Neumünster. Neumünster hat mehr zu bieten, als viele glauben: Zum Beispiel ein interessantes Museum und einen Skulpturen-Park.

Neumünster ist etwas größer als Norderstedt und damit Schleswig-Holsteins viertgrößte Stadt. Die Kreisstadt im Herzen des Landes steht bei den meisten sicherlich nicht ganz oben in der Liste mit den lohnenswerten Ausflugszielen. Eine Tagestour nach Neumünster unternehmen in erster Linie Einkaufswillige – zum Outlet Center in Autobahnnähe.

Doch die Stadt hat mehr zu bieten, und eine Entdeckungstour lohnt sich für die ganze Familie. Neumünster hat eine kleine Innenstadt, die zum Flanieren einlädt, mit bunt gemischter Außen-Gastronomie von Cafés über Eisläden und Fast-Food-Stores bis zu Restaurants und Wirtsstuben, allesamt Treffpunkte unter grünen Bäumen und mit farbenfroh bepflanzten Blumenkästen, die bisweilen ein südliches Flair in die Stadt an der Schwale zaubern.

Tuch + Technik Textilmuseum Neumünster

Und Neumünster hat ein interessantes Museum, das einen Besuch allemal lohnt und vor allem für Menschen, die an Lokalgeschichte interessiert sind, viel Wissenswertes bietet – das Tuch + Technik Textilmuseum.

Bereits vor fast 1500 Jahren, also schon in der Frühzeit und im frühen Mittelalter, entdeckten die Menschen, die auf dem „Flecken“ lebten, dass sie aus Schafwolle Fäden spinnen und mit diesen Fäden Tücher weben konnten.

Auf den alten Maschinen wird noch gearbeitet

Ein echter Blickfang ist dieser historische Webstuhl im Tuch + Technik Textilmuseum.
Ein echter Blickfang ist dieser historische Webstuhl im Tuch + Technik Textilmuseum. © Heike Linde-Lembke | Heike Linde-Lembke

Wie diese Spinnerei begann und sich entwickelte, zeigt das Tuch + Technik Textilmuseum am ältesten Platz der Stadt, am Kleinflecken 1 neben der Stadthalle. Die Hallen lassen zudem noch temporäre Ausstellungen zu, beispielsweise die beeindruckende Playmobil-Schau „Spielgeschichte(n) – Stadthistorie neu inszeniert“ der Sammlung Oliver Schaffer.

Für diese Playmobil-Ausstellung öffnet das Museum noch bis zum 10. Oktober täglich außer montags in der Zeit von 9 bis 17 Uhr. Der Hamburger Playmobil-Meister Oliver Schaffer baute mit den kleinen bunten Steinchen nicht nur idyllische Badeszenen mit Bully, Teich, knallrotem Gummiboot, Hund und Sonnenschirm nach, sondern die ganze Stadtgeschichte Neumünsters. Es gibt viel zu gucken in diesem Playmobil-Neumünster, und dafür sollte man schon, vor allem mit Kindern, mindestens eine Stunde einplanen.

Ebenso interessant ist die Haupt-Ausstellung in der großen Halle des Museums, die durch eine neun Meter hohe Glasfassade auch von außen Einblick gewährt.

Einblicke in historische Arbeitsweisen

Der Ausstellungsraum ist über eine Galerie zu erreichen, die einen Überblick bietet über die gesamte Ausstellungsfläche mit Mischwolf zum Mischen und Auflockern der Wolle, mit dem Dreikrempelsatz, der die Wolle zum Spinnen aufbereitet, mit den Stahlwalzen der Florteiler und den Webstühlen.

Auch dieses alte Musterbuch wird im Museum ausgestellt.
Auch dieses alte Musterbuch wird im Museum ausgestellt. © Heike Linde-Lembke | Heike Linde-Lembke

Was heute in Billig-Discountern für wenig Geld gekauft werden kann, wird nur durch eine durchkonstruierte Abfolge von technischen Arbeitsabläufen zum T- Shirt oder zur Jeans. Das zeigt das Museum sehr aufschlussreich von der frühzeitlichen Tuchmacherei durch Handarbeit bis zur industriellen Tuchherstellung.

Die Spinnerei, Weberei und Tuchherstellung machte Neumünster zu einer Industriestadt. Auf den historischen Maschinen werden noch heute Decken und Tücher sowie Schals und Accessoires aller Art hergestellt, die im Museumsladen angeboten werden.

Wer eine Führung bucht, bekommt alle Arbeitsschritte vom Krempeln bis zum Fransen erklärt und sieht auch, wie die Maschinen arbeiten. Dienstags bis freitags sind die Maschinen um 11 und 15 Uhr in Aktion, sonnabends und sonntags von 13 bis 15 Uhr.

Jugendstil-Villa Wachholtz

Zirka zehn Auto-Minuten vom Museum entfernt trifft man an der Brachenfelder Straße auf die Jugendstil-Villa Wachholtz inmitten der Idylle eines malerischen Parks mit uralten Bäumen und urigen, skurrilen bis anmutigen Skulpturen – ein gelungenes Kontrast-Programm zum Museum, auch für Kinder.

In dem drei Hektar großen Park bieten Hühner- und Pfauenhaus, Roter Bungalow mit Remise und das Gerisch-Wohnhaus reichlich Raum für zeitgenössische, überwiegend temporäre Kunstausstellungen. Das Hühner- und Pfauenhaus aus Backstein ist sogar denkmalgeschützt. Im Park ist vor allem die Stahl-Skulptur „Kissing Birds“ des israelischen Bildhauers und Zeichners Menashe Kadishman ein Anziehungspunkt.

Im Hintergrund ist die Villa Wachholtz zu sehen, im Vordergrund das ehemalige Pfauen- und Hühnerhaus, das jetzt für Ausstellungen genutzt wird.
Im Hintergrund ist die Villa Wachholtz zu sehen, im Vordergrund das ehemalige Pfauen- und Hühnerhaus, das jetzt für Ausstellungen genutzt wird. © Heike Linde-Lembke | Heike Linde-Lembke

Auch wenn man sich in dem grünen, mit verschlungenen Wegen, Holzbrücken und Teichen am Flüsschen Schwale liegenden Park glücklich verlaufen sollte, trifft man irgendwann auf das monumentale Werk. Dem 1932 in Tel Aviv geborenen und 2015 verstorbenen Künstler gelang mit den im Flug knutschenden Vögeln eine Lebenslust ausstrahlende Bronze-Skulptur. Sie dient auch als Motiv für den informativen Kunst-Katalog „Outside – Inside“, mit dem die Gerisch-Stiftung ihren 20. Geburtstag feiert.

Als Pendant zu den Park-Skulpturen ist im ersten Stock der denkmalgeschützten Villa Wachholtz zurzeit eine Ausstellung mit aktuellen Werken, darunter Malerei, Foto, Videos und Zeichnungen, der Künstlerinnen und Künstler zu sehen, die auch die Skulpturen im Park schufen.

Im Außenbereich vor dem Wohnhaus mit Kunstgalerie des Stifter-Ehepaares Brigitte und ihrem 2016 verstorbenen Ehemann Herbert Gerisch weisen Werke wie „Der Kopf der Venus“ des berühmten Künstlers Markus Lüpertz oder der „Löwenzahn“ von Thomas Stimm auf die gesamte Vielfalt der Kunstgegenstände im Park und in den Gebäuden hin. Zu erleben sind Werke von den kunstvollen Figuren Jan Koblasas, dessen Werke auch in Norderstedt gut vertreten sind, über die Figurengruppe „Schreitende“ von Magdalena Abakanowicz bis zu dem monumentalen Stahl-Werk „Tiko“ von Pit Kroke.

Das gesamte Kunst-Areal ist der Initiative des Ehepaares Gerisch zu danken, das 2001 die Gerisch-Stiftung gründete, um Neumünster und damit das ehemalige Tuch- und Textilzentrum Schleswig-Holsteins zu einer „Stadt der modernen Skulptur“ zu machen. 2002 begannen sie mit dem Aufbau der Sammlung.

Die Gerisch-Stiftung wurde im Jahr 2001 gegründet

Der Verleger Karl Wachholtz, der Mitte der 20er-Jahre die nach ihm benannte Villa von seinem Onkel Paul Ströhmer kaufte, ließ sich 1926 für seine zwei Horch-Automobile eine Garage mit Chauffeurs-Wohnung und Werkstatt als Ziegelrohbau mit einem Dach aus roten holländischen Pfannen bauen. An den Bau schloss sich eine kleine Laube aus Holz an, die den Namen „Hinselmann‘sche Gartenlaube“ trug, benannt nach dem einstigen Besitzer der Grundstücke an der Schwale, dem Bierbrauer Hinselmann.

Die 700 Quadratmeter große Villa Wachholtz errichtete der Buntpapier-Fabrikanten Paul Ströhmer 1903 nach Entwürfen des Kirchenbaumeisters Hans Schnittger. 1924 kaufte der Verleger Karl Wachholtz die Villa. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg verfiel das Gebäude, jetzt im Besitz der Stadt Neumünster, zusehends und wurde fremdgenutzt. 2004 übertrug die Stadt Neumünster der Herbert-Gerisch-Stiftung die zu dem Zeitpunkt stark sanierungsbedürftige Villa Wachholtz in Form einer Zustiftung.

Wer durch den Park und die Ausstellungen gewandert ist, braucht eine Erfrischung, beispielsweise einen Kaffee. Den findet man im „Harry Maasz Café“ in der Villa Wachholtz. Kuchen und Torten sind allerdings nicht mit denen in einem der umliegenden Land-Cafés vergleichbar.