Norderstedt. Mit Spitzenkandidat Thomas Losse-Müller stellte Hamburgs Bürgermeister die SPD-Vision einer “industriepolitischen Zeitenwende“ vor.

Wie sie sich die Wirtschaftspolitik im Norden für die Zukunft vorstellen, erläuterten am Mittwoch zwei Genossen der SPD im Norderstedter Kulturwerk. Wenige Kilometer von der Hamburger Stadtgrenze entfernt stellten der Erste Bürgermeister der Hansestadt Hamburg, Peter Tschentscher, und der SPD-Spitzenkandidat für die Landtagswahl am 8. Mai in Schleswig-Holstein, Thomas Losse-Müller ihre gemeinsame Vision einer „industriepolitischen Zeitenwende“ für die beiden Bundesländer vor. Eingeladen hatte dazu das Wirtschaftsforum der SPD, ein unabhängiger unternehmerischer Verband, dem etwa 50 Zuhörer aus der Wirtschaft nach Norderstedt gefolgt waren.

Landtagswahl: SPD will Schleswig-Holstein zum "Industrieland" machen

Mit etwa 150.000 Ein- und etwa 50.000 Auspendlern, die jeden Tag in das jeweils andere Bundesland zur Arbeit führen, seien die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein heute schon sehr groß, sagte Losse-Müller auf dem Podium im Kulturwerk. „Eure Wirtschaftskraft ist unsere Wirtschaftskraft“, hielt er dem Hamburger Kollegen entgegen. Vor allem der Klimawandel und die eingeleitete Energiewende machten es jetzt nötig, „250 Jahre Industriegeschichte umzubauen“, forderte Losse-Müller.

Dabei könnte Schleswig-Holstein, das schon heute fast seinen gesamten Energiebedarf mit erneuerbaren Energieträgern decke, eine Schlüsselrolle spielen. „Schleswig-Holstein wird ein Industrieland werden“, davon ist der Mann überzeugt, der die Jamaika-Koalition in Kiel ablösen will. Windenergie-Anlagen müssten weiter ausgebaut werden, was in den vergangenen fünf Jahren unter CDU-Ministerpräsident Daniel Günther zu einem Stillstand gekommen sei. „Am Ende der Küsten-Koalition von SPD, Grünen und SSW 2017 gab es hierzulande 2981 Windkraftanlagen“, sagte Losse-Müller. „Heute sind es noch genauso viele.“

Solarstromanlagen auf jedem freien Dach, auf jeder Freifläche

Um aber den enormen Bedarf an Energie für die Industrie, die Verkehrswende und E-Mobilität abzudecken, müssten Off- und Onshore-Windanlagen forciert sowie „auf jedem Dach und vielen Freiflächen“ Solarstromanlagen installiert werden. Zudem versprächen die geplanten Wasserstoffterminals an der Westküste des Landes eine weitere tragende Säule einer klimafreundlichen Energieversorgung zu werden, so Losse-Müller.

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Dabei dürfe Schleswig-Holstein aber nicht mehr nur der Energieproduzent für die Industrieanlagen in Hamburg oder Nordrhein-Westfalen sein, forderte er. Das nördlichste Bundesland sollte gleichzeitig dafür sorgen, hier passende Unternehmen anzusiedeln, die „technologisch zukunftsweisend, sozial und innovativ“ seien und sich gut ergänzten und ein gemeinsames Industrie-Cluster rund um Heide und Brunsbüttel bildeten. Dies werde Fachkräfte in den Norden locken. „Dafür brauchen wir aber auch die A 20“, sagte Losse-Müller.

Tschentscher will mehr Joint Ventures mit der Wirtschaft

Für Hamburgs Bürgermeister Tschentscher haben zudem der Ukraine-Krieg und die rasant steigenden Energiepreise gezeigt, wie wichtig eine Energieproduktion hierzulande wäre, die unabhängig von Gas, Öl und Kohle und auch unabhängig von Lieferantenländern wie Russland ist. „Wir dürfen uns nicht auf einzelne Lieferketten verlassen“, sagte Tschentscher.

Die „starken Seehäfen im Norden“ böten die Chance für eine nachhaltige Energiewende und mehr Unabhängigkeit in der Versorgung gerade durch den „grünen Wasserstoff“. Dafür bedürfe es eines neuen „Joint Ventures zwischen Staat und Wirtschaft“, da die Unternehmen diese Investitionen in die Zukunft nicht alleine tragen könnten. „Wenn uns dieser klimaneutrale Umbau unserer Wirtschaft hier in der Hamburger Metropolregion mit seinen fünf Millionen Menschen gelingt, ist das überall auf der Welt möglich“, prophezeite Tschentscher. Diese Pionierarbeit müsse das Land leisten, auch um die Zukunft der jüngeren Generation zu sichern.

Professorin mahnt: Strom sparen ist die größte Investition

Etwas Wasser in den Wein dieser sozialdemokratischen Zukunftsvisionen schüttete die Professorin Frauke Wiese von der Europa-Universität Flensburg. Auch sie halte „einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien für den Schlüssel bei der Energiewende“, sagte die für Energie- und Umweltmanagement zuständige Wissenschaftlerin, die per Video aus Flensburg nach Norderstedt zugeschaltet war.

„Aber die größten Investitionen sind dabei die Kilowattstunden Strom, die wir gar nicht erst verbrauchen.“ Und somit müsste unbedingt die Frage geklärt werden, welche Produktionen und Industriezweige wir überhaupt noch haben wollten. Diese müssten immer auch energieeffizient sein. Und dazu würde die Zementindustrie zum Beispiel nicht mehr gehören.