Norderstedt. Was tun, wenn die Bühne unter Wasser steht, aber die Musiker endlich spielen wollen? Das Symphonische Blasorchester Norderstedt fand eine Lösung.
Heike Linde-Lembke
Musiker wurden zu Möbelträgern, räumten eine Schulmensa leer und funktionierten sie in einen Konzertsaal um. Denn die 75 Musikerinnen und Musiker des Symphonischen Blasorchesters Norderstedt (SBN) wollten nur noch eins: endlich spielen! Zwei lange Corona-Jahre lagen hinter ihnen ohne Konzerte, ohne Publikum, ohne Applaus. Als das Frühlingskonzert stand, kam kurz vorher die Hiobsbotschaft: Die „TriBühne“steht unter Wasser. Grund: Ein Schaden in der Sprinkleranlage. Konzert absagen? Aufgeben? Nicht mit dem SBN. Das Orchester durchforstete die Auftrittsorte in Norderstedt, Kulturwerk? Zu kleine Bühne für 70 Musikerinnen und Musiker. Festsaal am Falkenberg? Vom Theater Pur besetzt. Sie fanden die große Aula der Willy-Brandt-Schule am Lütjenmoor.
Die Schule war sehr kooperativ, einige der Laien-Musikerinnen und -Musiker nahmen Urlaub, um den „Umzug“ zu organisieren samt Aufbau aller Pulte und Instrumente, Stühle rücken fürs Publikum, Einlass-Procedere bis zur Pausen-Bar und vor allem die Information über die Verlegung des Konzerts von der maroden „TriBühne“ in die Schul-Aula am Lütjenmoor. „Eine so kurzfristige Änderung direkt vor der Generalprobe und dem Konzert ist eine riesige Herausforderung. Nur mit dem großen Engagement vieler Orchestermitglieder und der guten Kooperation mit der Willy-Brandt-Schule konnte wir binnen weniger Stunden die Aula in einen Konzertsaal verwandeln“, lobte SBN-Spartenleiter Frank Teuber. „Von so einer Kleinigkeit lassen wir uns doch nicht abhalten, für Sie zu spielen“, flapste denn auch Moderator Daniel Frühwirth und begrüßte die Ehrengäste, darunter Geflüchtete aus der Ukraine.
Dirigent Dominik Fakler reicht den Taktstock weiter
Zwar spielte das SBN nicht, wie sonst mittlerweile üblich, zu Konzertbeginn die ukrainische Nationalhymne, doch die SBN-Mitglieder hatten vorab schon 2100 Euro für die Ukraine-Soforthilfe gesammelt. Das Publikum legte 500 Euro drauf. Die Spenden gehen direkt an das Deutsche Rote Kreuz Norderstedt. Auch zwei Abschiede und eine Begrüßung standen auf dem Programm. Für sein jahrzehntelanges ehrenamtliches Engagement dankte das SBN seinem Kontrabassisten Hans-Werner Tomischat, der schon in den 1970er-Jahren im damaligen Bläserkreis Norderstedt am Bass stand und jetzt mit 80 Jahren nur noch privat spielen möchte.
Der zweite Abschied galt dem Dirigenten Dominik Fakler, der nach nur drei Jahren den Taktstock an Lubertus Leutscher weitergibt. Der 61-jährige Niederländer ist Dirigent eines Sinfonieorchesters und eines Chores. „Da macht mich das Dirigat eines Symphonisches Blasorchesters gewissermaßen komplett“, sagte Leutscher. Mit dem SBN möchte er originale symphonische Blasmusik spielen, aber auch innovative Programme mit Klezmer bis zu indischer Volksmusik.
Stück „Slawa“ von Leonard Bernstein als Zugabe
Das Frühjahrskonzert bot Originale der symphonischen Blasmusik. Ein feiner Auftakt war „A Somerset Rhapsody“ von Gustav Holst. Mit Alfred Reeds „Praise Jerusalem“, Variationen eines armenischen Osterlieds aus dem siebten Jahrhundert wurde es spannender. Notengenau setzten die Musikerinnen und Musiker über alle Pulte hinweg den Auftakt, platzierten exakt die Pausen und legten viel Emotionen in das hymnische Stück. Das Publikum jubelte. Die sehr lautmalerische Komposition „The Legend of Amaterasu“ von Eric Swiggers kostete das Orchester temperamentvoll aus.
Fröhliches Vogelgezwitscher leitete den „Brand von Bern“ von Mario Bürki ein, während bedrohliche Tuba-Töne nahendes Unheil ankündigten. Die Musikerinnen und Musiker markierten Marktgeschrei und Trunkenbolde und genossen sichtlich das tosende Leben, bevor sie mit sirrenden Klängen das große Unheil ankündigten. Mit „Aurora Awakes“ löste Kathrin Wacker als Dirigentin ihren Kollegen Dominik Fakler ab und führte das Orchester durch rhythmische Tonmalerei und donnernden Intermezzi. Ein interessantes Stück, das indes unter vielen Wiederholungen leidet. Nach „Life in the Capital City“, wieder unter dem Fakler-Stab, folgte das spannendste Stück des Konzerts mit der Zugabe „Slawa“, das Leonard Bernstein zu Ehren seines Komponisten-Kollegen Mstislaw Leopoldowitsch Rostropowitsch schrieb, ein herrlich schräges Stück, vom SBN, abgesehen von einigen Wacklern, ebenso schräg gespielt.
Orchester hofft, im Herbst in der Norderstedter TriBühne spielen zu können
Nun hofft das Symphonische Blasorchester, das Herbstkonzert wieder in der „TriBühne“ geben zu können. Doch wann die Mehrzwecksäle am Rathaus, deren Bühnenkonstruktion ohnehin erneuert werden muss, wieder bespielbar sein kann, ist ungewiss. „Wir müssen überlegen, ob wir nicht sofort eine Grundsanierung durchführen“, sagte Emil Stender (SPD), Vorsitzender des Kulturausschusses, nach dem SBN-Konzert.
Alle weiteren Veranstaltungen der „TriBühne“ müssen verlegt werden, darunter zuerst das Benefizkonzert für die Ukraine des Sinfonieorchesters Norderstedt am Sonnabend, 21. Mai. Es findet aber nicht, wie von der städtischen Pressestelle vermeldet, im Kulturwerk Norderstedt statt, sondern im Festsaal am Falkenberg. „Auf der kleinen Bühne im großen Saal des Kulturwerks haben unsere 60 Musikerinnen und Musiker nicht genügend Platz“, sagt Frank Engelke, Dirigent des zur Musikschule Norderstedt gehörenden Orchesters, der auch das SBN von 1992 bis 2002 maßgeblich gefördert hat.