Norderstedt. Norderstedter Politiker diskutieren über die Benennung einer neuen Straße in einem Neubaugebiet in Garstedt.

Dass die Namensgebung für eine neue Straße auf unsicheres Eis führen kann – auch und gerade dann, wenn diese Straße eine Art Verlängerung einer bereits vorhandenen Straße ist –, das zeigt ein Beispiel aus Norderstedt. Es geht um die Benennung einer neu zu schaffenden Straße auf einem sogenannten Filetgrundstück in Garstedt: die ehemalige und seit Jahren brachliegende Fläche des ehemaligen Traditionsunternehmens Stielow, einem Etikettenhersteller. Auf dem Gelände sollen bald die „Kösliner Terrassen“, ein Neubauprojekt mit 250 Wohnungen entstehen. Um diese zu erschließen, soll eine Ringstraße entstehen, die vom bestehenden Kösliner Weg abgehen wird. In Anlehnung daran hatte die Verwaltung der Politik den Namen „Kösliner Ring“ für die neue Ringstraße vorgeschlagen. Darum ist nun allerdings eine Debatte entbrannt.

Marc Muckelberg ist Fraktionschef der Grünen.
Marc Muckelberg ist Fraktionschef der Grünen. © Michael Schick | Michael Schick

Bedenken meldeten im Stadtentwicklungsausschuss die Grünen an. „So ein Name ist bei manchen Menschen negativ konnotiert. Er könnte als revanchistisch gedeutet werden“, sagt Fraktionschef Marc Muckelberg. Köslin, das heute Koszalin heißt, ist eine polnische 100.000-Einwohner-Stadt an der Ostsee, etwa 170 Kilometer östlich von Stettin, polnisch Szczecin. Bis 1945 war Köslin als Teil der preußischen Provinz Pommern Teil des Deutschen Reiches.

Warum der „Kösliner Weg“ in Norderstedt so heißt und wie lange schon, kann Muckelberg nicht sagen. Auch die Verwaltung kann keine Angaben dazu machen, im Stadtarchiv gebe es keine konkreten Informationen, heißt es von der Pressestelle. In jedem Fall hält Muckelberg den Straßennamen „Kösliner Ring“ vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte nicht für gut, die Straße sollte aus seiner Sicht zumindest „Koszaliner Ring“ heißen. Dieser Name jedoch wäre „ehrlicherweise nicht wirklich gut für zukünftige Bewohner“, so Muckelberg, da diese Probleme mit der Aussprache haben könnten und diesen Namen „dann auch immer buchstabieren müssten“.

Marc Muckelberg ist für Benennung nach Heide Moser

Er brachte deshalb eine ganz andere Variante ins Spiel – nämlich den Namen „Heide-Moser-Ring“. Heide Moser (1943-2009) lebte in Norderstedt und war eine profilierte Politikerin der SPD, zwischen 1993 und 2004 war sie Teil der Landesregierung, unter anderem als Ministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Muckelberg sieht in ihr eine sehr gute Namenspatronin. „Dafür spricht auch, dass in Norderstedt bisher wenige Straßen nach Frauen benannt sind.“

Also „Heide-Moser-Ring“ – oder doch „Kösliner Ring“ oder „Koszaliner Ring“? Diese Entscheidung soll nun morgen im Stadtentwicklungsausschuss fallen. Die Verwaltung hat indes auf Wunsch der Politiker geprüft, was es zu einer möglichen Straßenbenennung „Kösliner Ring“ zu wissen gäbe – vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte. Den Politikern stellt sie nun als Entscheidungshilfe einige Fakten zur Geschichte der einst preußischen und seit 1945 polnischen Stadt zur Verfügung – und außerdem Auszüge aus einer Handreichung des Auswärtigen Amtes zur Bezeichnung von Städten. Dort heißt es: „Bei Städten empfehlen wir die Benutzung des im deutschen Sprachraum gebräuchlichen Namens, sofern ein solcher schon vor 1933 existiert hat.“

Das ist bei Köslin der Fall, allerdings heißt es in der Handreichung auch: „Umbenennungen von Städten werden in der Regel in allen Sprachen nachvollzogen“, als Beispiel genannt wird unter anderem Sankt Petersburg/Leningrad.

Und jetzt? Die Verwaltung zieht den Schluss, dass die Verwendung des namens Köslin gemäß der Ausführung des Auswärtigen Amtes möglich wäre, regt aber etwas anderes an. „Um über allen Zweifel erhaben zu sein, böte sich die Namensgebung ,Koszaliner Ring‘ an, da 1945 eine offizielle Umbenennung der Stadt erfolgte“, heißt es in der Beschlussvorlage.

SPD-Fraktion hat sich noch nicht festgelegt

FDP-Ausschussmitglied Tobias Mährlein sieht das anders. „Kösliner Ring ist die einzig sinnvolle Lösung“, meint er. Es handele sich ja um eine Ringschließung, die an beiden Enden vom Kösliner Weg abgeht. Und man habe in dem Gebiet ja auch eine Stettiner Straße und keine Szczeciner Straße, man rede auch von Lissabon und nicht von Lisboa. Die CDU-Fraktion sieht das ähnlich, sie hat sich für den Vorschlag „Kösliner Ring“ entschieden. Den findet auch Felix Frahm am besten, der für die AfD im Stadtentwicklungsausschuss sitzt.

Sehr viel weniger festgelegt ist die SPD. Erst einmal ist man froh über die Recherche-Arbeit der Verwaltung, und auch über das Ergebnis: „Es war wichtig, das zu prüfen. Wenn das ein Name aus dem Dritten Reich gewesen wäre, hätte man ja auch darüber nachdenken müssen, den Kösliner Weg umzubenennen. Aber so ist es ja unverdächtig“, sagt Nicolai Steinhau-Kühl, SPD-Fraktionschef und auch Vorsitzender des Ausschusses für Stadtentwicklung.

Welchen Namen die SPD für die Straße möchte, muss noch diskutiert werden, es gebe noch „keine Festlegung“ – auch nicht auf Heide Moser als Namenspa­tronin: „Sie ist natürlich eine bekannte Person, aber das ist für uns an der Stelle nicht ausschlaggebend. Wir können uns gut vorstellen, eine Straße nach ihr zu benennen, aber das muss nicht unbedingt dort sein.“

Mehr Zuspruch bekommt die Idee, die Ringstraße nach der Sozialdemokratin zu benennen, aus der Fraktion Die Linke. „Ich würde mich sehr freuen, wenn wir in Norderstedt die Chance nutzen würden, eine so verdiente Politikerin wie Heide Moser mit dieser Straßenbenennung ehren zu können“, sagt Miro Berbig, Fraktionschef. „Das würde nicht nur den absurden Streit über die Schreibweise einer polnischen Stadt verhindern, sondern auch die jüngere Geschichte der Stadt beleuchten. Ich hatte das Glück, Heide Moser Anfang der 90er-Jahre noch kennenzulernen und habe sie als Persönlichkeit in guter Erinnerung.“

Wie auch immer die Entscheidung letztlich fällt – die Diskussion um die Schreibweise der polnischen Stadt an der Ostsee dürfte sich noch eine Weile fortsetzen. Denn auch in der Grünen-Fraktion ist noch keine Entscheidung gefallen. Marc-Christopher Muckelberg: „Ich persönlich bin für Heide Moser, aber wir werden in der Fraktion noch diskutieren, ob nicht doch ,Koszaliner Ring‘ eine gute Option ist.“

Ausschuss für Stadtentwicklung, Do, 18.15, digital. Die Sitzung wird in den Plenarsaal des Rathauses übertragen.