Norderstedt. Ein Gespräch mit Elisabeth Wallmann über Religion als Kunst, die Bibel im digitalen Zeitalter und Zuwendung auf Abstand im Advent.

Seit 18 Jahren ist Elisabeth Wallmann Pastorin der Evangelisch-Lutherischen Johannes-Kirchengemeinde in Norderstedt-Friedrichsgabe. Im Interview erzählt die 64 Jahre alte Theologin, was sie an ihrem Beruf besonders schätzt.

Elisabeth Wallmann, haben Ihre vier Enkelkinder Sie schon mal gefragt: ‚Oma, warum bist du Pastorin geworden?’

Elisabeth Wallmann: Das haben sie tatsächlich, sie sind noch ziemlich klein. Ich habe ihnen geantwortet, dass es für mich der schönste Beruf der Welt ist.

Was macht diesen schönsten Beruf der Welt aus?

Ich liebe es, mit Menschen unterschiedlichen Alters zu tun zu haben und finde den Beruf vielseitig und kreativ.

Inwiefern kreativ?

Zum Beispiel schenkt er mir die Zeit, in Ruhe über einen Satz oder Text aus der Bibel nachzudenken und daraus eine schöne Predigt oder einen Gottesdienst zu gestalten. Es hat für mich viel mit Kunst zu tun, dass beides in sich stimmig ist und die Menschen berührt.

Wann war klar, dass Sie Pastorin werden wollten? Wie ist Ihr Weg verlaufen?

Ich bin Hamburgerin und evangelisch aufgewachsen. Als Jugendliche habe ich mich für jüdische Religion interessiert. Das hatte auch mit dem Thema Holocaust zu tun. Nach der Schule war ich für ein Jahr in Israel, habe das Land und einige Menschen kennengelernt und einen Sprachkurs für Hebräisch gemacht. Und gemerkt, dass mich Religion sehr beschäftigt. Ich habe für mich herausgefunden, dass es von meinen Wurzeln her stimmig war, christliche, also evangelische Theologie zu studieren. Das habe ich getan, anfangs ergänzt um Judaistik und Geschichte.

In der Universität lernte ich meinen Mann kennen, der auch Theologie studierte und klar ins Pfarramt votierte. So ergab es sich, dass wir beide Pastoren wurden.

13 Jahre lang lebte das Pastorenpaar auf Helgoland

Und das sind Sie seit nunmehr 31 Jahren...

... zunächst für 13 Jahre auf Helgoland. Da war unser erster Sohn bereits auf der Welt. Die drei anderen sind am Anfang der Inselzeit geboren. Es waren spannende, intensive, glückliche Jahre.

Warum haben Sie Helgoland verlassen?

Als unser Ältester 14 Jahre alt war, hatten wir das Gefühl, wir müssen weggehen. Das lag an der Schulsituation, es gibt dort kein Gymnasium. Wir haben einen Ort gesucht, der für die Kinder perspektivisch gut ist. Mit einem Gymnasium in der Nähe und nicht mitten in der Großstadt. Norderstedt fühlte sich richtig an. Nun sind wir beide seit 18 Jahren Pastoren in der Johannes-Gemeinde in Fried­richsgabe. Sie ist jetzt unser zu Hause.

Worin sehen Sie Ihre Hauptaufgabe?

Wir wollen ein freundlicher Ort sein und alles dafür tun, dass die Menschen sich in unserer Gemeinde wohlfühlen. Ich finde es wichtig, dass die Gottesdienste ansprechend und inhaltsreich sind und die Gemeindemitglieder etwas davon haben.

Das gilt auch für den Religionsunterricht, zum Beispiel die Arbeit mit den Konfirmanden. Ich gestalte viel und gern mit Kindern. Dazu gehören unter anderem der Kindergottesdienst und die Arbeit im Kindergarten. Hier sitze und spiele ich regelmäßig mit den Kleinen auf dem Fußboden und freue mich zu sehen, wie sie sich so langsam entwickeln, die ersten Worte formulieren, Ideen haben oder – die etwas älteren - eigene Geschichten erzählen oder neue aus der Bibel kennlernen.

Für die Erwachsenen haben wir in diesem Jahr eine Psalm-Werkstatt angeboten, in der sie sich über religiöse Themen austauschten und reflektierten: ‚Was bedeutet für mich Religion?’ Ein aktuelles Thema war „1700 Jahre Judentum in Deutschland“. Dazu gab es eine Veranstaltung mit zwei jüdischen Gästen.

Wie sind Sie für die geflüchteten Menschen in Ihrer Gemeinde da?

Regelmäßig bin ich vor Ort in der Unterkunft Lawaetzstraße. Hier gibt es einige Familien, um die ich mich schon seit mehreren Jahren kümmere. Im Moment konkret um eine Familie aus Eritrea mit kleinen Kindern. Bei ihnen geht es jetzt darum, dass der Vater die Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug erhält und die Kinder ihren Vater wiederbekommen.

Wie kümmern Sie sich um die Senioren?

Insgesamt bieten wir vieles an für ältere Menschen, wie zweimal in der Woche ein Mittagessen, den Seniorennachmittag oder auch den Seniorenchor. Wir versuchen, auch in Zeiten von Corona an der Seite der Bewohner in den Seniorenheimen zu sein. Zu Weihnachten 2020 und Ostern 2021 haben wir mit Gemeindemitgliedern Postkarten geschickt an die Menschen, die wir normalerweise dort besuchen. Die Konfirmanden und andere Helferinnen haben Kekse gebacken, die wir abgegeben haben. Eine Dame hat Weihnachtsengel gehäkelt. All das machen wir in dieser Vorweihnachtszeit wieder.

Wallmann wünscht der Menschheit mehr Langsamkeit

Am kommenden Sonntag, dem 1. Advent, gestalten Sie einen Familiengottesdienst. Verraten Sie uns etwas darüber.

Jedes Jahr beginnen wir im Advent mit einem Bild oder Symbol, das wir in der Kinderkirche vorbereiten. Diesmal basteln wir aus Goldfolie kleine offene Kästchen, die im Gottesdienst verschenkt werden. Ein größerer goldener Karton wird vor dem Altar stehen. Wir singen – mit Maske – „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit; es kommt der Herr der Herrlichkeit.“ Die goldenen Schachteln stehen für die besondere Zeit, die nun beginnt, voller Wünsche und Geheimnisse. Kinder, Erwachsene, alle träumen von etwas im Advent. Mit den unsichtbaren Wünschen kann jede, jeder das leere Kästchen füllen.

Wie passen die religiösen Schriften in die heutige Social-Media-Zeit?

Ganz wunderbar! Die Bibel wurde ja auch nicht an einem Tag geschrieben. Unsere christliche religiöse Schrift ist ein Konzert von Stimmen, das über 1200 Jahre entstanden ist. Viele Menschen haben darin ihre Vorstellungen, ihre Sehnsüchte aufgeschrieben. Eine der Stimmen passt immer zu irgendeiner Situation, in der ich mich gerade befinde - weil es oft die Grundthemen des Lebens sind.

Wie erreichen Sie die junge Generation?

Es ist für meinen Mann und mich ganz wichtig, dass sich die Jugendlichen in der Gemeinde ernstgenommen fühlen. Wir sind heutzutage in der Situation, dass viele jüngere Familien keine religiösen Rituale mehr kennen oder leben. Wie ein Gute-Nacht-Gebet oder einen Segen. Wir können immer nur Impulse geben. Bieten etwas an und zeigen vor allem, dass es Freude macht, diese Rituale zu leben. Zum Beispiel hat die Gemeinde vor vier Jahren einen Schrebergarten gepachtet, in dem wir mit den Kindergartenkindern regelmäßig säen, pflanzen und ernten. Wie in diesem Jahr mehrere große Kürbisse, die im Kindergarten und mit den Konfirmanden weiterverarbeitet wurden. Das gehört zu Erntedank. Den Gottesdienst haben wir dann gemeinsam mit einem Ernteumzug und einem Schöpfungsspiel auf der Wiese des Schrebergartens gefeiert.

Wie ist die ökumenische Gemeinschaft im Stadtteil?

Sehr gut! Die katholische Kirche St. Hedwig ist unsere direkte Nachbargemeinde. Es gibt viele Kontakte, unter anderem feiern wir immer zu Buß- und Bettag einen ökumenischen Gottesdienst mit anschließendem Gedankenaustausch zu einem bestimmten Thema. Das befruchtet. Mit den Konfirmanden war ich ein Wochenende lang im Kloster Nütschau in Travenbrück. Als durchaus besonders empfunden haben sie die Mönchsgebete und die seit Jahrhunderten gelebte Frömmigkeit. Ich finde, da hat die katholische Kirche uns was anzubieten.

An welchen Ort gehen Sie, wenn Sie mal für sich allein sein wollen?

Am Morgen so zwischen sieben und acht Uhr bin ich oft im Schrebergarten und mache ein bisschen Gartenarbeit. Das ist für mich ein guter Tagesanfang.

Was wünschen Sie sich und der Menschheit?

Langsamkeit. Als vierfache berufstätige Mutter war Zeit immer mein Thema. Ich habe dabei stets versucht, mich noch wohlzufühlen, nicht nur unter Stress und Druck zu arbeiten. Den Advent empfinde ich alle Jahre wieder als großes Stoppschild und sage mir dann: „In diesem Monat kümmere ich mich um alles, was zum Advent und zu Weihnachten gehört. Die Gemeindefinanzen etwa können dann mal bis Januar warten.“