Tangstedt. Fast vier Wochen nach ihrer Ankunft haben die Menschen noch kein Geld erhalten - bisher. Jetzt soll sich das ändern. Verspricht das Amt.

An diesem Tag, als sich die Stimmung entlädt, weiß niemand, wann es eigentlich angefangen hat. Wann die Erleichterung, dem Krieg entkommen zu sein, in Angst umgeschlagen ist, Angst vor der Zukunft. Wann aus Fragen Vorwürfe wurden.

Schon in den ersten Tagen, nachdem die 47 Flüchtlinge aus der Ukraine in Tangstedt eingetroffen sind, haben sich viele gefragt, wie es weitergeht. Wie es weitergeht, wenn der Krieg andauert und sie nicht schnell wieder zurück in ihre Heimat können. Wo sie wohnen werden, wenn die zwei Monate vorbei sind, in denen die Tangstedter Mühle für sie von einem Unternehmer angemietet wurde. Und wovon sie leben werden. Denn Geld haben die meisten von ihnen nicht. Nach Ausbruch des Krieges waren Euro knapp, viele Ukrainer haben daher Geld in ihrer Heimatwährung Hrywnja oder auch Griwna auf die Flucht mitgenommen – doch die ist in Deutschland praktisch wertlos, da sie nicht umgetauscht werden kann. Und an ihr Geld in der Ukraine kommen viele Flüchtlinge ebenfalls nicht.

Zuerst ist das nur eines von vielen Problemen, die nach der Ankunft in Deutschland vor drei Wochen geklärt werden müssen, jeden Tag kommen neue Fragen auf. Welche Coronaimpfung aus der Ukraine wird hier anerkannt, wer muss nachgeimpft werden? Wo können die Kinder zur Schule gehen, wie sollen sie Deutsch lernen? Wie bekommen sie eine Arbeitserlaubnis, wo finden sie eine Wohnung und wie teuer darf diese sein, damit das Amt die Kosten übernimmt?

Es ist schlimm für die Menschen, um Geld bitten zu müssen

Doch je länger die Menschen in Deutschland leben, um so drängender wird das Thema Geld. Sie wissen, dass sie nach dem Asylbewerberleistungsgesetzt Anspruch auf Bezüge haben und vom Amt Bargeld ausgezahlt bekommen sollen. Doch niemand von ihnen weiß, wie viel das sein wird – und wann sie das Geld bekommen. Zuerst sind es nur vorsichtige Fragen, die sie danach stellen, niemand von ihnen möchte undankbar oder aufdringlich, gar gierig, erscheinen. Immer wieder sagen die Menschen, dass sie dankbar sind, für alles, was man für sie tut. Aber...

Aber. Das Wort schleicht sich immer öfter in die Sätze, in das Empfinden. Natürlich geht es ihnen gut, besser als den Flüchtlingen in den Erstaufnahmen. Aber – in anderen Städten werden die Ukrainer viel schneller registriert – und bekommen schneller ihr Geld. Heißt es.

Nataliia Kovalenko (38) hat in den letzten Wochen viel mit anderen Betroffenen gesprochen, sie hat kurz nach ihrer Ankunft Corona bekommen und durfte das Zimmer nicht verlassen, sie hatte viel Zeit zum Recherchieren. „Es gibt viele Beispiele von Menschen in Deutschland, die sofort finanzielle Zahlungen erhalten haben, ohne sich noch registriert zu haben“, sagt sie. „Im Moment sind wir geschützt und die Menschen hier helfen uns. Wir sind sehr dankbar. Aber wir sind in der Schwebe und können nicht ruhig bleiben.“ Sie spricht für die anderen, die meisten hier vertrauen ihr. Sie ist PR-Managerin, berät Firmen wie Artdeco. Früher hat sie gut verdient, ein gutes Leben geführt, wie sie sagt. Es ist schlimm für sie, auf das Geld von anderen angewiesen zu sein, um Geld bitten zu müssen.

Ein Unternehmer hat jedem Flüchtling in der Mühle 50 Euro geschenkt

Vor ein paar Tagen hat jeder der Bewohner 50 Euro geschenkt bekommen, sogar die Kinder. Von einem Unternehmer, der anonym bleiben möchte. Einige Frauen haben davon Unterwäsche gekauft, für sich und die Kinder, davon haben fast alle zu wenig, die Waschmaschinen im Hotel laufen ständig. Ein paar von ihnen sind mit dem Geld zum Friseur gegangen, es gab Jungs, die dringend die Haare geschnitten bekommen mussten. Und dann gab es die, die alles Geld eingezahlt haben. Denn in dieser Woche konnten die Ukrainer in Tangstedt ein Bankkonto eröffnen. „Es fühlt sich gut an, ein eigenes Konto zu haben“, sagt Valeria Kolesnik (20). Sie hat in den letzten Tagen viel geweint, sie ist mit ihrer Tante und ihrem Cousin geflohen und vermisst ihre Eltern und ihren Freund. Neulich hat sie ein Bild gemalt, von einer ukrainischen Flagge und einem einzigen Wort darauf: Home. Statt des o hat sie ein Herz gezeichnet.

Ein Hauch von Leichtigkeit. Valeria besucht Norderstedt und macht Fotos für ihre Eltern.
Ein Hauch von Leichtigkeit. Valeria besucht Norderstedt und macht Fotos für ihre Eltern. © Unbekannt | Privat

Eine der Helferinnen hat für sie und die anderen Frauen Nagellack mitgebracht, damit sie sich die Nägel machen können. Die Frauen achten sehr auf ihr Aussehen. „Das ist uns sehr wichtig“, sagt Valeria. Es ist das einzige, was ihnen geblieben ist, in einer Welt, in der für sie nichts mehr so ist, wie es mal war.

In den letzten Tagen haben sie immer wieder Nachrichten an das Helferteam geschickt, und um Unterstützung gebeten. Sie wissen nicht, an wen sie sich sonst wenden können, es gibt bisher keinen direkten Kontakt zum Amt. Schließlich wendet sich Nataliia Kovalenko an das Abendblatt. „Die Behörden weigern sich, Zahlungen an uns zu leisten, und verstecken sich hinter unserer Unterkunft und unserem Essen.“ Irgendjemand hat gehört, dass es kein Geld geben soll, weil Unterkunft und Essen für sie bezahlt werden – und sie daher kein Geld benötigen. Sie wissen nicht, ob das nur ein Gerücht ist oder ob es stimmt, aber es verunsichert sie. „Es sind nicht die Behörden, die uns ein Zuhause und Nahrung gegeben haben. Das ist der Verdienst und die Finanzen der Freiwilligen“, schreibt Nataliia Kovalenko. Es ist ein Brandbrief, verfasst in ukrainisch, übersetzt von einem Computerprogramm. „Es gibt ein Gesetz, nach dem wir berechtigt sind, offizielle Zahlungen vom Staat zu erhalten. Der Staat erfüllt seine Pflichten überall. Doch in unserem Fall werden unsere Rechte verletzt. Die Hilfe von Freiwilligen ist sehr gut. Aber! Wir haben vollen Anspruch auf Leistungen und Unterkunft. Dies ist gesetzlich vorgeschrieben.“ Es fühle sich an, als würden sie und die Leute gezwungen, hier wegzugehen. „Wir lieben diese Stadt aufrichtig und viele würden gerne hier bleiben. Natürlich möchte niemand eine Beziehung ruinieren. Aber wir wollen gehört werden.“

Die Flüchtlinge haben einen Anwalt konsultiert

Als sie die Zeilen abschickt, hat sie bereits einen Anwalt konsultiert, um „unsere Rechte in dieser Angelegenheit zu verteidigen“, wie sie schreibt. Sie hat eine andere ukrainische Familie kennengelernt, die in Tangstedt privat untergekommen sind. Eine Woche nach ihrer Ankunft in der Gemeinde konnten sie sich beim Amt Itzstedt registrieren lassen – und haben an dem Tag sofort ihr Geld erhalten. Die Flüchtlinge in der Mühle sind vor mehr als drei Wochen in Tangstedt angekommen. Viele von ihnen haben das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden.

Nataliia Kovalenko weiß, dass einige Menschen das vielleicht nicht verstehen können. Dass es Leute gibt, die sie jetzt für undankbar halten, die denken, dass sie doch alles bekommen, was sie brauchen. Drei Mahlzeiten am Tag, Kleiderspenden, Schulsachen für die Kinder, Spielzeug, Medikamente, ab und zu sogar Gutscheine für Budni oder Aldi. Aber trotzdem: Es gibt da eben Dinge, die sie nicht bekommen – aber benötigen. In den letzten Tagen hat jeder von ihnen aufgeschrieben, was er dringend braucht, viele Punkte wiederholen sich. Binden und Tampons tauchen immer wieder auf, Unterwäsche und BHs in Größen, die sie in der Kleiderkammer nicht gefunden haben. Socken, Nylon-Strümpfe. Eine elektrische Zahnbürste, Bodylotion. Aber auch veganer Käse oder Tabletten zur Beruhigung.

Keiner der Betroffenen weiß, wie viel Geld ausgezahlt wird

Es ist kurz nach 17 Uhr, als sich die Frauen mit einigen der Helfern zu einer Besprechung in dem kleinen Aufenthaltsraum treffen. Gleich gibt es Abendessen. Die Kinder spielen draußen auf dem Weg, ahnen nichts von den Sorgen ihrer Mütter. Die Stimmung ist aufgeladen, viele reden durcheinander. Dann ergreift Nataliia Kovalenko das Wort und fasst die Situation zusammen. Sie spricht ein wenig Englisch, übersetzt für die anderen. Die Helfer hören zu, nicken. Sie sagen, dass sie die Probleme verstehen.

Das Thema spaltet die Gruppe, nicht alle wollen sich den lauten Forderungen anschließen, sondern weiter abwarten. Einigen ist es peinlich, Ansprüche zu stellen.

Immer wieder werden die gleichen Fragen gestellt: Warum haben sie noch kein Geld bekommen? Warum dauert es so lange, bis die Ausländerbehörde sie anschreibt, damit sie dort registriert werden? Wie viel Geld steht ihnen für eine Wohnung zu, wenn sie in vier Wochen aus der Mühle raus müssen? Es sind Fragen, auf die auch die Helfer oft keine Antwort wissen. Man ringt um Verständnis, sucht nach Erklärungen, die es nicht gibt.

Zur gleichen Zeit geht eine Email vom Amt Itzstedt beim Abendblatt ein. Die Sozialleistungen werden Anfang der kommenden Woche zahlbar gemacht. Heißt es. Es sind nur ein paar Zeilen, doch für die Ukrainer in der Tangstedter Mühle markieren die Worte einen Wendepunkt. Als man den Frauen die Nachricht mitteilt, können sie es kaum glauben, einige fragen nach, ob sie alles richtig verstanden haben. Nataliia Kovalenko drückt jedem Helfer die Hand, dann geht sie auf ihr Zimmer. Sie möchte alleine sein.

Probleme bei der Registrierung führen zu Verzögerungen bei der Auszahlung

Einen Tag später: Nachfrage beim Amt Itzstedt und dem Kreis Stormarn mit Bitte um Stellungnahme zum Fall Tangstedt. Beide Stellen erklären die Verzögerung bei der Auszahlung mit dem Sonderfall bei der Einreise der Flüchtlinge in der Tangstedter Mühle. „Normalerweise kommen Flüchtlinge bei einer Erstaufnahme an, werden dort registriert - und dann den Kommunen zugeteilt“, sagt Torge Sommerkorn, Leiter des Amtes Itzstedt. Da die Bewohner der Tangstedter Mühle jedoch aufgrund einer privaten Initiative in die Gemeinde gekommen seien, konnten ihre identitätsfeststellenden Daten wie Namen und Fingerabdrücke nicht in einer dafür extra ausgestatteten Erstaufnahme erfasst werden – sondern müssen jetzt auf anderem Weg festgestellt werden. „Und das stellt die Behörden vor Ort vor große Herausforderungen, da diese in der Regel nicht über die erforderliche Technik verfügen“, so Sommerkorn.

Allein im Kreis Stormarn gibt es derzeit etwa 1450 Flüchtlinge, von denen nur etwa 200 in einer Erstaufnahme gewesen seien. Die übrigen müssen jetzt in der Ausländerbehörde Bad Oldesloe erfasst werden, wo es jedoch nur eine so genannte PIK Station (Personalisierungsinfrastrukturkomponente) gibt. „Aus diesem Grund haben wir mit den Kommunen vereinbart, dass die Vertriebenen sich in der Kommune beim Einwohnermeldeamt beziehungsweise Sozialamt anmelden können, die Daten dann an die Ausländerbehörde und das Kreissozialamt weitergeleitet werden und die Leistungen sofort ausgezahlt werden“, sagt Edith Ulferts, Leiterin des Fachbereich Soziales und Gesundheit beim Kreis Stormarn.

Niemand weiß, wie viel Geld ihm zusteht

Ein weiteres Problem: „Da die Flüchtlinge in einem Hotel untergebracht werden und voll verpflegt werden, stehen ihnen nicht die üblichen Standard-Sätze zu, mit denen normalerweise auch die Verpflegung abgedeckt werden muss. Das heißt: Das Sozialamt muss für jeden Bewohner individuell berechnen, welche Leistungen ausgezahlt werden“, so Ulferts.

Im Vergleich sind die Leistungen für einen Asylbewerber geringer als der Regelsatz von Hartz-IV-Beziehern. Hintergrund ist, dass ein Asylbewerber in der Regel residenzpflichtig ist und erst einmal in einer Aufnahmeeinrichtung leben muss. Deshalb werden Kosten für Unterkunft und Verpflegung nicht eingerechnet. Einer alleinererziehenden Mutter stehen demnach etwa 367 Euro pro Monat zur Verfügung. Bei einer alleinstehenden Hartz-IV-Empfängerin wären es etwa 449 Euro zu. Von den Ukrainern weiß niemand, wie viel Geld er bekommt.

Am Dienstag sollen die Leistungen ausgezahlt werden, anteilig für den Monat März und für den Monat April. Es ist genau vier Wochen, nachdem die Flüchtlinge in der Gemeinde eingetroffen sind. Die Hälfte der offiziellen Zeit in der Tangstedter Mühle ist dann um. Das Amt will mit der Mühle über eine weitere Unterbringung verhandeln. Noch weiß niemand, ob das klappen wird – oder wie es sonst weitergeht.

Für das Abendblatt schreibt Valeria Kolesnik ein Tagebuch über ihr Leben in Deutschland. Es steht online unter: www.abendblatt.de/ukraine-tagebuch