005 gilt die nachgelagerte Besteuerung
Auch Rainer Kersten, Geschäftsführer des schleswig-holsteinischen Bunds der Steuerzahler, gibt Rentnern den Tipp, sich von einem Lohnsteuerhilfeverein beraten zu lassen. „Es herrscht eine große Verunsicherung bei vielen Rentnern über ihre Steuerpflicht. Viele sind damit überfordert zu erkennen, ob sie verpflichtet sind, eine Steuererklärung auszufüllen oder nicht“, sagt Rainer Kersten.
Der Geschäftsführer würde es gut finden, wenn Finanzämter die Ruheständler von sich aus anschreiben und aufklären würden. „Die Renten werden automatisch ermittelt. Es müsste ein Leichtes für Finanzämter sein, diejenigen Rentner herauszufiltern, die oberhalb der Steuergrenze liegen“, sagt Kersten. Allerdings: Das Finanzamt hat keinen Überblick über Nebeneinkünfte wie zum Beispiel Mieteinnahmen oder Nebenjobs. Dabei sorgen gerade diese zusätzlichen Einnahmen meist dafür, dass Rentner über den steuerfreien Betrag rutschen.
Seit 2005 werden Renten besteuert
Aber wie läuft es denn nun mit der Besteuerung im Alter? Wann muss ein Rentner Steuern zahlen? Die Antwort ist so individuell wie der Mensch selbst. Aber grundsätzlich gilt: Der Ruheständler ist steuerpflichtig – aber muss nicht zwangsläufig Abgaben zahlen.
Seit dem Jahr 2005 gibt es in Deutschland eine sogenannte nachgelagerte Besteuerung von Renten. Das heißt: Menschen sollen im Erwerbsleben entlastet werden, dafür müssen sie aber später auf ihre Renten Steuern zahlen. Dafür gilt eine Übergangsphase bis zum Jahr 2040.
Rentenzahlungen werden in diesem Zeitraum zunehmend besteuert, während das, was eine Person für ihre Altersvorsorge aufwendet, von der Steuer abgesetzt werden kann. Für das Jahr 2005 konnten beispielsweise 60 Prozent geltend gemacht werden. Mit jedem Jahr wird der Anteil um zwei Prozentpunkte größer – in diesem Jahr sind es bereits 92 Prozent.
Der Grundfreibetrag liegt 2021 bei 9744 Euro
Im Gegenzug steigt der Anteil der Renten, der besteuert wird, und der Rentenfreibetrag sinkt. Entscheidend für die Höhe des steuerpflichtigen Rentenanteils ist das Jahr des Rentenbeginns. Wer beispielsweise 2005 oder früher in Rente gegangen ist, dem steht ein Rentenfreibetrag von 50 Prozent zu. Menschen, die 2021 in Rente gehen, müssen 81 Prozent ihrer Rente versteuern, die übrigen 19 Prozent bleiben steuerfrei. Dabei handelt es sich um einen festen Betrag, der das gesamte Rentenleben unverändert bleibt – auch dann, wenn die Rente durch Anpassungen steigt. 2040 werden volle 100 Prozent versteuert.
All das bedeutet aber immer noch nicht, dass tatsächlich Steuern gezahlt werden müssen: Nur wenn der steuerpflichtige Teil des jährlichen Renteneinkommens den Grundfreibetrag übersteigt, sind Abgaben fällig. Der Grundfreibetrag liegt für Alleinstehende derzeit bei 9744 Euro – für Ehepaare gilt der doppelte Wert. Dieser steuerfreie Betrag steht jedem Steuerzahler, unabhängig vom Alter, zu.
Bevor die nachgelagerte Besteuerung der Rente 2005 eingeführt wurde, galt übrigens das Prinzip der vorgelagerten Besteuerung. Das bedeutete: Arbeitnehmende zahlten ihre Beiträge zur Rentenversicherung aus dem Einkommen, das sie bereits versteuert hatten – also aus dem Nettoeinkommen. Im Gegenzug mussten sie den Großteil ihrer Alterseinkünfte später nicht mehr versteuern. Nun wird das Modell schrittweise auf die nachgelagerte Besteuerung umgestellt. Allerdings will das Bundesfinanzministerium nach der Bundestagswahl im September Änderungen vornehmen.